Gewachsen über Generationen: Pflege der Tiroler Wälder muss sein
Auch wenn viele Menschen das glauben, sind Tirols Wälder keine unberührte Natur. In ihnen wird gearbeitet, sie werden gepflegt und würden, sich selbst überlassen, ganz anders aussehen.
Von Nico Knappe
Innsbruck – Immer mehr Menschen verlieren den Bezug zur Natur. Im digitalen Zeitalter wird am Computer gearbeitet, mit dem Smartphone kommuniziert und vor dem Fernseher entspannt. Als Reaktion sehnen sich viele nach idyllischen, romantischen Natur-Erfahrungen. Doch große Teile des Tiroler Waldes sind lange nicht so unberührt, wie es auf den ersten Blick scheint.
Michael Weissbacher setzt sich seinen Helm auf, nimmt die Kettensäge in die Hand und steigt einige Meter hangabwärts zu einem gerade geschlagenen Baum ab. Für den Forstwirt aus Auffach im Wildschönauer Hochtal ist der Wald nicht nur Erholungsraum, sondern auch Arbeitsplatz. Er bewirtschaftet mit seinem Vater 30 Hektar Wald an den Osthängen des Schatzbergs. Durch das Waldgebiet verlaufen eine Skipiste und mehrere Wege. „In unserem Wald sind viele Wanderer unterwegs. Die meinen manchmal, da wird gar nichts gemacht“, sagt Weissbacher. Wenn diese Landschaft sich komplett selbst überlassen werden würde, „dann könnten wir hier gar nicht stehen. Es wäre unordentlicher und überwuchert von Brombeer- und Haselnusssträuchern. Mehr Totholz würde herumliegen und wichtige Mischbaumarten wie kleine Tannen und Lärchen würden ungeschützt vom Wild verbissen werden.“
Naturbelassene Gebiete sind landesweit eher die Ausnahme, meint Klaus Viertler, Geschäftsführer des Waldverbandes Tirol. „Unberührten Urwald, der niemals von Menschen beeinflusst wurde, gibt es bis auf wenige kleine Ausnahmen schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr.“ Hierzulande werden die Wälder seit vielen Generationen genutzt und erfüllen unzählige Funktionen, erklärt Viertler. Sie schützen den Boden vor Erosion und damit auch umliegende Häuser und Straßen. Wälder sichern Trinkwasser, frische Luft und sind gleichzeitig Lebensraum mit hoher Artenvielfalt. Außerdem wird in ihnen der Rohstoff Holz gewonnen.
Aber nicht jedes Waldstück darf bewirtschaftet werden. 39 Prozent der Tiroler Waldfläche sind Schutzwald außer Ertrag. Das bedeutet, es dürfen keine Bäume gefällt werden, um sie dann zu verkaufen. Unberührt sind diese Gebiete trotzdem nicht. Denn um die Schutzfunktion vor Lawinen, Steinschlag und Muren zu gewährleisten, werden Tothölzer entnommen und Bäume gefällt, die auf umliegende Häuser oder Straßen fallen könnten.
Gar nicht mehr in Wälder einzugreifen, scheint aber auch keine Option zu sein. Stefan Stadler von der Umweltorganisation Greenpeace meint, es könne problematisch werden, Österreichs Wälder im jetzigen Zustand sich selbst zu überlassen. „Die Menschen haben in der Vergangenheit so stark in dieses Ökosystem eingegriffen, dass sie natürliche Mechanismen durcheinandergebracht haben. Bevor man über ein Aussetzen aller Waldarbeiten sprechen kann, muss das Ökosystem Wald erst wieder resilienter und naturnaher werden. Daran muss jetzt gearbeitet werden, um der Klimakrise und der Artenkrise Einhalt zu gebieten.“
Auch die Weissbachers in Auffach versuchen ihren Wald fit für die Zukunft zu machen, etwa indem sie mehr Laubbäume pflanzen. „Wenn ich eine Buche setze, um sie später zu fällen und das Holz zu verkaufen, verdiene ich 50 Prozent weniger als an einer Fichte. Aber je durchmischter der Wald, desto widerstandsfähiger ist er. Monokulturen sind anfälliger für Sturmschäden, Trockenheit und Schädlinge“, sagt Michael Weissbacher. Auf dem Rückweg zum Wohnhaus der Familie bleibt er noch einmal am Wegesrand stehen und zeigt auf drei nebeneinanderstehende Jungbäume. „Drei Baumarten auf einem Quadratmeter. Da wollen wir hin.“
Die Realität in Tirol sieht jedoch anders aus. Immer noch sind knapp 50 Prozent der Bäume Fichten. Der junge Forstwirt steht nachdenklich vor seinem Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert. „Die Bäume, die hier stehen, haben mein Großvater und mein Vater gepflanzt. Auch ich möchte meinen Kindern einen gesunden Wald überlassen.“
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