„wir: im berg“ im Brux: Der Brennerbasistunnel als Theaterstück
„wir: im berg“ bohrt sich im Brux sprachlich und performativ tief in den Brennerbasistunnel – bis treibender Techno alle Widersprüche wegwalzt.
Innsbruck – Auch an Jahrhundertbaustellen gewöhnt man sich. Und daran, wie sie Land- und Landschaft verändern. Seit 2007 wird für den Brennerbasistunnel gegraben. Fertiggestellt soll der BBT – Stand jetzt – 2032 werden. Kosten wird das Ganze wohl um die zehn Milliarden Euro. In der Literatur hat der Tunnel schon Spuren hinterlassen, da war er noch Absichtserklärung und Machbarkeitsstudie – Anfang der 90er-Jahre entdeckte Kurt Lanthaler dort, wo später gegraben werden sollte, einen ersten „Toten im Fels“. Später, 2010, setzte Barbara Hundegger mit „tunnel ende“ zur Sprachbohrung an.
Und nun also „wir: im berg“, eine „performative Kartierung“ des BBT im Status quo. Der Tunnel wird Theatertext. Die junge Südtiroler Autorin Miriam Unterthiner hat dafür viel Feld- und Vorortforschung in eine Jelinek-light-Textfläche gegossen: Wort- und Sprachakkrobatik mit doppelten Böden, lustig genug, um ernst genommen zu werden, aber auch ernst genug, um Verblödelung zu vermeiden. Michaela Senn setzt Unterthiners Text – nach erfolgreicher Aufführungsserie in der Brixner Dekadenz – nun im Innsbrucker Brux in anschaulicher Abstraktion in Szene: Mittels Loop-Station zimmert sich das feine Ensemble (Margot Mayrhofer, Sabine Ladurner, Daniela Bjelobradi´c und Philipp Rudig) Zugatmosphäre zusammen. Danach wird „graben“ als Lebensform befragt. „Ich grabe, also bin ich“, heißt es von einem dieser Maulwurfsmenschen mit Tunnelblick und Schlafcontainer am Baustellenrand. Große Fragen stehen im Raum: Was wird sein, wenn das Loch im Berg zwischen Innsbruck und Franzensfeste einmal ausgehoben ist? Was, wenn man das Ende der Tage unter Tage nicht erlebt? Was, wenn der Lauch im Garten in besagtem Loch verschwindet? Was, wenn die Milch der Kühe, die auf den Wiesen grasen, die auf den Aushub gepflanzt wurden, nicht schmeckt? Die Politiker grinsen das Ein-Tirol-Grinsen, die Demonstranten sind sich nur im Dagegensein einig.
„wir: im berg“ reißt viele Themen an, geht ihnen nach, dreht sich politisch und wendet sich ästhetisch: Auf sakrales Pathos folgt verbeulte Blasmusik – und alles entlädt sich in treibendem Techno (Musik: Fabian Lanzmair), der noch die letzten Widersprüche aus dem Weg walzt. Spätestens dann ist „wir: im berg“ zum immersiven Überwältigungsversuch geworden – zur Überforderung. Womit auch das Großprojekt BBT – ganz unabhängig davon, wie man dazu steht – recht treffend beschrieben ist. (jole)