„Lakmé“-Premiere am Landestheater: Die magische Kraft von Pausentee
Oper und Fußball haben mehr gemeinsam als landläufig angenommen. Bei der letztlich mitreißenden Premiere von „Lakmé“ am Tiroler Landestheater gibt es zwei gänzlich unterschiedliche Halbzeiten.
Innsbruck – Welche Zutaten der in der Künstlergarderobe verabreichte Pausentee auch immer beinhaltet haben mag: Die Rezeptur sollte man sich merken! Als Premierengast bei Léo Delibes’ Oper „Lakmé“ am Tiroler Landestheater erlebte man vorgestern Samstag nämlich zwei grundverschiedene Spielhälften: schläfrig-mühsam der Beginn, glorios und fulminant Teil 2 nach dem Break. Bisher kannte man eine derart wundersame Leistungssteigerung eher vom Fußball (falls ein solcher Vergleich in Zeiten einer per Ferndiagnose bekrittelten Weltmeisterschaft überhaupt noch zulässig ist).
Im ersten Akt von „Lakmé“ bewegt sich das Geschehen jedenfalls gefährlich in Richtung „War das alles?“. Es tut sich nicht viel. Ein Trupp komischer Käuze britischer Herkunft, Offiziere samt Anhang, stakst neugierig durch den Schauplatz Indien im 19. Jahrhundert. Zu einer Zeit somit, als sich Britanniens Krone den Subkontinent als Kolonie einverleibt hatte.
Erwartbar entwickelt sich der Plot. Romantisch veranlagter Besatzer-Offizier namens Gérald verliebt sich, wiewohl verlobt, in geheimnisvolle junge Inderin namens Lakmé. Es ist ein Projekt auf Gegenseitigkeit, auch wenn Lakmé Übles schwant. Ihr gestrenger Vater Nilakantha (dunkel und gebieterisch: Bassbariton Matthias Hoffmann), ein Brahmanenpriester mit großem Fanklub, würde die Eindringlinge aus Europa lieber heute als morgen aus dem Land werfen.
Einen gesanglichen Höhepunkt hat Komponist Delibes in Akt 1 eingebaut: das weithin bekannte „Blumenduett“. Viele haben sich dieses honigsüßen Zweier-Gesangs schon bedient, vom Vampirfilm „Begierde“(1983) bis hin zu einem Tiroler Marmeladegroßbetrieb, der damit streichfähige Waren bewirbt.
Sopranistin Judith Spießer (Lakmé) und Mezzo Irina Maltseva (als deren Vertraute Mallika) geben den floralen Gassenhauer tadellos (vielleicht mit etwas zu viel Power). Im Saal macht es trotzdem nicht „klick“. Da kann sich das von Tommaso Turchetta mit feiner Hand geleitete Tiroler Symphonieorchester Innsbruck im Graben noch so sehr abmühen.
Oper am Tiroler Landestheater
Dramatisch und bunt: „Lakmé“ zum ersten Mal am Tiroler Landestheater
Reichlich gemischte Gefühle somit beim eigenen Pausengetränk im Foyer.
Und dann das: Akt Numero 2 und 3 warten plötzlich mit allem auf, was Musiktheater bewirken kann: berühren, bezaubern, begeistern.
Die Schlüsselszene der gesamten Oper gelingt grandios. Die „Glöckchenarie“ Lakmés, ein Hindernisparcours nach Noten, schwindelerregend hoch, gespickt mit Koloraturen, skandalös schwierig, ist der Höhepunkt des Abends. Diesen zu erleben, lohnt allein den Besuch. Judith Spießer meistert dieses Bravourstück unfassbar gut, kristallklar sauber erklingt ihr Sopran. Anhaltender, begeisterter Zwischenapplaus.
Stark ist hier auch die Bildsprache von Regisseur Hinrich Horstkotte: Ein wahrer Rausch an Farben, Lakmé/Spießer windet sich dazu vielarmig, einer indischen Gottheit gleich, zum Gesang. Dieser dient als Lockmittel, erzwungen vom sinistren Priester-Vater in der Absicht, den unerwünschten Lover Gérald zu eliminieren.
Tenor Jon Jurgens, anfangs sehr zurückhaltend und brav, zeigt jetzt seinerseits groß auf. Sein schmachtender, sehnsuchtsvoller – und vergänglicher – Liebesgesang geht unter die Haut. Lakmé und Gérald sind Liebende ohne jede Chance, gefangen in den Konventionen ihrer Zeit.
Die Kostüme hat Regisseur Horstkotte selbst ersonnen. Er lehnt sich wohl daran an, was beim Entstehen von „Lakmé“ vor 140 Jahren unter Exotik à la Indien verstanden wurde. Als da wären: wallende bunte Umhänge in poppigen Farben, Pluderhosen, Säbel, dazu allerhand mysteriöse Blüten, Blumen und Gewächse unter einem Bühnen-Firmament in Sattblau mit funkelnden Sternen. Ganz sicher ist das nicht zu dünn aufgetragen. Es fehlt eigentlich nur noch, dass eine Königskobra, hübsch beflötet, gen Himmel züngelt.
Hinrich Horstkotte inszeniert zum ersten Mal im Auftrag des Tiroler Landestheaters (für die Festwochen der Alten Musik hat er vor einigen Jahren schon gearbeitet). Mit Delibes’ „Lakmé“ wurde dem Deutschen eine Oper überantwortet, die in Innsbruck noch nie zu sehen war.
„Lakmé“ bedeutet somit lokal ein Novum in mehrfacher Hinsicht. Ein absolut sehenswertes Novum, notabene.
🎭 Lakmé. Nächster Termin: 30.11. www.landestheater.at