Nehammer kündigt neue Hilfen für Unternehmen an und verteidigt Schengen-Veto
Bundeskanzler Karl Nehammer will aufgrund der deutschen Maßnahmen nun auch in Österreich weitere Hilfen für Unternehmen aufsetzen – um einen Wettbewerbsnachteil zu verhindern. Über einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien will Nehammer erst wieder reden, wenn der dortige Grenzschutz verbessert sei.
Wien, Kiew, Moskau – Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kündigt einen weiteren Energiekostenzuschuss für Unternehmen an. Aufgrund des neuen deutschen Modells für eine Gaspreisbremse habe man hier einen Nachbesserungsbedarf – es dürfe keinen Wettbewerbsvorteil für die deutsche Industrie geben, so der Kanzler in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag. Die Maßnahme werden gerade zwischen Finanz-, Wirtschafts- und Infrastrukturministerium verhandelt und soll noch vor Weihnachten vorliegen.
Von den angekündigten zusätzlichen 500 Mio. Euro zur Ausweitung des Wohn- und Heizkostenzuschusses sollen 50 Mio. Euro für Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit reserviert werden. "Wenn Delogierungen drohen, soll damit gegensteuert werden", so Nehammer.
📽️ Video | Nehammer zu Maßnahmen gegen Energiekrise
Scharfe Kritik an Kickl wegen Haltung im Urkaine-Krieg
Scharf ging Nehammer mit dem FPÖ-Chef und dessen Kritik an den Sanktionen gegen Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs ins Gericht: "Was der radikalisierte Herbert Kickl mit seiner FPÖ von sich gibt ist reiner Unsinn." Dessen Aussagen seien "gleichlautend mit der russischen Kriegspropaganda." Und: "Warum wir heute in schwierigen Zeiten leben, ist Schuld des Krieges und nicht der Sanktionen."
Wenig gibt der Kanzler und ÖVP-Chef auf derzeitige Umfrageergebnisse, die seine Partei nur auf Platz drei sehen. Die einzigen Zahlen, die ihn bis zu nächsten Nationalratswahl 2024 interessieren, seien die Höhe der Inflationsrate und der Gas-Speicherstände. Stimmenanteile seien erst am Wahltag relevant. Dass es derzeit nicht gerade einfach sei, ÖVP-Obmann zu sein, sei "kein Geheimnis", gab Nehammer zu. Angesichts der Krisen sei das aber ziemlich nebensächlich. "Glauben Sie wirklich, dass mich so eine Umfrage erschüttert, wenn ich sie sehe?"
📽️ Video | Zu Russlands Krieg gegen die Ukraine
Neubewertung bei Schengen erst nach Änderung der Lage
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will über einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien erst wieder reden, wenn der Grenzschutz dort verbessert worden sei und sich die Situation in Österreich gebessert habe. Es liege an der EU-Kommission, die Vorschläge des österreichischen Innenministeriums aufzugreifen, so Nehammer. „Dann kann man über einen Fahrplan reden."
„Wenn ich einen Schengenraum haben möchte, brauche ich starke Außengrenzen, damit Grenzen nach innen abgebaut werden können", betonte Nehammer. Das funktioniere aber schon sehr lange nicht. „Von 100.000 Asylwerbern müssen wir als Binnenland bei 75.000 die Erstregistrierung vornehmen?", meinte der Kanzler in Richtung EU. Dass Schengen nicht funktioniere, zeigten die zahlreichen Binnenkontrollen im EU-Raum. Das könne man nicht einfach zur Kenntnis nehmen und die nächste Erweiterung planen.
Die Boykottdrohungen gegen österreichische Firmen aus Rumänien und Bulgarien kann Nehammer nicht nachvollziehen. Es sei „absolut unzulässig, sicherheitspolizeiliche und wirtschaftspolitische Themen zu vermengen." Die EU sei in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass Deutschland zweieinhalb Jahre lang Österreichs Schengen-Beitritt blockiert habe. Eine Vermischung von Sicherheits- und Wirtschaftsfragen sei nicht zielführend. Österreich habe immer ein Hilfsangebot für die rumänischen und bulgarischen Behörden gestellt.
Nehammer will Asyl und Zuwanderung trennen
Die Themen Asyl und Zuwanderung will Nehammer streng voneinander trennen. „Wir haben uns immer für qualitative Zuwanderung ausgesprochen." Österreich brauche aber arbeitswillige und arbeitsfähige Menschen – und nicht solche, die auf Initiative von Schleppern nach Österreich gekommen seien. „Wenn es uns nicht gelingt, Asyl und Migration zu trennen, tun wir auch dem Thema Asyl nichts Gutes."
Nehammer plädierte für ein ordentlichen Weg der Zuwanderung – etwa für Menschen aus Indien. „Aber wir treffen die Entscheidung, wer kommt, nicht die organisierte Kriminalität." Wenn sich Inder in ein Flugzeug nach Belgrad setzen, weiter in die EU reisen und dort dann Asyl beantragen, wo es ihnen am besten gefalle, habe das nichts mehr mit einem Schutz vor Verfolgung zu tun. „Da reden wir von Migration."
Beim Verhältnis zu Ungarn möchte Nehammer „zwei Wege gehen": Einerseits müsse man die Rechtsstaatlichkeit in der EU unterstützen und auf der anderen Seite brauche man die sicherheitspolizeiliche Kooperation mit dem Staat: „Wir sind eben auch Nachbarn." Wie sich Österreich im Verfahren wegen Bedenken zur Rechtsstaatlichkeit Ungarns verhalten werde, wollte Nehammer noch nicht entscheiden. Man stehe erst am Anfang des Prozesses und kenne noch nicht alle Unterlagen. Bisher seien aber die Regierungschefs immer den Vorschlägen der Kommission gefolgt. (TT.com, APA)
Reaktionen
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sah im "Pressestunden"-Auftritt Nehammer in einer Aussendung ein „Spiegelbild der bisherigen Performance" der Regierung. „Eine Stunde lang erfolglose Selbstverteidigung gegen die Kritik des Nichts-Tuns und Scheiterns in den wichtigen politischen Bereichen Teuerung, Energiesicherheit und Migration".
Die FPÖ ortet beim Kanzler ein „Abschieben der Verantwortung" und das „Schönreden von Versagen" gepaart mit einer „ordentlichen Portion Wehleidigkeit und Realitätsverweigerung". „Wenn es noch einen weiteren Beweis gebraucht hätte, dass Österreich besser heute als morgen in Neuwahlen gehen muss, Nehammer hat ihn heute geliefert", so Generalsekretär Michael Schnedlitz.
Die Wirtschaftskammer (WKÖ) reagierte indessen erfreut über die vom Kanzler angekündigten weiteren Hilfen für Unternehmen rund um die Preissteigerungen für Energie. „Das ist ein wichtiges Signal an die Betriebe vor Weihnachten. Es geht um rasche Planungssicherheit für 2023, denn für 83 Prozent der heimischen Unternehmen sind die Energiekosten derzeit die größte Herausforderung", sagte WKÖ-Präsident Harald Mahrer am Sonntag laut einer Aussendung.
Analyse
Nehammer für Schengen-Veto: Getrieben von Partei und den Umfragen
Leitartikel