„Guillermo del Toro’s Pinocchio“: Trickfilmzauber ohne Zeigefinger
Eigentlich ein zu großer Film für den kleinen Bildschirm.
Innsbruck – Wie gern hätte man dieses Wunder im Kino erlebt. Doch in Tirol findet sich keines, das den großen Trägheitsbeschleuniger Netflix zu eher ungünstigen Konditionen bewerben will, weshalb „Guillermo del Toro’s Pinocchio“ andernorts in ausgewählten Lichtspieltheatern läuft – und hierzulande nur mittels Patschenkinoabo abrufbar ist. Das Abo allerdings lohnt sich für diesen Film, der eben nicht oder jedenfalls nicht maßgeblich an hochtourigen Rechnern entstanden ist, sondern in Stop-Motion-Technik mit Puppen und viel Fitzelarbeit also. Del Toro, für „Shape of Water“ (2018) mit zwei Oscars und dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, hat sich dafür mit Mark Gustafson zusammengetan, der schon bei Wes Andersons „Der fantastische Mr. Fox“ (2009) Versprechen einlöste, die sich zuvor kaum hätten formulieren lassen.
Als Buch erschienen „Pinocchios Abenteuer“ von Carlo Collodi 1883. 1940 hat Walt Disney ihnen mit Blick aufs junge Publikum alle Ecken und Kanten abgeschliffen. Seither wurde „Pinocchio“ immer wieder verfilmt. Zuletzt legten die Disney-Studios vor wenigen Wochen einen einfallsarmen Nachbau des eigenen Trickfilms mit Tom Hanks vor.
Del Toro weiß um die vielfältige Rezeptionsgeschichte – und er nützt sie für seine Zwecke: Inzwischen ist mit dem Buben aus Pinienholz alles möglich. Der Film entfernt sich von seiner Vorlage – und wird ihr gerade deshalb gerecht. Diesmal spielt die Geschichte in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Und Pinocchio, das Stück Holz, dem die Waldgeister Leben eingehaucht haben, soll gleich mehreren Wichtigtuern beim Aufstieg auf der faschistischen Karriereleiter helfen. Allein wie „Pinocchio“ die schwarze Pädagogik im italienischen Führerstaat vorführt, beeindruckt. Schon in „Pans Labyrinth“ (2006) hat del Toro vom Faschismus mit den Mitteln des finsteren Märchens erzählt. Auch „Pinocchio“ ist eine großartig-groteske Abrechnung mit Totalitarismus.
Vor allem aber ist „Pinocchio“ ein konsequenter Film über Tod und Trauer, er erlaubt sich große Gefühle und kleine Gefühlsduseleien, lässt herzhaft lachen, ungläubig staunen und verstohlen weinen. Mit dem fauligen Moralismus erhobener Zeigefinger, der „Pinocchio“-Filme oft so schwer verdaulich macht, hält sich hier niemand auf. Pinocchio muss sich die „Normalität“ nicht verdienen, sondern darf sich als das durchaus anarchisch feiern, was er eben ist. Selbst sein Hang zur Notlüge wird nicht nur verteufelt. Im Kino kann das Lügen Leben retten. Und im Heimkino neuerdings eben auch.