Krieg in der Ukraine

Kiew bestätigt Luftangriffe auf russisch besetzte Gebiete

Ein ukrainischer Soldat im Raum Donezk.
© APA/AFP/IHOR TKACHOV

Russland hat offenbar im Osten der Ukraine eine Offensive gestartet. Auch im Norden will man die ukrainischen Truppen ein Stück weit zurückgedrängt haben. Die ukrainischen Truppen greifen indes die von den russischen Angreifern besetzte Stadt Melitopol an.

Kiew/Moskau – Der ukrainische Generalstab hat am Sonntag eine Reihe von Luftangriffen gegen Ziele in den russisch besetzten Gebieten des Landes bestätigt. Zeitgleich seien seit Samstagabend eine Reihe von Kommandostellen, Unterkünften und Nachschublagern mit Rohr- und Raketenartillerie beschossen worden, heißt es in der Mitteilung der Militärführung in Kiew. Die genauen Ziele wurden jedoch nicht genannt.

Allerdings habe auch die russische Luftwaffe am Sonntag mehrere Angriffe geflogen. "Und es besteht immer noch die Gefahr, dass der Feind Angriffe mit Raketen und Drohnen gegen Objekte der energetischen Infrastruktur auf dem gesamten Gebiet der Ukraine führt."

Von russischer Seite waren am Samstagabend mehrere Artillerieangriffe des ukrainischen Militärs unter anderem auf die russisch besetzte Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine gemeldet worden. Zudem war die russische Flugabwehr über der Region aktiv geworden, ebenso wie bei Simferopol auf der Krim.

Nach Angaben der von Russland installierten Besatzungsverwaltung wurden bei den Angriffen auf Melitopol zwei Menschen getötet und zehn verletzt. Auch der im Exil befindliche ukrainische Bürgermeister der strategisch wichtigen Stadt bestätigte den am Samstagabend begonnenen Angriff und sprach von Dutzenden getöteten "Invasoren". Unabhängig bestätigen lassen sich die Angaben nicht.

Im Osten der Ukraine haben sich russische und ukrainische Truppen schwere Kämpfe geliefert. Russische Truppen setzten am Samstag ihre Vorstöße bei Bachmut und Awdijiwka im Donbass fort, während ukrainische Truppen eine Reihe von russisch besetzten Städten unter Artilleriebeschuss nahmen. Explosionen wurden auch von der Krim gemeldet, als dort die russische Flugabwehr aus noch ungenannten Gründen aktiv wurde.

Der Feind hat seine Taktik geändert.
Serhij Tscherewatyj (Armee-Sprecher)

"Der Donbass ist die Hauptfront im Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine", sagte Serhij Tscherewatyj, Sprecher der Heeresgruppe Ost der ukrainischen Streitkräfte, am Samstag im Fernsehen. Im Mittelpunkt der Kämpfe standen demnach der Verkehrsknotenpunkt Bachmut und die Kleinstadt Awdijiwka. "Der Feind hat seine Taktik geändert", sagte Tscherewatyj. Anstelle von Angriffen größerer Einheiten erfolgten nunmehr Attacken kleinerer Gruppen, dabei vor allem der Söldnertruppe "Wagner", unterstützt von Rohr- und Raketenartillerie. "Wir analysieren diese Taktik und finden für jedes militärische Gift ein Gegengift."

Zuvor hatte bereits das russische Militär von seiner Offensive in der Region berichtet. "Im Raum Donezk haben die russischen Einheiten ihre Angriffe fortgesetzt und den Gegner aus seinen befestigten Stellungen vertrieben", sagte Armeesprecher Igor Konaschenkow am Samstag in Moskau. Auch im Norden zwischen den Kleinstädten Kreminna und Lyman habe man Stellungen erobert. Unabhängig ließen sich die Angaben nicht überprüfen. Bereits seit Wochen gibt es Berichte, wonach die ukrainische Armee im Gebiet Donezk in der Defensive ist und versucht, ihre Verteidigungslinien vor der Industriestadt Donezk und östlich des Ballungsgebiets zwischen Slowjansk und Kramatorsk zu halten.

Russland berichtet von ukrainischen Angriffen auf Melitopol

Ukrainische Truppen griffen indes am Sonntag die von Russland besetzte Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine an. Der im Exil lebende Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, teilte auf Telegram mit, bei dem Angriff sei eine Kirche getroffen worden. Diese hätten die russischen Besatzer in einen Versammlungsort umgewandelt.

Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS gehören zu den effektivsten Waffen, die die Ukraine einsetzt. Das russische Verteidigungsministerium erklärte am Sonntag, in den vergangenen 24 Stunden hätten seine Luftverteidigungskräfte in der Nähe der Städte Donezk und Melitopol fünf von HIMARS abgefeuerte Raketen abgefangen.

Wenn Melitopol fällt, bricht die gesamte Verteidigungslinie bis nach Cherson zusammen. Die ukrainischen Streitkräfte erhalten einen direkten Weg zur Krim.
Olexij Arestowytsch (Selenskyj-Berater)

Olexij Arestowytsch, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sagte, Melitopol sei der Schlüssel zur Verteidigung des Südens der Ukraine. Die Stadt ist ein wichtiges Industrie- und Verkehrszentrum und seit März von Russland besetzt. „Die gesamte Logistik, die die russischen Streitkräfte im östlichen Teil der Region Cherson und bis zur russischen Grenze in der Nähe von Mariupol verbindet, wird darüber abgewickelt", sagte Arestowytsch in einer Video-Aufnahme in den sozialen Medien. „Wenn Melitopol fällt, bricht die gesamte Verteidigungslinie bis nach Cherson zusammen. Die ukrainischen Streitkräfte erhalten einen direkten Weg zur Krim."

Laut der Nachrichtenagentur Ukrinform haben indessen russische Truppen die Region Cherson im Laufe des vergangenen Tages 45 Mal angegriffen. Dabei sollen zwei Zivilisten getötet und fünf verletzt worden sein, habe der Leiter der Militärverwaltung der Region Cherson, Jaroslaw Januschewytsch, über Telegramm erklärt, berichtet die Agentur.

Russische Flugabwehr aktiv

Die ukrainischen Streitkräfte beschossen indes Donezk am Samstag nach Angaben der russischen Behörden mehrfach aus Raketenwerfern. Dabei seien auch der Busbahnhof im Zentrum sowie eine Schule getroffen worden, berichtete die russische Staatsagentur Tass. Donezk ist die größte Stadt in der gleichnamigen Region, die von aus Moskau unterstützten Separatisten zur unabhängigen Volksrepublik erklärt wurde. Inzwischen hat Moskau das Gebiet völkerrechtswidrig annektiert. Russland hatte das Nachbarland Ende Februar überfallen.

Deutschland sichert Kiew weitere Waffen zu

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, hat nach eigenen Angaben in Berlin Zusagen für weitere Waffenlieferungen an sein Heimatland erhalten. "Im direkten Gespräch wurden uns mehr Waffen und weitere Munition zugesichert. Welche, werden wir zu gegebener Zeit gemeinsam bekanntgeben", sagte Makeiev in einem Interview mit der "Welt am Sonntag".

Er wolle die Regierung in Berlin nicht diplomatisch unter Druck setzen, sondern erreichen, dass Deutschland das, was es hat, schneller liefert. "Denn wir haben keine Zeit, um länger auf Waffen zu warten." An der Front würden dringend weitere Flugabwehrsysteme, Panzerhaubitzen, Geparde und Munition gebraucht. "Außerdem sind wir weiter im Gespräch über die Lieferung von Marder- und Leopard-Panzern. Die Entscheidung darüber liegt aber bei der Bundesregierung", sagte der Botschafter.

In den von russischen Truppen besetzten Gebieten der Ukraine wurde am Samstagabend nach Militärangaben die Flugabwehr aktiv. Sowohl aus Simferopol auf der Krim als auch aus Melitopol im Südosten der Ukraine gab es Berichte über den Einsatz der Luftverteidigung, wie Tass meldete. Anwohner berichteten in sozialen Medien von zahlreichen Detonationen am Himmel. Es gab keine Angaben über die Art des möglichen Angriffs oder dessen Auswirkungen.

Stromversorgung zusammengebrochen

Nach den jüngsten russischen Drohnenangriffen auf Odessa ist die Stromversorgung weitgehend zusammengebrochen. Mehr als 1,5 Millionen Menschen in der südukrainische Hafenstadt – aber auch anderen Städten und Dörfern – seien derzeit ohne Strom, berichtete Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Nur Einrichtungen wie Krankenhäuser und Entbindungsstationen würden noch mit Strom versorgt, teilte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Kyrylo Tymoschenko, im Messengerdienst Telegram mit. Die Situation sei "schwierig, aber unter Kontrolle". Nach Angaben der Regionalverwaltung dürfte es mehrere Wochen dauern, die Schäden am Energienetz zu beheben.

Russland hatte Odessa in der Nacht auf Samstag nach Darstellung des ukrainischen Militärs mit mehreren Kampfdrohnen aus iranischer Produktion angegriffen. Dabei seien zehn von 15 Drohnen von der Flugabwehr abgeschossen worden. Das russische Militär greift seit Wochen gezielt die Anlagen der ukrainischen Energie-Infrastruktur mit Raketen und Kampfdrohnen an. Ziel ist es, die Bevölkerung in diesem Winter unter Druck zu setzen.

Russland will in besetzten Gebieten Rubel durchsetzen

Die von Russland installierte Verwaltung in den besetzten Gebieten von Cherson begann unterdessen nach eigenen Angaben mit dem Einzug der ukrainischen Währung Hrywnia. Sie werde in russische Rubel umgetauscht, teilte die Besatzungsverwaltung mit. Von 1. Jänner an solle nur noch der Rubel in Umlauf sein. In einem von der Verwaltung auf Telegram veröffentlichten Video sagte der Chef des örtlichen Ablegers der russischen Zentralbank, Andrei Peretonkin, dies diene der Bequemlichkeit der Einwohner und einer reibungslosen Integration der Region in die Russische Föderation.

Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas drängt Deutschland und andere Bündnispartner zu weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine. "Ich fordere alle Verbündeten einschließlich Deutschlands dringend auf, alles in die Ukraine zu schicken, das sie braucht, um sich zu verteidigen", sagte die Ministerpräsidentin der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn alle Verbündeten schon im Januar oder Februar Waffen geschickt hätten, wären viele Menschenleben gerettet worden." Estland, eines der kleinsten EU-Länder, hatte anders als Deutschland bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar Waffen in die Ukraine geliefert. (APA/dpa/Reuters/AFP)

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