„Bones and All“: Im Schlachthof der Konsumkultur
Luca Guadagnino schickt in „Bones and All“ zwei Heranwachsende auf Reisen – und nützt ihre Lust auf Menschenfleisch als große Metapher.
Innsbruck – Maren ist 18 Jahre alt und hungrig nach Menschenfleisch. Im hochkarätig besetzten neuesten Film von Luca Guadagnino „Bones and All“ wird ihre Coming-of-Age-Geschichte als romantisches Road-Movie erzählt. Nach einem unangenehmen Vorfall, bei dem sie am Finger einer Mitschülerin knabberte, lässt sie ihr Vater auf sich allein gestellt zurück. Auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie nie gekannt hat, begegnen ihr verschiedene andere „Eater“, die ihr zeigen, wie es sich mit dieser moralisch schwierigen Fleischeslust leben lässt.
Ein etwas seltsamer, aber zunächst durchaus netter älterer Mann (etwas übertrieben: Mark Rylance) erklärt ihr seine Regeln in dieser Existenz am Rande der Gesellschaft: „Never ever eat an eater.“ Doch dann trifft sie auf den jungen Lee – gespielt vom abgemagerten Teenie-Schwarm Timothée Chalamet, der hier erneut sein schauspielerisches Können unter Beweis stellt. Als kannibalistisches Liebespärchen driften die beiden durch den Mittleren Westen der USA.
📽️ Video | „Bones and All“: Trailer
Der Filmtrailer von „Bones and All“ ist zu Leonard Cohens spätem Song „You want it darker“ und dessen sinnlich-brutalen Liedzeilen montiert. Das entspricht der Stimmung des Films ganz gut. „Bones and All“ bewegt sich inhaltlich irgendwo zwischen „Interview mit einem Vampir“, „Bonnie & Clyde“ und „Raw“. Wie schon in der Buchvorlage von Camille DeAngelis ist der Hunger nach menschlichem Fleisch eine blutige Metapher. Wofür, bleibt den Zuschauenden überlassen: Drogen-Sucht vielleicht. Andere Abhängigkeiten? Unethischer Konsum im Allgemeinen oder ganz konkret der von tierischem Fleisch? Das legt eine Schlachthofszene im Film recht deutlich nahe. Dennoch wäre es übertrieben, den Amerika-Film des Italieners Guadagnino als große Kritik an US-amerikanischem Kapitalismus und Konsumismus zu lesen. Dafür sind die Bilder der Landschaften zu schön, die Menschen zu cool und die Haltung gegenüber der Road-Movie-Freiheit zu ehrfürchtig.
Das Horror-Element wird in „Bones and All“ nicht überstrapaziert – Schock-Effekte bleiben anregende Ausnahme. Sie bringen Irritation in das ansonsten harmlos-liebe Reise-Romantik-Drama. Guadagnino machte zuletzt mit einem „Suspiria“-Remake von sich reden und startete ebenso wie Chalamet mit der Romanze „Call Me by Your Name“ richtig durch. Hier vermischt er die beiden Genres und erzählt manchmal allzu deutlich. Die Mischung harmoniert trotz handwerklich starker Momente nicht durchgehend und auch die Auflösung stiftet keine Versöhnung. Gut wirkt die melancholisch-sonnige Americana-Stimmung der 1980er-Jahre. Und auch die Darstellenden sind allesamt stark, allen voran die beeindruckende Taylor Russell in der Hauptrolle, die beim Festival von Venedig als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde. (maw)
Info
Bones and All. Ab 16 Jahren. Ab Donnerstag in den Kinos.