Dostojewskijs „Dämonen“

Das alte Mütterchen Russland und seine zerzausten Kinder

Brillieren als harte Gegenspieler in Dostojewskijs Geisterwelt: Nicholas Ofczarek als Stawrogin (oben) und Jan Bülow als Pjotr.
© Matthias Horn

Eine herausfordernde, letztlich lohnende Geduldprobe: Dostojewskijs Roman „Die Dämonen“ am Burgtheater.

Wien – Dostojewskij ist „unerschöpflich“, sagt Swetlana Geier, die gefeierte Übersetzerin der „fünf Elefanten“, der fünf großen Romane des russischen Weltliteraten. Ihre Übertragung des 1873 veröffentlichten Werks „Die Dämonen“, bei Geier „Böse Geister“, liegt der von Sebastian Huber für das Burgtheater erarbeiteten Bühnenfassung zugrunde, die den Roman unter Verzicht auf einiges Figurenpersonal und Szenen weitgehend gelungen in ein entsprechend enges Zeitkorsett von vier Stunden zwängt.

In der Regie von Johan Simons ist nun, Aufmerksamkeit vorausgesetzt, ein aufregendes Konversations- wie Reflexionsstück zu sehen, das in vielerlei Themensträngen - Glaube, Moral, Despotismus versus Freiheit, generell das „in die (welche?) Welt geworfen sein“, mit dem jedes Individuum zu kämpfen hat – alarmierend an das Jetzt heranführt. In einem schmutzig goldfarbenen Guckkasten ohne sichtbare Ausgänge, auf und zwischen allerlei Sesseln und Fauteuils (Bühne: Nadja Sofie Eller) vertreibt sich ein Menschenzoo aus Adeligen, Bürgern, Kleinbürgern und gesellschaftlich Abgehängten die bleierne Zeit im schon merklich dem Untergang geweihten Zarenreich. Greta Goiris hat sie alle in entsprechende Kostüme gesteckt, Versatzstücke von Garderoben des 19. Jahrhunderts, Kasacks, überweite Hosen, Zeitgenössisches und ein bisschen Glitzer illustrieren das Unwägbare. Maria Happel dirigiert in der Rolle der vermögenden Witwe Warwara Stawrogina ihre Entourage mit beeindruckender Verve und nachvollziehbarem Entsetzen über die ihr entgleitenden Ränke und Intrigen.

Oliver Nägele verkörpert berührend den ihr ergebenen Dichter Stepan Werchowenskij, wie Warwara ein Kind vergangenen Glanzes, dessen Sohn als „böser Geist“ einen schlussendlich (fast) alle ins Verderben reißenden Flächenbrand in den Gehirnen und Gemütern auslösen wird. Jan Bülow ist dieser Pjotr, er begeistert als skrupelloser Zündler mit der nahezu kindlichen Lust zu herrschen und zu zerstören. Eine Art Gegenspieler ist Warwaras Sohn Nikolaj Stawrogin, dem Nicholas Ofczarek mit Bart und langem Haar gleichsam popenhafte Züge verleiht. Nikolaj erkennt Pjotrs ideologische Grausamkeit und dessen Gefährlichkeit, was Ofczarek, auch körpersprachlich, exzellent vermittelt. Ebenso wie er seinen Selbstmord im Wissen um seine zahlreichen Verfehlungen glaubhaft macht. Sarah Viktoria Frick spielt eine der drei mit Nikolaj verstrickten Frauen, ihre von Dostojewskij als geistig und körperlich beeinträchtigt gezeichnete Marija Lebjadkina ist mit den abwegig-tänzerischen Schrittchen erfrischend „anders“, gebucht zudem, als Einzige „Wahrheiten“ auszusprechen. Auch Birgit Minichmayr als reiche Lisa Tuschina stellt eine klarsichtige Frau auf die Bühne, vibrierend in ihrer Existenz zwischen Langeweile und Ausbruchslust. Erschöpfter, anerkennender Applaus.