Midterm-Wahlen in den USA

Ein Sturm zieht auf über Amerika: Fragen und Antworten zur US-Kongresswahl

Joe Biden (links) und Donald Trump stehen diesmal nicht am Wahlzettel. Trotzdem bleiben sie die großen Rivalen, um deren politische Zukunft es bei dieser Wahl geht.
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Donald Trumps Republikaner werden bei der Kongresswahl wahrscheinlich einen Teil der Macht zurückerobern. Sie setzen zunehmend auf antidemokratische Taktiken. Es droht politische Gewalt.

Von Floo Weißmann

Washington – Bei der US-Kongresswahl am Dienstag geht es nicht allein um die Machtverteilung, sondern auch um die Demokratie. „Ein Sturm zieht auf“, sagte der Politologe David Rowe der TT.

Die Wahl entscheidet zugleich über den Aktionsradius von zwei Politikern, die gar nicht zur Wahl stehen. Dem demokratischen Präsidenten Joe Biden droht eine politische Blockade durch den Kongress, sollten die Republikaner auch nur eine der beiden Kammern übernehmen.

📽 Video | „Politologe Werz zu den US-Midterms“

Auf der Gegenseite testet Ex-Präsident Donald Trump seine Kontrolle über die Republikaner. Mit einem Sieg im Rücken will er wenige Tage nach der Kongresswahl seine Bewerbung um die Präsidentschaft 2024 ankündigen.

Wer gewinnt die Wahl?

Kongresswahlen gelten als Referendum über den Präsidenten und den Zustand des Landes, was Gegner des Präsidenten und Unzufriedene besonders mobilisiert. Deshalb verliert fast immer die Partei, die den Präsidenten stellt.

Auch diesmal sagen die Prognosen, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus erobern – und womöglich auch den Senat. Aber das Ergebnis könnte knapper ausfallen, als es Bidens niedrige Popularität und die hohe Inflation vermuten lassen würden. „Dies ist das komplexeste Umfeld einer Kongresswahl, an das ich mich erinnern kann“, sagt Rowe.

Was treibt die Wähler an?

„Wenn es ein einziges Thema gibt, das die Wahl dominiert, würde ich es Unzufriedenheit nennen. Aber was die Wähler am meisten unzufrieden macht, variiert dramatisch“, meint Rowe. Viele Demokraten sind unzufrieden mit dem Zustand der Demokratie und mit der Abschaffung des Verfassungsrechts auf Abtreibung nach einer jahrzehntelangen Kampagne der Konservativen.

Republikaner stellen eher die Energiepreise, Kriminalität oder Einwanderung in den Vordergrund. „Die Inflation ist ein globales Phänomen, aber sie nährt die klassische republikanische Behauptung, dass man den Demokraten in der Wirtschaftspolitik nicht trauen kann“, sagt Rowe.

Warum sind Prognosen so schwierig?

Trump hat radikale Anhänger durch die Vorwahlen gebracht, deren wichtigste Qualifikation es ist, seine Lüge vom Wahlbetrug zu verbreiten und ihm in den Arsch zu kriechen, wie er wörtlich gesagt hat. Das schreckt viele gemäßigte Wähler ab.

Den Demokraten schadet jedoch der Eindruck, dass sie von ihrem progressiven Flügel vereinnahmt seien, so Rowe. „Dies schränkt ihre Fähigkeit ein, Unabhängige anzusprechen, die eine Alternative zur Republikanischen Partei suchen.“

Warum steht Biden so schlecht da?

Laut Rowe hat der Präsident „eine größere Breite an legislativen Errungenschaften vorzuweisen als jeder andere Präsident der jüngeren Vergangenheit – in Bezug auf die Pandemie, den Klimawandel und die Infrastruktur“. Aber sein erstes Amtsjahr war von Misserfolgen geprägt, darunter der chaotische Abzug aus Afghanistan. Dieser erste Eindruck habe das Narrativ geprägt. Derzeit liegt die Zustimmung zu Biden bei 40 Prozent.

Läuft die Wahl sauber ab?

Laut Studien kommt es bei Wahlen in den USA nicht zu größeren Unregelmäßigkeiten. Und für Trumps Behauptung, ihm sei die Wahl gestohlen worden, gibt es keinerlei Beleg.

Unter dem Vorwand, die Integrität der Wahl zu schützen, haben republikanisch regierte Bundesstaaten aber zahlreiche Gesetze verabschiedet, die gezielt die Wahlbeteiligung der demokratischen Klientel senken sollen oder die politische Kontrolle über den Auszählvorgang stärken. Auch gab es schon im Vorfeld Einschüchterungsversuche. In Arizona etwa musste ein Richter einer Trump-nahen Gruppe verbieten, bewaffnet Wahlurnen zu „beobachten“.

Mehr als die Hälfte der republikanischen Kandidaten für den Kongress und für wichtige Ämter in den Bundesstaaten sind so genannte Wahlleugner. Beispielsweise bewirbt sich ein Mitglied der rechtsextremen Miliz Oath Keepers für das Amt des Secretary of State in Arizona, der auch als Wahlleiter fungiert.

Rowe meint, dass antidemokratische Taktiken diesmal noch keine wahlentscheidende Rolle spielen, weil die Republikaner ohnehin Rückenwind haben. „Aber wir sehen, dass die Republikanische Partei und ihre Anhänger die Mechanismen in Gang setzen, um zukünftige Siege der Demokraten zu verhindern.“

Was ist der Hintergrund der Wahlleugner?

138 der 213 Republikaner im aktuellen Repräsentantenhaus haben sich geweigert, Bidens Wahlsieg zu zertifizieren. Laut New York Times ist in ihren Wahlbezirken der Bevölkerungsanteil der Weißen seit den Neunzigern deutlich stärker gesunken als anderswo.

Außerdem verdienen die Menschen in diesen Bezirken im Schnitt weniger und sind weniger gebildet. „Viele weiße Amerikaner, die sich bedroht fühlen, sind bereit, demokratische Normen abzulehnen, weil sie darin eine Möglichkeit sehen, ihren Status zu schützen“, zitierte das Blatt die Politologin Ashley Jardina.

Wird es zu Gewalt kommen?

Der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 „war der Tiefpunkt der amerikanischen Demokratie seit dem Bürgerkrieg“, sagt Rowe. „Es war das erste Mal, dass wir keine friedliche Machtübergabe hatten. Seitdem ist es noch schlimmer geworden.“

Statt sich von Trump zu distanzieren, hätten die Republikaner seine Lüge vom Wahlbetrug zu einem Lackmustest ihrer Politik gemacht. Sie seien auch „bereit, politische Gewalt in Kauf zu nehmen, wenn sie ihren Zielen dient“.

In einer Umfrage der Washington Post äußerten 88 Prozent der Amerikaner Sorge vor politischer Gewalt. Das FBI gab eine Warnung heraus, und viele Wahllokale haben mit Panzerglas, Einlassknöpfen und zusätzlichen Wachen aufgerüstet. Mancherorts ist es schwierig geworden, noch Wahlhelfer zu finden.

Rowe glaubt zwar nicht, dass es schon bei dieser Wahl zu Gewalt kommt, aber er rechnet damit, falls Trump angeklagt wird oder falls er 2024 antritt und das Ergebnis knapp ausfällt. „Dies ist für mich die besorgniserregendste Entwicklung in der amerikanischen Politik.“

Senat

Funktion: Der Senat muss – wie auch das Repräsentantenhaus – allen Bundesgesetzen zustimmen. Darüber hinaus ratifiziert er internationale Verträge, bestätigt vom Präsidenten nominierte Minister, Spitzenbeamte sowie Höchstrichter und fungiert im Fall eines Amtsenthebungsverfahrens als Gericht.

Mandate: Jeder der 50 Bundesstaaten entsendet zwei Senatoren. Die dünner besiedelten Staaten sind somit im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl überrepräsentiert: Wyoming (600.000 Einwohner) und Kalifornien (39 Mio.) haben dasselbe Stimmgewicht. Politisch bedeutet dies einen Vorteil für die Republikaner, weil sie im ländlichen Milieu dominieren, während die Hochburgen der Demokraten eher in den Metropolregionen liegen.

Mehrheit: Derzeit steht es nach Mandaten 50:50 (zwei Unabhängige stimmen mit den Demokraten). Alle zwei Jahre wird etwa ein Drittel der Mandate neu vergeben, heuer sind es 35. Davon entscheiden vier bis fünf besonders knappe Rennen über die neue Mehrheit.

Repräsentantenhaus

Funktion: Das Repräsentantenhaus muss – wie der Senat – allen Bundesgesetzen zustimmen. Zudem kann nur das „House“ Budgetgesetze einbringen sowie Amtsenthebungsverfahren einleiten.

Mandate: Jeder der 435 Wahlbezirke in den USA entsendet einen Abgeordneten, die alle zwei Jahre neu gewählt werden. Das bedeutet permanenten Wahlkampf.

Ideologie: Das „House“ ist traditionell stärker ideologisch polarisiert als der Senat. Das hat damit zu tun, dass viele Wahlbezirke relativ homogene Milieus von liberalen bzw. konservativen Wählern bilden. Die Abgeordneten bedienen deren Interessen sowie die ihrer lokalen Geldgeber. Viele von ihnen sind nicht darauf angewiesen, Andersdenkende anzusprechen, und fühlen sich kaum einer Staats- oder Parteiräson verpflichtet.

Mehrheit: Derzeit verfügen die Demokraten über eine knappe Mehrheit von 221 zu 212 Stimmen. Umfragen lassen nun eine deutliche Mehrheit für die Republikaner erwarten.