Nach langem Ringen: EU-Gaspreisdeckel beschlossen, kritische Stimmen aus Österreich und dem Kreml
Kampf gegen hohe Strom- und Gaspreise: Nach monatelangem Ringen haben sich die EU-Staaten auf eine Begrenzung der Gaspreise verständigt. Der Deckel greift bei 180 Euro – und nur unter bestimmten Umständen. Der Kreml bezeichnete den Gaspreisdeckel als „inakzeptabel". Heftige Kritik kommt von Österreichs Hoteliers.
Brüssel – In der Europäischen Union sollen die Großhandelspreise für Gas künftig unter bestimmten Umständen gedeckelt werden. Die Energieminister der EU-Staaten einigten sich am Montag auf die Möglichkeit eines solchen Markteingriffs, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte. Der Mechanismus kann demnach ab dem 15. Februar aktiviert werden.
Der Gaspreis im europäischen Großhandel soll demnach unter bestimmten Bedingungen begrenzt werden, wenn er 180 Euro pro Megawattstunde übersteigt. Wird dieser Mechanismus ausgelöst, wird der Preis bei maximal 35 Euro pro Megawattstunde über dem internationalen Preis für Flüssiggas (LNG) gedeckelt.
„Es handelt sich nicht um einen festen Deckel, sondern einen dynamischen Deckel", sagte der tschechische Industrieminister Jozef Sikela. Der Mechanismus stelle sicher, dass der Preis nicht übermäßig über den tatsächlichen LNG-Preis hinausschieße.
Eine Reaktion folgte prompt: Der Kreml hat die von der EU beschlossene Obergrenze als „inakzeptabel" bezeichnet. Es handle sich um eine „Verletzung des Prozesses der Preisbildung auf dem Markt", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. „Jede Bezugnahme auf eine ,Deckelung' (der Preise) ist inakzeptabel", betonte er.
Heftige Kritik am Energiepreisdeckel
Kritik kam am Abend auch von der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). „Die EU braucht ein Dreivierteljahr für die Einigung auf eine Notmaßnahme, die dann erst ein weiteres Vierteljahr später in Kraft tritt. Das ist ein Elfmeter für alle EU-Kritiker“, kritisiert ÖHV-Präsident Walter Veit via Aussendung.
„Wenn der Preisdeckel am 15. Februar ausgelöst werden kann, ist die kälteste Zeit des Jahres vorbei. Davon profitieren Energieerzeuger. Unternehmen und Privatpersonen, die im Winter heizen müssen, zahlen Länge mal Breite drauf“, monierte ÖHV-Präsident Walter Veit via Aussendung. Auch, dass die so dringend benötigte Entscheidung so verschleppt wurde, schade der EU, so Veit:
Der EU sei dringend geraten, ihre Prozesse zu optimieren. Gefordert sieht Veit jetzt die Bundesregierung: Der Energiekostenzuschuss 2 müsse rasch finalisiert werden, der EU-Beihilferahmen voll ausgenützt, um so Wettbewerbsnachteile der heimischen Betriebe so schnell wie möglich abzufedern.
Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte die Entscheidung. Die EU setze ein „Wohlstandszerstörungsprogramm" um und die Regierung schaue zu.
Die Befürchtung Deutschlands sowie der Niederlande und Österreichs blieb bis zuletzt, dass bei einem Deckel Flüssigerdgas nicht mehr nach Europa kommen könnte. Bei einem Mangel würden dann Verteilungskämpfe unter den Staaten ausbrechen, die die EU vor eine Zerreißprobe stellen würden.
Österreich enthielt sich der Stimme
Unter anderem Deutschland hatte sich lange gegen einen solchen Mechanismus gesträubt. Das Land hatte befürchtet, dass dann die Versorgungssicherheit gefährdet wäre, weil Lieferanten ihr Gas etwa an asiatischen Märkten verkaufen könnten, wo sie höhere Preise erzielen könnten. Deutschland stimmte nach Angaben von drei EU-Vertretern für den Kompromissvorschlag, Österreich enthielt sich.
„Ich bin überzeugt, dass er ein Beitrag sein kann, um in Zukunft absurde Auswüchse bei den Gaspreisen zu verhindern. Gleichzeitig wurde jedoch heute in letzter Minute eine Ausweitung auf weitere Gasbörsen neben dem TTF in die Verordnung aufgenommen. Und diese Ausweitung kann auch Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben. Das gilt gerade für Österreich. Auch wenn wir uns in großen Schritten von der russischen Abhängigkeit lösen, brauchen wir diese Lieferungen aktuell noch", erklärte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) in einem Statement nach dem Beschluss.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) begründete seine Zustimmung mit verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen, die vorgesehen sind. „Wir haben jetzt sehr viele Instrumente definiert, die die Gefahr eines unbedachten Effekts deutlich reduzieren", sagte Habeck am Rande eines Sondertreffens der für Energie zuständigen EU-Minister in Brüssel. Wenn dann Gas zurückgehe, wenn rationiert werden müsse oder wenn der Handel zurückgehe, werde der Mechanismus wieder ausgesetzt.
Kompromissvorschlag auch von Tschechien
Das Vorhaben betrifft grundsätzlich Großkunden, die am TTF handeln - nicht Endverbraucher. Verbraucherpreise werden indirekt durch die Preise im Großhandel beeinflusst.
Tschechien hatte für die Sitzung einen neuen Kompromissvorschlag vorgelegt: Danach soll der Deckel greifen, wenn der Gas-Preis drei Tage über 188 Euro pro Megawattstunde und zudem 35 Euro über dem Weltmarktpreis für Flüssiggas (LNG) liegt. Nachdem der Mechanismus in Kraft gesetzt wäre, müsste der Preis stets 35 Euro über dem LNG-Weltmarktpreis liegen, nicht aber unter 188 Euro fallen. Sollte es aber zu einem Gas-Mangel in der EU oder einem Mitgliedsstaat kommen, wird der Deckel wieder aufgehoben, heißt es in dem Papier, das die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte.
Derzeit liegt der Gaspreis deutlich unter 180 Euro, im Sommer notierte er allerdings noch bei zeitweise 350 Euro. Experten halten es für möglich, dass er nach einem harten Winter wieder auf über 200 Euro steigt, wenn die Staaten zum Frühjahr ihre Speicher füllen müssen. (APA/Reuters/dpa, TT.com)