Innenpolitische Krise

EU-Emissäre drohen Montenegro mit Stopp von Beitrittsgesprächen

(v.l.) Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), seine slowenische Amtskollegin Tanja Fajon und der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic, im Rahmen einer Reise nach Montenegro.
© APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Podgorica – Ausgerechnet dem bisherigen EU-Musterschüler Montenegro droht nun ein Stopp der Beitrittsgespräche. Sollte die aktuelle Verfassungskrise im Land nicht gelöst werden, „könnten wir in Brüssel im Jänner oder Februar darüber beraten, dass wir den ganzen Prozess stoppen", sagte die slowenische Außenministerin Tanja Fajon am Mittwoch in Podgorica. Sie war mit ihrem österreichischen Kollegen Alexander Schallenberg (ÖVP) im Auftrag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell angereist.

Hintergrund der Mission sind Versuche der pro-serbischen Parlamentsmehrheit, die Verfassungsordnung Montenegros auszuhebeln. Weil Staatspräsident Milo Đukanović die Ernennung einer neuen Regierung verweigert hat, sollten ihm seine diesbezüglichen Kompetenzen per Anlassgesetz genommen werden. Die offenkundige Verfassungswidrigkeit dieses Unterfangens kann aber nicht festgestellt werden, weil das montenegrinische Verfassungsgericht derzeit aufgrund von vier unbesetzten Richterstellen nicht handlungsfähig ist.

Gesetz „vorsichtig ausgedrückt sehr fragwürdig"

Das neue Präsidentengesetz sei „vorsichtig ausgedrückt sehr fragwürdig", sagte Schallenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Fajon in der EU-Vertretung in Montenegro. Sollte es umgesetzt werden, müsste die EU ihre Position gegenüber Montenegro „überdenken". „Wir werden in Brüssel nicht darüber hinwegsehen, wenn sich dieses Land entscheidet, den falschen Weg einzuschlagen", betonte Schallenberg. Es handelt sich bei der Visite um keinen „Gute-Laune-Besuch", sondern einen, von dem eine „klare Warnung" ausgehe. Auch Fajon sprach von einem „Alarmruf". Sie kündigten an, Borrell und ihren Amtskollegen beim EU-Außenministertreffen im Jänner berichten zu wollen.

Österreich und Slowenien zählen zu den größten Unterstützern des Westbalkans und Montenegros auf dem Weg in die Europäische Union, betonten beide Minister. „Wir möchten, dass dieses Land auf dem EU-Weg weitermacht. Alles andere wäre schlecht für die Regierung und eine Katastrophe für die Menschen in diesem Land", sagte Schallenberg. „Niemand will das", versicherte Fajon mit Blick auf den drohenden Stopp der Beitrittsgespräche. Sie wies darauf hin, dass Umfragen zufolge drei Viertel der Montenegriner die EU-Mitgliedschaft ihres Landes unterstützen.

Fajon und Schallenberg sprachen während ihres wenige Stunden andauernden Besuches mit Präsident Đukanović, Premier Dritan Abazović und Parlamentschefin Danijela Đurović. Details der Gespräche wollten die beiden EU-Minister nicht nennen, sehr wohl aber ihre eigenen Forderungen. Konkret verlangten sie, dass das Verfahren zur Besetzung der vier Stellen am Höchstgericht noch diese Woche gestartet und „spätestens bis Ende Jänner" abgeschlossen werden soll. Sie ließen auch durchblicken, dass sie eine auf Grundlage des umstrittenen neuen Präsidentengesetzes gebildete Regierung nicht anerkennen werden. Es wäre „gelinde gesagt gewagt", eine Regierung zu bilden, noch ehe das Verfassungsgericht sich nicht zu dem Gesetz habe äußern können.

Lösung soll aus Montenegro selbst kommen

Fajon räumte auf Nachfrage ein, dass sie und Schallenberg als „Vermittler" angereist seien. Eigene Vorschläge wollten sie aber keine publik machen. Die Lösung müsse aus Montenegro selbst kommen, betonte Fajon. „Wir sind bereit, Ihnen bei der Selbsthilfe zu helfen", formulierte es ihr österreichischer Kollege. Befragt zum Thema vorgezogener Neuwahlen sprach sich Fajon dafür aus, dass diesbezüglich ein Konsens der politischen Akteure gefunden werde.

Ministerpräsident Abazović versicherte, dass das Land „der europäischen Integration fest verpflichtet bleibt". Er rufe zu einer schnellen Besetzung der freien Richterposten und zu einem Ende der institutionellen Krise auf, schrieb er auf Twitter. Präsident Đukanović schrieb zum Besuch der beiden Minister auf Twitter: „Das ist der letzte Weckruf für Montenegro, wenn es seine europäische Zukunft bewahren möchte."

Präsident Đukanović und seine im Jahr 2020 abgewählte Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) sehen die Demokratie im Land in Gefahr und drängen auf vorgezogene Parlamentswahlen. Sie befürchten, dass die pro-serbisch dominierte Opposition das Verfassungsvakuum dafür nützen könnte, das Land ins Fahrwasser Belgrads und Moskaus zu bringen. Montenegro galt seit seiner Loslösung aus dem gemeinsamen Staat mit Serbien im Jahr 2006 als pro-westlicher Musterschüler in der Region. Es trat im Jahr 2017 der NATO bei und ist in den EU-Beitrittsverhandlungen am weitesten von allen Kandidatenländern fortgeschritten.

„Montenegro ist einer der engsten Partner der Europäischen Union, hat gute Fortschritte in seinen Beitrittsgesprächen und die längste Tradition, was die volle Erfüllung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU betrifft", hieß es seitens des Auswärtigen Dienstes der EU bei der Ankündigung des Schallenberg-Fajon-Besuchs. „Der Besuch kommt in einem Augenblick, in dem jüngste politische Entwicklungen eine ernste institutionelle Krise hervorgerufen haben, die die demokratischen Institutionen untergräbt und den Fortschritt des Landes auf dem Beitrittsweg verlangsamt." (APA)

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