Langzeitstudie: Wie sich Bürger und ihre Politiker auseinanderlebten
Die Menschen halten ihre Vertreter zunehmend für korrupt. Vertreten fühlen sie sich schon lange nicht mehr. Auf dieses Ergebnis kam eine Langzeitstudie von Hajek und Ulram.
Wien ‒ Die Momentaufnahme klingt dramatisch. „Politiker sind korrupt und bestechlich“: Zustimmung 64 Prozent. „Politiker kümmern sich redlich um ihre Wähler“: Zustimmung 21 Prozent. „Politiker kümmern sich nicht viel um das, was Leute wie ich denken“: Zustimmung 75 Prozent.
Die Zahlen kommen aus einer Studie der Politologen und Umfrageexperten Peter Hajek und Peter Ulram. Sie haben die Momentaufnahme ans Ende einer zum Teil 50 Jahre zurückreichenden Langzeitbeobachtung gestellt. Ihr Befund: Das Image der Politiker hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch abgebaut. Ein Beispiel: 1981 hielten 38 Prozent die Politiker für korrupt und bestechlich. 2005 waren es 49 Prozent. Und jetzt sind es die genannten 64 Prozent.
Ähnlich vernichtend die Ergebnisse zur Frage, ob die Politiker ihre Sache im Großen und Ganzen gut machen. 1981 lehnten 30 Prozent diese Einschätzung ab. 2005 waren es schon 50 Prozent – und jetzt sind es 64 Prozent.
Praktisch gleich geblieben ist über die Jahrzehnte nur der Befund zur Frage, wie weit Politiker sich an den Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler orientieren. „Politiker kümmern sich nicht viel um das, was Leute wie ich denken“: Schon 1974 stimmten drei Viertel (73 Prozent) dieser Aussage zu. Heuer waren es 75 Prozent.
Vertrauen in Demokratie stabil
Ebenso praktisch gleich geblieben – und das ist die tröstliche Nachricht – ist über Jahrzehnte aber auch das grundsätzliche Vertrauen in die Demokratie. 72 Prozent sagen, dass die Demokratie in der Lage ist, die Probleme des Landes zu lösen. So hoch war dieser Wert auch schon in den 1990er-Jahren. Nur während der Wirtschafts- und Finanzkrise vor 15 Jahren schlug er nach oben aus, auf 86 Prozent. Und 2016, in der Flüchtlingskrise, glaubten nur 64 Prozent an die Lösungsfähigkeit der Demokratie.
Umgekehrt haben 15 Prozent kein Vertrauen mehr in die Demokratie. Während der Flüchtlingskrise war der Eindruck vom Politikversagen sogar doppelt so hoch.
Über die Jahrzehnte mit rund zehn Prozent stabil ist auch der Anteil der Menschen mit autoritärem Potenzial – während sich, ebenso stabil, mehr als 80 Prozent als „Demokraten“ bezeichnen.
„Fürchtet euch nicht“, zitierte Hajek angesichts dieser Zahlen vier Tage vor dem Weihnachtsfest den Engel aus dem Evangelium. Die Demokratie sei nicht in Gefahr, ist der Politologe und Meinungsforscher überzeugt.
Schlechtes Image nicht nur durch Krisen
Und noch einen Schluss zieht er aus den langfristigen Trends: Das schlechte Image der Politik lasse sich nicht allein durch die Krisen der vergangenen Jahre – Covid, Teuerung, Korruption – erklären.
Sehr wohl geändert hat sich laut dem Befund der Experten in den vergangenen 50 Jahren die Selbsteinschätzung der Menschen. Sie haben zunehmend das Gefühl, ausreichend politisch kompetent und informiert zu sein. Gründe dafür seien die „Bildungsexplosion“ seit den 1970er-Jahren und die völlig veränderte Medienwelt, bis hin zum Internet.
Für die Mehrzahl der Menschen bedeuten diese Erkenntnisse, dass sie sich seit den 1970er-Jahren von „verständnisvollen Untertanen“ zu „misstrauischen Staatsbürgern“ entwickelt hätten. Damals wie heute glaubt eine Mehrheit, dass Politiker ihre Interessen zu wenig sehen. Vor 50 Jahren hätten viele Menschen aber noch das Vertrauen gehabt, dass die Politiker es schon gut regeln würden, sagt Ulram.