Rumänien ruft Botschafter zurück

Heftige Kritik in EU, Van der Bellen bedauert: Österreichs Schengen-Veto sorgt für Aufregung

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) blockierte mit seinem Veto die Schengen-Aufnahme von Bulgarien und Rumänien
© AFP

„Wir werden einen Preis für diese Entscheidung zahlen“, kommentiert Bundespräsident Alexander Van der Bellen das österreichische Veto, das einen Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum verhindert. Rumänien greift unterdessen zu drastischen diplomatischen Mitteln, um die Eiszeit zwischen Bukarest und Wien zu signalisieren. Auch aus anderen EU-Staaten kommt heftige Kritik an Österreich.

Wien ‒ Nach dem Veto Österreich gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien steht Österreich weiter international in der Kritik. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat den Schritt "außerordentlich" bedauert. Österreich befinde sich wegen des Zustroms von Flüchtlingen und Migranten zwar in einer äußerst schwierigen Situation. "Aber die Verbindung, die Verknüpfung dieses Problems mit dem Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, muss ich leider gestehen, die sehe ich nicht", so Van der Bellen am Freitag.

Ich sehe nicht, wie diese Blockade des Schengen-Beitritts Rumäniens irgendetwas ändert an der Situation in Österreich.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen

"Ich sehe nur, dass wir uns eine Menge Unwillen zugezogen haben auf europäischer Ebene", fügte der Bundespräsident hinzu.

Van der Bellen rechnet damit, dass die österreichische Wirtschaft wegen dieser Entscheidung einen Preis zu zahlen haben werde. Die Entwicklung dürfte einerseits das inländische Tourismus treffen, wenn weniger Touristen aus Rumänien ankommen. Anderseits hob der Präsident hervor, dass Österreich mit erheblichen Direktinvestitionen in Rumänien aktiv ist. "Wir werden sehen, wie die rumänischen Konsumenten auf diese Entwicklung reagieren", sagte er. "Ein wirtschaftlicher Preis ist in meinen Augen unvermeidlich", betonte Van der Bellen.

📽️ Video | Veto sorgt für Enttäuschung und Kritik

Grüne kritisieren Koalitionspartner ÖVP

Auch der Grüne Koalitionspartner steht nicht hinter der Entscheidung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). "Der Vizekanzler hat es auch bereits klargestellt, dass wir da Veto Österreichs nicht unterstützt haben", sagte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) am Freitag in Brüssel.

"Uns gehts vor allem um eine europäische Lösung, der erste Schritt zu dieser europäischen Lösung ist natürlich der Beitritt Kroatiens, und Bulgarien und Rumänien gehören zu europäischen Familie dazu und innerhalb der europäischen Familie ist die Freizügigkeit groß geschrieben", so Zadic. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass "wir da sehr bald sehr rasche europäische Lösung finden werden".

Rumänien ruft Botschafter nach Hause zurück

Rumänien greift nach dem Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt des Landes zu drastischen diplomatischen Mitteln, um die Eiszeit zwischen Bukarest und Wien zu signalisieren: Das rumänische Außenamt rief am Donnerstag seinen Botschafter in Österreich, Emil Hurezeanu, für Konsultationen in das Heimatland zurück.

Der Beschluss stelle eine "politische Geste" dar, um Rumäniens Position gegenüber der Haltung Österreichs zu verdeutlichen, die man dezidiert missbillige, hieß es in einer Aussendung des Außenministeriums in Bukarest. Das Außenministerium schwieg sich darüber aus, für wie lange Zeit Rumäniens Botschafter in Österreich seinem Posten fernbleiben wird.

📽️ Video | Riss zwischen Rumänien und Österreich

Italien: "Trauriger Tag für die EU"

Unverständnis über die Entscheidung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) äußerten auch die in Migrationsfragen als Hardliner bekannten Rechtsregierungen in Italien und Ungarn. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi sprach am Donnerstagabend von einem "traurigen Tag für die EU" und einer "enttäuschenden Sitzung". Beim Treffen der EU-Innenminister sei er "Zeuge der unverständlichen und ungerechtfertigten Demütigung zweier Länder wie Bulgarien und Rumänien" geworden, erklärte Paintedosi. Bulgarien und Rumänien würden nicht in den Schengen-Raum aufgenommen werden, "obwohl sie alle Voraussetzungen dafür mitbringen". Die beiden Länder würden "einen wichtigen Beitrag zur Kontrolle der Ostgrenzen der EU leisten und dies in einer Zeit, in der Europa nicht in der Lage ist, die Kontrolle seiner Außengrenzen zu gewährleisten", so der italienische Innenminister.

Er sei sicher, dass die Positionen der EU-Länder, die immer noch dagegen sind, im Lichte einer starken Initiative der EU-Kommission überdacht werden könnten. Denn der freie Personenverkehr innerhalb sicherer Grenzen liege im Interesse aller.

Ungarn: Wird mit zweierlei Maß gemessen

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó zeigte sich ebenfalls enttäuscht, dass der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengenraum abgelehnt worden seien, "obwohl beide es verdient hätten". Szijjarto kritisierte, dass zwischen Ungarn und Österreich mit zweierlei Maß gemessen wurde. Die Ablehnung sei auf ein Veto Österreichs und der Niederlande zurückzuführen, während "alle anderen dafür waren", so Szijjarto laut der ungarischen Nachrichtenagentur MTI.

Er bedauerte, dass die "jammernden Journalisten des liberalen Mainstreams, die Brüsseler Bürokraten und die Minister der liberalen Regierungen" geschwiegen hätten, während alle neuen Positionen der ungarischen Regierung mit "lautstarker" Kritik bedacht würden. "Wenn ein mitteleuropäisches Land sein Veto einlegt, ist das das Ende der Welt und die Zerstörung der europäischen Einheit, während ein Veto der Westeuropäer in Ordnung ist", sagte er.

Edtstadler: Veto nicht gegen zwei Staaten gerichtet

EU-Ministerin Edtstadler zeigte sich am Freitag um Beruhigung bemüht. "Das Veto von Österreich gegen die Schengen-Erweiterung richtet sich nicht gegen zwei Mitgliedstaaten, sondern gegen ein System, das derzeit nicht funktioniert", erklärte sie in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Die Kritik Rumäniens und Bulgariens wies Edtstadler zurück. "Den sicherheitspolitischen Bedenken Österreichs mit der Ankündigung von wirtschaftlichen und bilateralen Konsequenzen zu begegnen, ist anti-europäisch und strikt zurückzuweisen", kritisiert die EU-Ministerin.

Die EU könne die Grenzen nach innen nur öffnen, wenn jene nach außen geschützt seien. "Das ist derzeit nicht ausreichend der Fall. Österreich findet sich in einer Situation wie ein Staat an der Außengrenze, allerdings ohne dementsprechende Unterstützung. Wir fordern daher die Einhaltung geltenden EU Rechts und die Solidarität aller Mitgliedsstaaten der EU ein.", so Edtstadler, der Aktionsplan der EU-Kommission zur Bekämpfung der illegalen Migration am Westbalkan sei ein erste wichtiger Schritt sieht.

Internationale Pressestimmen zu Österreichs Schengen-Veto

Republica (Bukarest):

"Was Bundeskanzler Karl Nehammer und dessen Partei sich geleistet haben, stellt neben einer Demütigung Rumäniens einen wahren Putsch gegen die Europäische Union dar. Das SS-Sturmbannführer-Gehabe Nehammers, der jüngst mit glasigem Blick eine Lüge nach der anderen und eine Reihe erstaunlicher Absurditäten auftischte, dürfte nicht bloß dem Fußtritt für Rumänien Nachdruck verliehen haben, sondern gleichsam auch eine Botschaft an alle `Reichsbürger ́ gewesen sein, an die gesamte rechtsextreme, europafeindliche, antidemokratische und Putin-freundliche Szene - und eventuell auch eine Hommage an Jörg Haider.

Man hat sich unwillkürlich daran erinnert gefühlt, dass Hitler österreichischer Abstammung war. Die Konsequenzen werden gravierend sein - Bulgarien hat immerhin im Vorfeld der Abstimmung bereits angekündigt, im Fall eines Vetos sämtliche Beschlüsse auf EU-Ebene boykottieren zu wollen, die das Migranten-Problem betreffen."

Spotmedia (Bukarest):

"Österreichs Veto gegen Rumäniens Beitritt zum grenzkontrollfreien Schengenraum stellt de facto das schwerwiegende Scheitern der Europäischen Union unter Beweis, deren Glaubwürdigkeit damit offen in Frage gestellt wurde. Diesen Fakt hat Deutschland bestens verstanden und sich mit aller Kraft für Rumänien eingesetzt. EU, EU-Kommission und Deutschland sind jedoch von einem politischen Hooligan in Geiselhaft genommen worden, der in Brüssel voll und ganz auf seine eigenen wahlkampfpolitischen Interessen gesetzt hat.

Die EU hätte diesen Kampf unter keinen Umständen verlieren dürfen. Die Niederlage stellt einerseits die Oberflächlichkeit der europäischen Diplomatie unter Beweis, die diese Krise nicht hat kommen sehen, und andererseits die Impotenz der EU-Kommission sowie der EU insgesamt. Auch Österreich wird das gestrige Votum nichts Gutes bringen. Sein Bundeskanzler gefährdet die europäische Solidarität, wartet mit Fake-Zahlen auf und demütigt nicht bloß zwei Länder - Rumänien und Bulgarien - sondern die gesamte Europäische Union. Das wird zweifelsfrei seinen Preis haben."

Die Welt (Berlin):

"Wenn man jetzt die Bulgaren und Rumänen ausschließt, ist das reine Symbolpolitik. Und zwar zulasten von Ländern, die einerseits von der EU profitieren, andererseits mit Arbeitslosigkeit und Abwanderung in den reicheren Westen einen nicht geringen Preis für ihr Europäertum zahlen. Wer wie Österreich blindlings Rumänien und Bulgarien für den Zustrom von Migranten über die Balkanroute verantwortlich macht, übersieht mala fide, dass das wichtigste Einfallstor Griechenland längst zum Schengenraum gehört.

Bei der Mafia sollte man eher an Neapel und Palermo (gehören zu Schengen) denken als an Bukarest oder Sofia. Und die Schmuggelprofite der Drogenkartelle in den Häfen von Antwerpen und Rotterdam würden den ganzen Balkan locker in eine florierende Schweiz verwandeln. Die Zeit, mit dem Finger auf die armen Verwandten im Osten zu weisen und dadurch die rechtsstaatliche Krise der EU im Westen zu verschleiern, sollte endlich vorbei sein."

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"Es ist nicht schwer erkennbar, dass die österreichische Regierung innenpolitische Motive dafür hat, eine Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum zu blockieren. Der regierenden ÖVP sitzt die EU- und migrationsskeptische FPÖ im Nacken. Auch die niederländische Regierung trägt solchen heimischen Stimmungen Rechnung. Das ist in Entscheidungsprozessen unter Demokratien aber legitim, und zumindest im Fall Bulgariens auch nicht so weit hergeholt, wie die EU-Kommission oder die deutsche Innenministerin sagen.

Die 281.000 irregulären Grenzübertritte, die Frontex dieses Jahr schon registriert hat, zeigen, dass an den EU-Außengrenzen grundsätzlich etwas schiefläuft. Da reicht es nicht, bulgarische `Fortschritte ́ zu preisen oder dem Land eine `Chance ́ zu geben. Zum Beitritt muss es in der Lage sein, die Grenze verlässlich zu sichern."

Süddeutsche (München):

"Dass Karner und Nehammer Kroatien durchwinkten, ist den guten Beziehungen zwischen den beiden Regierungen geschuldet. Außerdem wollte man wohl nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Kroatien-Urlauber weiterhin an der Grenze im Stau stehen. Österreichs schwarz-grüne Regierung handelte offensichtlich aus innenpolitischen Gründen, sie wollte der rechtspopulistischen FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen. (...)

`Schengen ́ steht für eine der großen, identitätsstiftenden Erfolgsgeschichten Europas, das grenzüberschreitende Reisen ohne Kontrollen. Voraussetzung für den Abbau von Schranken im Inneren ist jedoch die Sicherung der Außengrenzen. Auch wenn Österreichs Regierung an diesem Tag isoliert dastand: Die stetig wachsende Zahl von Migranten, die nach Europa kommen, stellt das System infrage und macht vielen Staaten Sorgen."

Visegrad Insight (Warschau):

"Drittens ist die Tatsache, dass Österreich nach der ungarischen Gewohnheit, sein Veto zu nutzen, um Zugeständnisse in nicht verwandten Bereichen zu erzwingen, damit beginnt, dasselbe zu tun, ein besorgniserregendes Zeichen für das, was in der europäischen Politik bevorstehen könnte, insbesondere im Zusammenhang mit dem systemischen Druck durch den Krieg in der Ukraine, der die europäische Einheit mehr denn je erfordern wird.

Es gibt bereits Rufe nach einer Gegenreaktion Rumäniens in Fragen, die für Österreich wichtig sind. Wenn die Angelegenheit im Frühjahr 2023 gelöst wird, besteht die Chance, dass diese Krise nicht zu irreparablen Schäden führt. Sollte sich Österreich jedoch weiterhin gegen den Beitritt Rumäniens wehren, dann ist mit einer weitreichenden Kontamination des Kontinents in anderen, noch sensibleren Fragen zu rechnen."

24 Tschassa (Sofia):

"Die gute Nachricht, die die schlechte enthält, ist, dass sie uns gemeinsam mit Rumänien nicht in den Schengenraum hineinließen. (...) Rumänien hat allerdings einen strategischen Vorteil im Gegensatz zu uns (Bulgarien) - es ist einfach ein viel größeres Land. Und die EU kann es sich nicht leisten, dass ein solches Territorium abgesondert wird, das zusammen mit Bulgarien, Nordmazedonien (im Original steht nur "Mazedonien") und Griechenland ein bedeutender Teil Europas ist.

Und zu den Tatzen des russischen Bären geschoben wird. Wollen wir hoffen, dass sobald die Lokalwahlen in den feindlich gesinnten Ländern (die sich dem Schengen-Beitritt widersetzt haben) vorbei sind, sie verstehen werden, dass sie einen strategischen Fehler gemacht haben."