Kroatien tritt 2023 Schengen-Raum bei, Österreich blockiert Rumänien und Bulgarien
Österreich stimmte gegen die Schengen-Aufnahme von Bulgarien und Rumänien. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) begründet dies mit der hohen Zahl von Asylanträgen in Österreich und fordert weitere Maßnahmen der EU-Kommission.
Brüssel – Der Weg für den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen ist frei. Darauf verständigten sich die zuständigen Minister der 26 Schengen-Staaten am Donnerstag bei einem Treffen in Brüssel. Die Kontrollen an den Landgrenzen des beliebten Urlaubslands zu anderen Schengen-Staaten sollen bereits Anfang des kommenden Jahres wegfallen. An den Flughäfen soll es ab Frühjahr keine Kontrollen mehr geben.
Für Touristen dürfte die Reise in das Adria-Land also deutlich einfacher werden. Bislang stehen Reisende im Sommer oft stundenlang im Stau, um ins Land zu kommen. Kroatien führt Anfang 2023 zudem den Euro als Zahlungsmittel ein.
Eine große Enttäuschung mussten dagegen Rumänien und Bulgarien hinnehmen. Ihre Aufnahme in den Schengen-Raum wurde vor allem durch Österreich blockiert. Die derzeitige tschechische Ratspräsidentschaft versuchte zwar noch mit mehreren Kompromissvorschlägen, einen Beschluss für alle drei Länder zu erzielen – letztlich aber erfolglos.
„Ich werde heute gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien stimmen”, betonte Karner am Donnerstag im Vorfeld des Treffens. „Es ist falsch, dass ein System, dass an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird.” Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister. Ein weitere Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, würden die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengenraum zeigen. Karner sprach sich für eine Verschiebung der Abstimmung über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens aus: „Es ist jetzt die Unzeit dazu, diesen Schritt zu machen.”
Gegen die Aufhebung der Kontrollen zu Bulgarien zeigten auch die Niederlande Widerstand, etwa wegen rechtsstaatlicher Bedenken.
Verärgert über Österreich zeigte sich am Donnerstag der rumänische Innenminister Lucian Bode. „Rumänien wird nur eines verlangen – Respekt”, sagte Bode vor dem Innenministertreffen laut der rumänischen Nachrichtenagentur Agerpres und sprach sich erneut gegen eine Verschiebung der Entscheidung aus. „Die Argumente Rumäniens sind bekannt und werden von der tschechischen Präsidentschaft, der Europäischen Kommission und den meisten Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Österreich, unterstützt”, so der rumänische Innenminister.
Rumänien hatte sich noch am Mittwochabend erfolglos bemüht, Österreich umzustimmen. Der rumänische EU-Abgeordnete Eugen Tomac berichtete nach der EVP-Fraktionssitzung in Wien, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe „jedes rationale Argument” zurückgewiesen. Es sei eine der angespanntesten politischen Sitzungen gewesen, die er je erlebt habe, so Tomac laut Agerpres. „Er hat alles, was die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, verworfen, jeden Bericht und jede Statistik geleugnet. Er hat einfach eine absurde Entscheidung getroffen. Er will Rumänien einfach nur auf inakzeptable Weise demütigen”, schrieb der EVP-Abgeordnete auf Facebook. Am Mittwochabend versuchte auch noch Rumäniens Regierungschef Nicolae Ciuca laut Agerpres Nehammer in einem Telefonat umzustimmen. Bulgarien drohte zuvor mit nicht näher definierten „Gegenmaßnahmen” im Falle einer Ablehnung des Beitritts.
📽️ Video | Feichtner (ORF) über Treffen in Brüssel
Deutschland befürwortete ebenso wie die EU-Kommission, neben Kroatien sowohl Bulgarien als auch Rumänien vollständig in den Schengen-Raum aufzunehmen. Die drei Länder sind schon jetzt zum Teil an die Schengen-Regeln gebunden, doch wurden die Kontrollen an den Binnengrenzen zu ihnen bislang aufrechterhalten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Donnerstag, sie könne die Haltung Österreichs nicht nachvollziehen. „Es wurde vereinbart, dass geguckt wird: Sind Fortschritte erzielt worden? Sie sind erkennbar erzielt worden.” Diesen Fortschritt hatte den drei Ländern wiederholt auch die EU-Kommission bescheinigt. „Die drei Beitrittskandidaten haben getan, was sie tun mussten, und sie sind bereit, den Schutz unserer Außengrenzen zu gewährleisten”, sagte Kommissionsvize Margaritis Schinas mit Blick auf die Bedenken aus Wien. „Es ist ungerecht, ihnen nicht die Chance zu geben, die sie verdient haben und die ihnen zusteht.”
Die bestehenden Schengen-Mitglieder müssen einer Aufnahme eines weiteren Landes einstimmig zustimmen. Neben 22 EU-Mitgliedsländern gehören die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein zum Schengenraum. Normalerweise finden auf diesem Gebiet keine stationären Grenzkontrollen statt. Insbesondere nach der Migrationskrise im Jahr 2015 wurde dieses Prinzip von einer Reihe von Staaten, darunter Österreich, ausgesetzt.
Migrationszahlen rechtfertigen Veto nicht
Die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger zieht die österreichische Argumentation gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien in Zweifel. "Rein geografisch fällt Bulgarien sowieso als relevante Route für Menschen, die visafrei nach Serbien reisen, weg. Und nur 3% (!) aller Asylwerbenden in Ö nahmen den (Um-)Weg über Rumänien", schreibt Kohlenberger am Donnerstag auf Twitter.
Kohlenberger erntete für ihre Aussage umgehend Widerspruch aus dem Innenministerium. Die Zahl der über Rumänien geschleppten Personen gehe in die Tausenden und sei "weit höher" als die genannten drei Prozent, betonte der Leiter der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt, Gerhard Tatzgern, am Donnerstag im APA-Gespräch. Genaue Zahlen konnte er nicht nennen. Er argumentierte jedoch mit der Nationalität der in Rumänien verhafteten Schlepper. 260 der 460 Schlepper in dem Schengen-Anwärterland seien Einheimische, so Tatzgern. Zwar sei die serbisch-ungarische Grenze "sicher der Hauptübertretpunkt" für illegale Migration, doch würden die Erkenntnisse dafür sprechen, dass "eine gar nicht so kleine Menge" von Migranten auch über Rumänien komme.
In einer der APA übermittelten Information hatte es geheißen, dass Rumänien für Schlepper "oft" als Route zwischen Serbien und Ungarn gewählt werde. Die Schlepperrouten nach Österreich würden "vermehrt über Rumänien und Bulgarien" führen. Absolute Zahlen enthielt die Information nicht. Vielmehr wurden einzelne Daten hervorgehoben, etwa, dass Rumänen unter den Top 4 der Schlepper in Österreich seien oder dass 50 Prozent der Personen aus Bangladesch erklärt hätten, über Rumänien gereist zu sein. Nicht erwähnt wurde, dass laut der aktuellen Statistik gerade einmal ein Prozent aller Asylanträge in Österreich von Personen aus Bangladesch stammen.
Relevanter scheinen die vom Innenministerium genannten Daten zu Bulgarien. Demnach erklärten 78 Prozent der Afghanen in Österreich, zunächst nach Bulgarien gekommen zu sein. Laut der aktuellsten Asylstatistik wurden heuer 23 Prozent der Asylanträge von Afghanen gestellt, gefolgt von Syrern (18 Prozent). Insgesamt 30 Prozent der Anträge gehen auf das Konto von Indern und Tunesiern, die von der visafreien Einreise nach Serbien profitieren. Diese müssen ein bestehendes Schengen-Land durchqueren, um nach Österreich zu kommen.
Kohlenberger übt vor diesem Hintergrund scharfe Kritik an der Position Österreichs. "Warum Rumänien & Bulgarien die Schuld zugeschoben bekommen, aber nicht Ungarn oder gar Kroatien, das systematisch weiter push-backt, ist irrational und heuchlerisch." Statt ein Veto gegen die Schengen-Erweiterung einzulegen solle sich die Regierung in Wien für eine faire Verteilung von Asylsuchenden auf EU-Ebene einsetzen, die Einhaltung von Grundrechtsstandards in Griechenland erwirken, "damit sich Flüchtlinge nicht auf den Weg in die restliche EU machen", sowie "Ungarn für das Weiterwinken sanktionieren und nicht gemeinsame PKs abhalten, um sich vorführen zu lassen". (APA, dpa, TT.com)
Baerbock kritisiert Wien wegen Veto bei Schengen-Entscheidungen
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat Österreich angesichts von dessen Veto gegen eine Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum scharf kritisiert. "Ich hätte mir heute nicht nur eine andere Entscheidung gewünscht, bei der auch Bulgarien und insbesondere Rumänien mit in den Schengen-Raum aufgenommen würden, sondern es ist eine schwere Enttäuschung", sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag bei einem Besuch in der irischen Hauptstadt Dublin.
"Dass das jetzt aufgrund des österreichischen Vetos und dieser erzwungenen Entscheidung anders gekommen ist, halte ich europapolitisch und geopolitisch für mehr als falsch."
"Statt eines guten und starken Tages für Europa haben wir heute einen schlechten Tag für Europa", kritisierte Baerbock. "Und ich glaube, da sollte jeder selbst reflektieren, ob das wirklich die richtige Entscheidung gewesen ist." Die deutsche Bundesregierung und auch sie selbst am Telefon hätten bis zur letzten Minute darum gekämpft, dass Bulgarien und insbesondere Rumänien mit in den Schengen-Raum aufgenommen würden. "Wir hätten am Ende dieses so harten, um nicht zu sagen brutalen europäischen Jahres einen weiteren Schritt der Vertiefung Europas gehen können", sagte Baerbock. Dies sei nun anders gekommen.