Krieg in der Ukraine

Stromversorgung in Ukraine auf Monate labil, Cherson nicht sicher

Die Russen haben in der Region Cherson Zerstörung und Chaos übrig gelassen.
© APA/AFP/GENYA SAVILOV

Angesichts der schweren Zerstörungen im befreiten Cherson hat die ukrainische Regierung die Bewohner aufgerufen, in "sicherere Regionen" umzuziehen. Im Donbass wird weiter heftig gekämpft. Die Stromversorgung bleibt ein Problem.

Kiew (Kyjiw)/Moskau – Das durch russische Raketentreffer schwer beschädigte Stromnetz der Ukraine dürfte auf Monate hinaus äußerst störanfällig bleiben. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, das Land habe am Montag nicht nur mit geplanten Abschaltungen, sondern auch mit plötzlichen Stromausfällen zu kämpfen gehabt. Der Verbrauch übersteige die Stromproduktion, alle müssten Energie sparen. Der Stromversorger Yasno teilte mit, die Ukrainer müssten wohl mindestens bis Ende März mit Ausfällen oder Abschaltungen rechnen.

Während das ukrainische Militär aus dem Kohle- und Stahlrevier Donbass im Osten des angegriffenen Landes weiter heftige Gefechte meldete, gab die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) eine Teilentwarnung: Das von russischen Soldaten besetzte Atomkraftwerk Saporischschja sei trotz des intensiven Beschusses am Wochenende weitgehend intakt.

Cherson für Bewohner nicht sicher

Angesichts der schweren Zerstörungen im befreiten Cherson hat die ukrainische Regierung die Bewohner aufgerufen, in "sicherere Regionen" umzuziehen. Vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen sollten den Winter in Gebieten mit besserer Infrastruktur verbringen, erklärte die Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk am Dienstag. Allerdings ist die Lage derzeit auch in anderen Gebieten der Ukraine schwierig, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montagabend sagte.

Cherson war rund acht Monate unter russischer Besatzung, bevor es am 11. November von den ukrainischen Streitkräften zurückerobert wurde. Die Zerstörungen in der südukrainischen Stadt sind enorm, Strom- und Wasserversorgung sind größtenteils zusammengebrochen.

Die ukrainischen Behörden raten Bewohnern von Cherson, das Gebiet zu verlassen.
© APA/AFP/IHOR TKACHOV

Auch in den anderen Regionen des Landes ist das Stromnetz aufgrund der massiven und gezielten russischen Angriffe schwer beschädigt. "Heute Abend ist die Lage in Kiew und Umgebung sowie in Winnyzja, Sumy, Ternopil, Tscherkassy, Odessa und einigen anderen Städten und Bezirken besonders schwierig", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Er rief regionale und kommunale Verwaltungen auf, die Bürger weiter zum Stromsparen anzuhalten. Auch im öffentlichen Raum müsse Strom gespart werden. Der Verbrauch übersteige nämlich weiterhin die Produktion.

Der Chef des Stromversorgers Jasno, Serhij Kowalenko, sagte am Montag, dass sich die Menschen noch bis Ende März auf Stromabschaltungen gefasst machen müssen. "Auch wenn es jetzt weniger Ausfälle gibt, möchte ich, dass jeder versteht: Wahrscheinlich werden die Ukrainer mindestens bis Ende März mit Ausfällen leben müssen", schrieb Kowalenko auf Twitter.

Winter könnte lebensbedrohlich werden

Die Weltgesundheitsorganisation hatte am Montag gewarnt, dass der Winter "für Millionen von Menschen in der Ukraine lebensbedrohlich sein" werde. "Einfach ausgedrückt: In diesem Winter wird es ums Überleben gehen", sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, in Kiew.

Das britische Verteidigungsministerium sieht die russische Schwarzmeerflotte als verwundbar an. Ein mutmaßlicher ukrainischer Angriff auf Öldepots nahe des russischen Hafens Noworossijsk zeige dies, hieß es am Dienstag im täglichen britischen Geheimdienstupdate zum Krieg. Darin wurde auf russische und ukrainische Medienberichte verwiesen, laut denen es am 18. November an einem Ölterminal, das nahe der russischen Marinebasis liege, zu einem Angriff kam.

Der Winter hält auch in der Ukraine Einzug. Für Millionen Menschen könnte das eine enorme Zusatz-Gefahr darstellen.
© APA/AFP/BULENT KILIC

"Noch sind nicht alle Einzelheiten dieses Vorfalls bekannt", betonte das Ministerium. "Jede Demonstration aber, dass die Ukraine die Fähigkeit besitzt, Noworossijsk zu bedrohen, würde eine weitere strategische Herausforderung für die Schwarzmeerflotte darstellen. Das würde auch den bereits reduzierten maritimen Einfluss Russlands im Schwarzen Meer weiter untergraben", hieß es in London weiter. Medien hatten berichtet, dass wahrscheinlich eine ukrainische Drohne in der Nacht zum 18. November ein Terminal des Ölkonzerns Transneft angegriffen habe. Das Unternehmen wies die Berichte zurück.

Nachdem die Ukraine den russischen Stützpunkt Sewastopol auf der annektierten Halbinsel Krim attackiert hatte, verlegte die russische Marine mehrere U-Boote nach Noworossijsk. Dass nun auch dieser Hafen für die Ukrainer erreichbar sei, sei auch eine Bedrohung für russische Landungsschiffe, die dort stationiert seien, hieß es in London weiter. Diese Schiffe hätten seit der Beschädigung der Kertsch-Brücke im Oktober eine wichtigere Rolle bei der Versorgung der russischen Streitkräfte in der Ukraine übernommen.

Heftige Gefechte im Donbass

Zu den Kämpfen im Donbass teilte der ukrainische Generalstab mit, Russland konzentriere seine Angriffe auf die Städte Awdijiwka und Bachmut im Gebiet Donezk. An anderen Orten sprach der Generalstab von einer «aktiven Verteidigung» der russischen Truppen - dort greifen also offenbar die Ukrainer an. Genannt wurden die Orte Kupjansk und Lyman sowie Nowopawliwka und die Front im Gebiet Saporischschja. Die russischen Truppen wehrten sich mit Panzern, Mörsern, Rohr- und Raketenartillerie, hieß es.

Dem offiziellen Bericht zufolge verstärkten die russischen Truppen in der Südukraine ihre Verteidigungslinien auf dem südlichen Ufer des Flusses Dnipro. Nach inoffiziellen Angaben nimmt die ukrainische Artillerie diesen Raum in Richtung Krim mit ihren weittragenden Geschützen unter Feuer. Russische Militärblogger berichteten von einem erfolgreichen russischen Vorstoß auf den Ort Marjinka bei Donezk. Die ukrainische Stadt Wowtschansk im Gebiet Charkiw wurde am Montagabend von den Geschossen russischer Mehrfachraketenwerfer getroffen, wie örtliche Behörden berichteten.

Ein Soldat in der Region Saporischschja.
© IMAGO/SNA

IAEA: Atombrennstoffe in Saporischschja lagern sicher

Unmittelbare Bedenken wegen der nuklearen Sicherheit des AKW Saporischschja gebe es nicht, sagte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi. Vier IAEA-Experten hätten das größte europäische Atomkraftwerk überprüft. Der Status der sechs Reaktoreinheiten sei stabil. Die Unversehrtheit des abgebrannten Brennstoffs, des frischen Brennstoffs und des schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfalls in ihren Lagern sei bestätigt worden.

Dennoch hätten die Experten vielerorts Schäden auf dem Gelände festgestellt. «Dies ist ein großer Anlass zur Sorge, da es die schiere Intensität der Angriffe auf eines der größten Atomkraftwerke der Welt deutlich macht», sagte Grossi. Das AKW war am Samstag und Sonntag von Dutzenden Granateinschlägen erschüttert worden. Auch in den Monaten davor war die Anlage unter Beschuss geraten. Die Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld dafür.

Das russische Parlament, die Staatsduma in Moskau, will am Dienstag die Erschießung russischer Soldaten bei der Gefangennahme durch ukrainische Soldaten verurteilen. Parlamente anderer Länder sollen aufgefordert werden, sich anzuschließen. Der durch ein Video belegte Vorfall soll sich Mitte November ereignet haben, als die Ukraine den Ort Makijiwka im Gebiet Luhansk im Osten des Landes zurückeroberte. Ukrainischen Angaben zufolge soll ein Russe, statt sich zu ergeben, das Feuer eröffnet haben. Die Ukrainer hätten deshalb in Notwehr auf bereits am Boden liegende Russen erschossen. Das UN-Menschenrechtsbüro hat eine Untersuchung angekündigt. (APA/AFP/dpa)

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