Ansprache des Bundespräsidenten

Van der Bellen mahnt am Nationalfeiertag zu Integrität in der Politik

Bundespräsident Alexander Van der Bellen ruft die Bevölkerung trotz multipler Krisen zur Zuversicht auf.
© HBF/Peter Lechner

Österreichs Bundespräsident will strengst mögliche Gesetze und Regeln einfordern, es werde auch mehr Präventionsmaßnahmen brauchen. In seiner Rede ruft Van der Bellen die Menschen im Land auch zu Zuversicht auf.

Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in seiner Fernsehansprache zum Nationalfeiertag Integrität in der Politik eingemahnt. Damit Demokratie und Rechtsstaat intakt bleiben, müsse die Bevölkerung sich darauf verlassen können, dass Politiker "immer zum Vorteil der Bevölkerung handeln, niemals zum eigenen". Dafür brauche es strengst mögliche Gesetze und Regeln, es werde auch mehr Präventionsmaßnahmen brauchen. "Und ich werde nicht müde werden, diese einzufordern."

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In seiner Rede hat das Staatsoberhaupt die Zuseherinnen und Zuseher auch zu Zuversicht aufgerufen. "Die Welt ist instabiler geworden. Die Zeiten stürmischer", sagte er mit Verweis auf diverse Krisen vergangener Jahre, vom Ibiza-Skandal bis zu globalen Katastrophen wie Pandemie, Ukraine-Krieg, "Klimanotstand", Teuerung und Energiekrise. Doch wenn die Gesellschaft konstruktiv bleibe und nach vorne schaue, "können wir alles schaffen".

So gebe es etwa bei der Klimakrise nicht die eine große, einfache Antwort, sondern viele kleine Handlungen, die in Summe die Antwort ergeben. Es gehe darum zu probieren, zu lernen, neu zu denken und Uneindeutigkeit auszuhalten. "Und uns auf die Dinge verlassen, auf denen unsere Gesellschaft gebaut ist. Darum geht es jetzt", so der Präsident, der in seiner diesjährigen Ansprache die Zuseher zu einem Blick hinter die berühmte Tapetentür einlud - immerhin "schadet Transparenz nie und diese Räumlichkeiten hier sind vor allem auch Ihre Räumlichkeiten".

Militärische Neutralität und Prinzip der Solidarität

In immer unberechenbareren Zeiten brauche die Gesellschaft einen starken inneren Kompass in Form von außer Streit stehender Prinzipien, betonte Van der Bellen. "Und diese Prinzipien haben wir Gott sei Dank." Artikel 1 der Menschenrechte (Jeder Mensch ist gleich an Rechten) sei Grundsatz von Österreichs demokratischen Grundsätzen, in der Bundesverfassung sei klar das politische Zusammenspiel der Republik, das Funktionieren der demokratischen Institutionen und des Rechtsstaat festgelegt. Damit Demokratie und Rechtsstaat intakt bleiben, bräuchten diese aber eben auch "integre Politikerinnen und Politiker", betonte er.

Unter jenen Prinzipien, die der Gesellschaft Orientierung geben, nannte Van der Bellen auch die immerwährende militärische Neutralität und das Prinzip der Solidarität – in Österreich und in ganz Europa. "Wir lassen als Gesellschaft niemanden zurück." Das müsse auch für unsere Nachkommen gelten, denen man durch wirksame Klimaschutzmaßnahmen einen Planeten hinterlassen müsse, "der uns allen weiterhin eine Heimat sein kann".

Van der Bellen rief zur Bereitschaft auf, dazu zu lernen und alte Erkenntnisse durch neuere zu ergänzen, konstruktiv zu bleiben – auch in der Wortwahl –, nach vorne zu schauen und den Blick auf die Lösung zu richten. "Wenn wir diese Prinzipien hochhalten und uns daran orientieren. Wenn wir alle gemeinsam uns an diese Prinzipien halten, dann sind wir als Gemeinschaft widerstandsfähig und können alles schaffen." (TT.com, APA)

Bundespräsident Van der Bellen: Die Ansprache zum Nationalfeiertag 2022 im Wortlaut

"Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben:

Kommen Sie einmal mit. Ich möchte Ihnen am heutigen Nationalfeiertag ein wenig zeigen, wie es hinter der Tapetentür aussieht. Von vorne kennen Sie sie ja zur Genüge.

Ich weiß schon, das alles ist ungewöhnlich für eine Ansprache zum Nationalfeiertag. Aber erstens schadet Transparenz nie und diese Räumlichkeiten hier sind vor allem auch Ihre Räumlichkeiten. Und zweitens ist „ungewöhnlich“ ja normal geworden für uns alle. Denken Sie nur daran, was wir als Gesellschaft in den letzten Jahren alles an Ungewöhnlichkeiten erlebt haben. Und dieser Ausdruck ist eigentlich zu milde. Denn es handelt sich um ernste Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben und die unser Leben berühren, ob wir wollen oder nicht.

Einerseits krisenhafte innenpolitische Ereignisse wie der Ibiza-Skandal oder die unrühmliche Chat-Affäre. Andererseits globale Katastrophen wie die Pandemie, der schreckliche Krieg in der Ukraine und leider der Klimanotstand. Dann, als ob das alles nicht genug wäre, die Teuerung und die Energiekrise, in der wir stecken. All diese Dinge passieren fast gleichzeitig und man fragt sich unweigerlich: „Kann das jetzt alles bitte aufhören?“ Aber ich fürchte, so einfach ist das nicht. Die Welt ist instabiler geworden. Die Zeiten stürmischer. Und die Ereignisse und die Art, wie wir ihnen begegnen können, uneindeutiger.

Nehmen Sie als Beispiel nur die Klimakrise. Es gibt nicht die eine große, einfache Antwort, die alles löst. Aber es gibt viele. Viele kleine Handlungen, die in Summe die Antwort ergeben. Deswegen ist es auch kontraproduktiv, bei notwendigen Entscheidungen „Killer-Fragen“ zu stellen wie: „Das soll jetzt alles lösen?“. Nein, es wird nicht „alles“ lösen. Aber es kann ein Schritt zur Lösung sein, dem weitere folgen müssen.

Probieren, lernen, neu denken, neue Lösungen im Konstruktiven finden. Die Uneindeutigkeit aushalten. Und uns auf die Dinge verlassen, auf denen unsere Gesellschaft gebaut ist. Darum geht es jetzt. Wenn das Äußere immer unberechenbarer und unvorhersehbarer scheint, brauchen wir einen starken inneren Kompass. Prinzipien, nach denen wir handeln können und die in unserer Gesellschaft außer Streit stehen. Prinzipien, nach denen wir alle gemeinsam handeln können, egal, wie wir zu dem einen oder anderen Thema im Detail stehen. Und diese Prinzipien haben wir Gott sei Dank. Unsere wunderschöne Heimat, die Republik Österreich, ist auf ihnen errichtet: Zentral ist der Artikel 1 der Menschenrechte. Jeder Mensch ist gleich an Rechten. Egal, was sein gesellschaftlicher Hintergrund ist. Egal, wen er liebt. Egal, ob reich oder arm. Egal, ob Mann oder Frau. Wir alle haben die gleichen Rechte.

Darauf fußen unsere liberale Demokratie und unsere demokratischen Grundsätze. Und unsere Bundesverfassung regelt klar, wie das politische Zusammenspiel in unserer Republik funktioniert. Und wie unsere demokratischen Institutionen funktionieren. Wie unser Rechtsstaat funktioniert.

Und damit unsere Demokratie und unser Rechtsstaat intakt bleiben, brauchen sie integre Politikerinnen und Politiker. Diese müssen immer zum Vorteil der Bevölkerung handeln, niemals zum eigenen oder zum Vorteil der eigenen Seilschaften. Darauf muss sich die Bevölkerung verlassen können. Dafür braucht die Bevölkerung Garantien. Gesetze und Regeln, die das strengst möglich sicherstellen. Wir werden auch mehr Präventionsmaßnahmen brauchen. Und ich werde nicht müde werden, diese einzufordern.

Meine Damen und Herren, am heutigen Nationalfeiertag möchte ich auch unsere immerwährende militärische Neutralität als eines jener Prinzipien erwähnen, die uns Orientierung geben.

Ebenso wie das Prinzip der Solidarität. Der Zusammenhalt in unserem Österreich. Und der Zusammenhalt in ganz Europa, in der Europäischen Union, die als Projekt des Friedens gegründet wurde. Wir sind füreinander da. Wir sind solidarisch. Wir helfen jenen Menschen, die in eine Notlage geraten sind. Wir lassen als Gesellschaft niemanden zurück.

Diese Solidarität muss auch für jene gelten, die noch nicht auf der Welt sind, sondern nach uns kommen. Auch an sie, unsere Kinder und deren Kinder, müssen wir denken und ihnen einen Planeten hinterlassen, der uns allen weiterhin eine Heimat sein kann. Und deswegen müssen wir die entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen auch wirklich treffen!

Meine Damen und Herren, wir sollten uns mehr an unseren Kindern orientieren und so wie sie nicht aufhören, dazu zu lernen. Niemand von uns ist perfekt, aber wir können an uns arbeiten. Wenn wir bereit sind, dazu zu lernen und alte Erkenntnisse durch neuere zu ergänzen. Und lassen Sie uns bei allem, was wir tun, konstruktiv bleiben. Auch in der Wahl unserer Worte. Und nach vorne schauen. Den Blick auf die Lösung richten. Und nicht im Problem verharren, denn das bringt uns nicht weiter.

Liebe Österreicherinnen und Österreicher, ich will hier nicht predigen, ich will Ihnen am heutigen Nationalfeiertag nur sagen, dass ich fest daran glaube: Wenn wir diese Prinzipien hochhalten und uns daran orientieren. Wenn wir alle gemeinsam uns an diese Prinzipien halten, dann sind wir als Gemeinschaft widerstandsfähig und können alles schaffen.

Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend."

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