Long Covid bleibt, 20 Prozent der Betroffenen nicht mehr arbeitsfähig
Vor allem Herzprobleme und das chronische Fatigue-Syndrom machen Long-Covid-Patienten zu schaffen. Unter den 25- bis 45-Jährigen sind etwa zehn Prozent von den Spätfolgen einer Infektion betroffen.
Wien, Berlin, Frankfurt – Die einzelnen Phasen der Covid-19-Pandemie betrafen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in unterschiedlicher Intensität und jeweils unterschiedlichen Weltregionen. Was bleibt, das ist Long Covid. Diese Problematik umfasst am häufigsten Herzprobleme und das chronische Fatigue-Syndrom.
20 Prozent nicht mehr arbeitsfähig
"Wir werden damit rechnen müssen, dass etwa 20 Prozent der von Long Covid Betroffenen nicht mehr ins Berufsleben integriert werden können." Das sagte vor kurzem der Wiener Pneumologe (Klinik Floridsdorf) Arschang Valipour. Die neuesten Daten aus den USA: Laut einer Umfrage sollen dort 7,3 Prozent der Erwachsenen von den Spätfolgen der Infektion betroffen sein, unter den 25- bis 45-Jährigen sogar zehn Prozent.
Der Begriff Long Covid stammt nicht aus der Wissenschaft. Er wurde laut dem deutschen Robert Koch Institut (Berlin) zunächst in den sozialen Medien durch Personen geprägt, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion über lang anhaltende gesundheitliche Einschränkungen berichteten. Die bereits Ende 2020 veröffentlichte Leitlinienempfehlung des britischen National Institute for Health an Care Excellence (NICE) definiert Long Covid als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von vier Wochen fortbestehen oder neu auftreten.
Als Post-Covid-Syndrom werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als zwölf Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können. Somit umfasst "Long Covid" sowohl im Anschluss an eine akute Covid-19-Erkrankung vier bis zwölf Wochen nach Symptombeginn noch bestehende Symptome als auch das "Post-Covid-19-Syndrom".
Bestehende Erkrankungen verschlechtert
Eine deutsche medizinische Leitlinie fügte als mögliches Zeichen eines Status Long Covid/Post Covid auch noch die Verschlechterung vorbestehender Grunderkrankungen hinzu. Es gibt auch offenbar spezifische Organprobleme: Verschlechterungen der Lungenfunktion, Einschränkungen der Nierenfunktion, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Herzmuskelentzündungen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Thromboembolien) und Diabetes mellitus.
Neue Daten liegen zu zwei schwerwiegenden Erscheinungsformen der langfristigen Komplikationen einer SARS-CoV-2-Infektion vor: zu den Herzproblemen und zum chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue-Syndrom).
Herzsymptome noch ein Jahr nach Infektion
Ein Wissenschaftsteam um Valentina Puntmann und Eike Nagel vom Universitätsklinikum Frankfurt und der Goethe-Universität hat rund 350 Menschen ohne zuvor bekannte Herzprobleme nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion in fixen zeitlichen Abständen mehrfach untersucht. Dabei stellten die Forschenden fest, dass mehr als die Hälfte der Probandinnen und Probanden noch knapp ein Jahr später von Herzsymptomen berichteten, wie etwa Belastungsintoleranz, Herzrasen und Brustschmerzen. Die Beschwerden lassen sich laut dieser Untersuchung auf eine anhaltende leichte Herzentzündung zurückführen. Eine ausgeprägte strukturelle Herzkrankheit ist übrigens keine Charakteristik des Syndroms. (Nature Medicine; DOI 10.1038/s41591-022-02000-0).
Die Frankfurter Wissenschafter haben 346 Personen - je zur Hälfte Frauen und Männer - im Alter zwischen 18 und 77 Jahren jeweils rund vier und elf Monate nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion begutachtet. Dafür wurde das Blut der Studienteilnehmer analysiert, MR-Aufnahmen des Herzens angefertigt und ihre Beschwerden anhand standardisierter Fragebögen erfasst und bewertet.
Das Ergebnis: 73 Prozent der Menschen klagten zu Beginn der Studie über Herzprobleme, bei 57 Prozent bestanden diese Beschwerden auch noch bis zu elf Monate nach der SARS-CoV-2-Infektion. Dementsprechend konnten das Wissenschaftsteam eine zwar leichte, aber anhaltende Herzentzündung feststellen, die nicht mit strukturellen Veränderungen der Herzklappen oder Herzwände einherging. Das ist anders als bei solchen Problemen durch andere primäre Erkrankungen.
Das Krankheitsbild erinnert laut den deutschen Experten an die chronischen diffusen Entzündungssyndrome wie etwa bei Autoimmunerkrankungen. Typisch für Long Covid bzw. das Post Covid-Syndrom sind Zustandsbilder mit stark verminderter Leistungsfähigkeit, Abgeschlagenheit etc.
Keine psychosomatische Störung
Wissenschafter der Berliner Universitätsklinik haben schon vor einiger Zeit bewiesen: Es handelt sich dabei um keine psychosomatische Störung, sondern um ein organisches Leiden. Ein wichtiges Diagnosekriterium könnte die Messung der Handkraft sein. Das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS ist vor allem charakterisiert durch eine Schwäche bzw. eine übermäßige Ermüdbarkeit der Muskulatur.
Carmen Scheibenbogen vom Institut für Medizinische Immunologie leitet das Charite Fatigue Centrum, das auf die Diagnostik von ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom) spezialisiert ist. Für eine Studie untersuchten die Wissenschafter 42 Personen, die sich mindestens sechs Monate nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion an das Zentrum gewandt hatten, weil sie noch immer stark an krankhaften Erschöpfungszuständen und einer eingeschränkten Belastungsfähigkeit in ihrem Alltag litten. Die meisten von ihnen konnten lediglich zwei bis vier Stunden am Tag einer leichten Beschäftigung nachgehen, einige waren arbeitsunfähig und konnten sich kaum noch selbst versorgen.
Die Schwere der überstandenen Covid-19-Erkrankung war offenbar nicht entscheidend. Während der akuten SARS-CoV-2-Infektion hatten nur drei der 42 Patienten ein Krankenhaus aufgesucht, aber keine Sauerstoffgabe benötigt. 32 von ihnen hatten einen nach der WHO-Klassifizierung milden Covid-19-Verlauf durchlebt, also keine Lungenentzündung entwickelt, in der Regel jedoch ein bis zwei Wochen lang starke Krankheitssymptome wie Fieber, Husten, Muskel- und Gliederschmerzen empfunden.
Was die Berliner Wissenschafter bisher zu ME/CFS herausgefunden haben: Eine messbar verminderte Handkraft korreliert offenbar mit dem Schweregrad der Probleme und mit der Konzentration des Hormons NT-proBNP, das von Muskelzellen bei zu schlechter Sauerstoffversorgung ausgeschüttet werden kann. Das könnte darauf hinweisen, dass bei ihnen eine verminderte Durchblutung für die Muskelschwäche verantwortlich ist. Die Konzentration von NT-proBNP im Blut ist ein Marker für eine Muskelschädigung und wird zum Beispiel seit Jahren auch dazu verwendet, eine akute Herzschwäche zu diagnostizieren. (APA)
Paxlovid verhindert Long Covid
Mit dem Proteaseenzym-Hemmer Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid) steht ein wirksames Medikament zur Verhinderung schwerer Covid-19-Krankheitsverläufe vor allem bei Risikopersonen zur Verfügung. Laut Experten wird es aber zu selten verwendet. Dabei dürfte das Arzneimittel auch das Risiko für Long Covid statistisch signifikant reduzieren, stellten jetzt US-Wissenschafter in einer Registerstudie fest.
Die wissenschaftliche Untersuchung des US-Epidemiologen Ziyad Al Aly von der Washington University in Sainkt Louis im Bundesstaat Missouri ist vorerst nur als Preprint ohne Begutachtung durch Fachkollegen (Peer Review) erschienen (DOI:10.1101/2022.11.03.22281783). Die Bestimmung der Wirksamkeit von Paxlovid ist aus methodischen Gründen mit einigen Problemen behaftet: Eindeutig in der Zulassungsstudie nachgewiesen wurde ein rund 90-prozentiger Schutz von ungeimpften Personen mit hohem Covid-19-Risiko (schwerer bzw. tödlicher Verlauf). Zu gegen SARS-CoV-2 per Impfung immunisierten Menschen gab es keine entsprechenden Daten.
Gleichzeitig kann man in prospektiven Studien mit per Zufall ausgewählten Personen nach der Datenlage kaum jemand mit einem Covid-19-Risikofaktor das wirksame Arzneimittel verwehren. Die US-Wissenschafter verwendeten deshalb Registerdaten der US-Heeresveteranen-Fürsorge. Aus deren Verzeichnissen wurden die Informationen von 9.217 Covid-19-Patienten mit mindestens einem Risikofaktor (z.B. Adipositas, Diabetes etc.) für einen schweren Krankheitsverlauf entnommen. Alle waren binnen fünf Tagen nach einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion mit Paxlovid behandelt worden. Als Kontrollgruppe dienten die Informationen von 47.123 vergleichbaren Personen ohne Paxlovid-Therapie wegen Covid-19.
Um 26 Prozent seltener Long Covid
Die Ergebnisse waren statistisch signifikant und sprechen für eine medikamentöse Therapie mit der Proteasehemmer-Kombination im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion und Risikofakten. So schrieben die Autoren: "Im Vergleich zur Kontrollgruppe war die Behandlung mit Nirmatrelvir/Ritonavir mit einer geringeren Häufigkeit von Long Covid verbunden (minus 26 Prozent; Anm.). Das umfasste auch eine geringere Häufigkeit bei zehn von zwölf Langzeitkomplikationen von Covid-19 für das Herz-Kreislaufsystem (Rhythmusstörungen, ischämische Herzkrankheiten), Blutgerinnungsstörungen und andere hämatologische Probleme (Beinvenen oder Lungenthrombosen), Erschöpfungszustände, Leber- oder Nierenerkrankungen, Muskelschmerzen, kognitive Störungen oder Kurzatmigkeit."
Innerhalb des Beobachtungszeitraums von 90 Tagen war auch die Mortalität (alle Ursachen) unter den mit Paxlovid Behandelten um fast die Hälfte (minus 48 Prozent) geringer. Es kam zu um 30 Prozent weniger Krankenhausaufnahmen aus jeglichem Grund. Darüber hinaus war der Effekt von Paxlovid über alle Untergruppen nach Art der Covid-19-Erkrankung und Immunstatus etwa gleich: unter Geimpften wie nicht Geimpften, Personen mit Booster-Immunisierung, erster oder weiterer SARS-CoV-2-Infektion. (APA)