Hoffen auf den „Paris-Moment“: UN-Artenschutzkonferenz startet in Kanada
Parallel zur Klimakrise gibt es eine Biodiversitätskrise: Viele Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht – und damit auch die Grundlage des menschlichen Lebens. Auf einem Gipfel in Kanada soll nun dagegen vorgegangen werden, die Erwartungen sind gemischt.
Montreal – Die Hoffnung ist groß: Nicht weniger als einen „Paris-Moment für den Artenschutz“ erhoffe sie sich vom Weltnaturgipfel (genannt CBD-15 oder auch COP-15) im kanadischen Montreal, sagt Elizabeth Maruma Mrema, die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention. In Paris hatten sich 2015 die Teilnehmer der UN-Klimakonferenz darauf geeinigt, die Erderhitzung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen – das gilt bis heute als großer Durchbruch.
Vom 15. Weltnaturgipfel, der am Mittwoch (7. Dezember) in Montreal beginnt und bis zum 19. Dezember angesetzt ist, erhoffen sich die OrganisatorInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen nun ähnliches: Ein richtungsweisendes globales Abkommen für den Artenschutz. „Ehrgeizig und transformativ“ müsse es sein, fordert Mrema – denn es gehe um nicht weniger als das Überleben der Menschheit. „Es wird nicht leicht, es wird harte Arbeit, aber es ist entscheidend, um die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten sicherzustellen.“
Eines der Hauptziele der Konferenz ist es, mindestens 30 Prozent der weltweiten Landes-und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Eine wichtige Rolle bei den anstehenden Verhandlungen spielt auch eine solide Finanzgrundlage für den globalen Artenschutz.
Das Artenschutz-Abkommen werde dringend gebraucht, sagt Mrema. „Unsere Welt schreit nach Veränderung. Der derzeitige Zustand der Biodiversität ist schlimm. 90 Prozent der Ökosysteme weltweit sind verändert worden, eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Unser Planet steckt in der Krise.“
Österreichs Strategie wartet auf Beschluss
Was bei Klimaschutzkonferenzen die Klimaschutzziele („Nationally Determined Contributions“, NDCs) sind, sind beim Erhalt der Biodiversität die nationalen Strategien- und Aktionspläne (NBSAP) der Vertragsstaaten, also die jeweiligen Biodiversitätsstrategien.
Auch Österreich hat auf Basis der EU-Vorgaben eine solche Strategie erstellt, der nächste Schritt ist jedoch noch ausständig. Vor einer Woche wurde die Regierung in einem Offenen Brief des Österreichische Biodiversitätsrats, der Kommission für interdisziplinäre ökologische Studien (KIÖS) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgefordert, die Strategie noch vor dem Beginn der CBD-15 (oder COP-15) in einem Ministerrat zu beschließen. (Die Abkürzung CBD steht für „Convention on Biological Diversity“, Deutsch: Konvention über biologische Vielfalt bzw. Biodiversität. „COP“ steht für „Conference of the Parties“, Deutsch: Vertragsstaatenkonferenz).
Auf jeden Fall wird Österreich mit einer Delegation des Umweltministeriums nach Kanada reisen und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) wie zuvor bei der UN-Klimakonferenz in Ägypten in der zweiten Woche teilnehmen. Gewessler sieht keine einfachen Vorzeichen: Die EU stehe zwar für ambitionierte Ziele, die nun auch global verankert werden sollen, „aber es gibt eben auch viele Bremser – die weiterhin die rücksichtslose Ausbeutung unserer Natur vorantreiben. Und dabei zukunftsvergessen die eigene Lebensgrundlage zerstören. Das sind schwierige Voraussetzungen für eine Einigung“, lautet ihre Einschätzung.
„Größtes Artensterben seit der Dinosaurierzeit“
Wir erlebten derzeit das „größte Artensterben seit der Dinosaurierzeit“, allerdings sei es diesmal wissenschaftlich belegt ein menschengetriebener Prozess, sagt auch Heike Vesper vom Naturschutzbund WWF Deutschland. „Die biologische Vielfalt ist aber die Grundlage für unser Überleben und auch für unsere Wirtschaft.“
So viel hänge von der Biodiversität ab, zum Beispiel große Teile unserer Nahrung, Rohstoffe, sauberes Wasser, saubere Luft und viele Medikamente. In den vergangenen 50 Jahren habe sich die Weltbevölkerung verdoppelt, die Wirtschaft vervierfacht und der Welthandel verzehnfacht. „Wir Menschen nehmen einfach mehr, als die Erde uns geben kann.“ Christof Schenck, Träger des Deutschen Umweltpreises 2022 und Geschäftsführer der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, spricht in Hinblick auf die Artenvielfalt von einem „Massensterben“.
Durchwachsene Vorzeichen
Ursprünglich hätte der 15. Weltnaturgipfel – der auch unter dem Kürzel „CBD-15“ läuft – schon 2020 in China stattfinden sollen, wurde dann aber wegen der anhaltenden pandemischen Lage dort verschoben und zerteilt. Der erste Verhandlungsteil fand im vergangenen Oktober hauptsächlich online in Kunming statt, der zweite nun in Montreal, allerdings weiter unter chinesischem Vorsitz. Zwischendurch gab es zahlreiche Vorbereitungstreffen auf verschiedenen Ebenen und an verschiedenen Orten.
Die Vorzeichen für Montreal sind durchwachsen: Schon im Vorfeld habe es „gewisse Spannungen“, vor allem politisch-diplomatischer Natur zwischen der chinesischen Präsidentschaft und Teilnehmerstaaten gegeben, sagt Florian Titze vom deutschen WWF. Eine vorbereitende Resolution für das Treffen wurde beispielsweise von der UN-Vollversammlung nicht wie eigentlich üblich im Konsens verabschiedet. Außerdem lud die chinesische Präsidentschaft keine Staats- und Regierungschefs zu dem Gipfel ein – deswegen werden nun auch – zumindest offiziell – erstmal keine erwartet.
„Kommt offen und flexibel nach Montreal, bereit dafür, einen Kompromiss zu schließen“, bittet Mrema, die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention. Die nächste Herausforderung sei dann allerdings die Umsetzung. „Ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können“ bringe gar nichts, sagt Mrema – und davor warnt auch Titze vom WWF: „Wir sind in der Vergangenheit immer an der Umsetzung gescheitert, nicht an den Zielen.“ (dpa/APA, TT.com)
📸 Greenpeace projiziert Botschaft auf UNO-City
Im Vorfeld der 15. UN-Artenschutzkonferenz hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace Montagabend die 300 Quadratmeter große Botschaft „Stoppt das Artensterben. Jetzt!" auf die Wiener UNO-City projiziert. Nicht nur in Österreich, sondern auch in zehn weiteren Ländern machte die Organisation auf die Artenkrise aufmerksam. Damit will Greenpeace die Forderung nach einem starken Artenschutzabkommen mit einem konkreten Umsetzungsplan unterstreichen.
Greenpeace setzt sich dafür ein, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent aller Meeres- und Landflächen unter Wahrung der Rechte von indigenen Bevölkerungen unter strengen Schutz gestellt werden sollen. Zudem solle der Finanztopf für den internationalen Artenschutz massiv aufgestockt werden. Entschieden spricht sich die NGO gegen Kompensationszahlungen aus. „Bloße Augenauswischereien wie Ausgleichszahlungen bringen uns nicht weiter. Die Zerstörung wertvoller Naturräume muss endgültig gestoppt werden. Nur so können wir das dramatische Artensterben aufhalten und unsere Lebensgrundlage langfristig sichern", sagte Ursula Bittner, Artenschutz-Expertin bei Greenpeace in Österreich.
Bittner zufolge brauche es ein ehrgeiziges Abkommen ähnlich dem Pariser Abkommen der UN-Klimaschutzkonferenz (COP21), um die Bedrohung der Artenkrise abzuwenden. Eine Million Arten seien weltweit bereits vom Aussterben bedroht, auch die österreichische Tier- und Pflanzenwelt stehe unter großem Druck. Greenpeace wünscht sich anders als bei den 2010 im japanischen Aichi ausgehandelten Biodiversitätszielen konkrete Indikatoren und Meilensteine. Von den Aichi-Zielen sei Bittner zufolge noch kein einziges erreicht worden: „Messbare Ziele, konkrete Umsetzungspläne sowie regelmäßige Kontrollen sind dringend erforderlich. Nur so können wir echte Erfolge im internationalen Artenschutz erzielen."