Neuer Leiter im TT-Interview

Günther Oberhollenzer: „Wir müssen Nachhaltigkeit in unserem Betrieb leben“

Von Krems an den Karlsplatz: Seit Oktober ist der Südtiroler neuer Leiter des Künstlerhauses Wien.
© Julia Kornhäusl

Die Liebe zur Kunst, aber auch die Debatten von heute sind bei Günther Oberhollenzer, dem neuen Leiter des Künstlerhauses Wien, wieder Thema. Der Versuch eines Jahresrückblicks.

In Ihrem neu aufgelegten Essay „Von der Liebe zur Kunst“ schreiben Sie auch von Debatten, die den Kunstbetrieb derzeit beherrschen. Welche war 2022 die lauteste?

Günther Oberhollenzer: Eine der bestimmenden war definitiv die documenta-Debatte. Eine zum Teil überhitzte Diskussion um Antisemitismusvorwürfe. Die zentrale Frage war: Wie damit umgehen? Schade war, dass wenig miteinander, aber viel aneinander vorbeigesprochen wurde.

Was ging in Kassel schief?

Oberhollenzer: Es wurde im Vorfeld zu wenig darüber nachgedacht, was alles passieren könnte. Das KuratorInnenkollektiv ruangrupa kommt aus dem asiatischen Raum und brachte selbstverständlich andere Vorstellungen in die documenta, als wir sie in unserem westlichen Kontext gewohnt sind. Die Erwartung, dass eingeladene KünstlerInnen auch unserem Wertesystem entsprechen, war naiv. Mich überraschte, dass von Seiten der documenta-Führung, auch von ruangrupa-Seite nicht klar war, in welch sensibles Feld man sich bei einer Weltkunstschau mitten in Deutschland begibt. Dass schlussendlich überhaupt antisemitische Motive auftauchten, war katastrophal.

War es richtig, Werke abzuhängen?

Oberhollenzer: Der Schaden war schon angerichtet. Werke wegzusperren, ist zwar generell falsch, aber es gibt Grenzen. Gerade wenn es um rassistische und antisemitische Äußerungen geht. Man konnte sie nicht weiter hängen lassen.

Was wird von der documenta bleiben?

Oberhollenzer: Bei mir vor allem Enttäuschung darüber, wie einseitig die documenta in ihrer Gesamtheit besprochen wurde. Die Diskussion hatte Schlagseite, die Antisemitismusvorwürfe überschatteten die ganze Schau. Das wird den dort vertretenen KünstlerInnen und KuratorInnen mit ihren teilweise sehr innovativen Ansätzen in keiner Weise gerecht. Daraus sollten wir lernen. Die gesamte Schau zu brandmarken, ist unfair und problematisch.

Wechseln wir die Debatte: Zuletzt waren es vor allem KlimaschützerInnen mit Flüssigkeiten, die die Szene spalteten.

Oberhollenzer: Eines vorweg: Ihre Anliegen sind mir bewusst, sie sind von großer Relevanz. Und ja, wir tun viel zu wenig gegen die Klimakrise. Es ist völlig verrückt, wenn eine Weltklimakonferenz krachend scheitert und parallel aber eine Fußball-WM stattfindet, wo für 200 Milliarden Dollar Stadien gebaut werden, die klimatisiert werden müssen. Aber: Die Art des Protests in Museen macht auch mich nicht glücklich. Es ist eine Themenverfehlung. Es geht nicht darum, ob Werke nun wirklich zerstört wurden oder nicht. Es geht um die erzeugten Bilder einer symbolischen Zerstörung von Kulturgut. Das ist kein richtiges Signal. Und nachhaltig sind diese Bilder in unserer schnelllebigen Medienwelt leider auch nicht. Wir Museumsleute sind da in der Bredouille: Viele, auch ich, stehen hinter den Überzeugungen der KlimaschützerInnen, wir können diese Art des Protests aber nicht gut finden.

Müssten Museen den jungen Menschen nicht dankbar sein, weil sie ihnen gerade enorme gesellschaftliche Relevanz zusprechen?

Oberhollenzer: Wenn man es so auffasst, dass auch Bad News Good News sind, dann ja. Der Protest ist aber keine Kunstaktion, sondern Kunst wird benutzt. Dabei wäre es durchaus spannend, einen Klimt im Zuge der Klimadebatte neu zu interpretieren. Aber ich sehe aktuell einen absolut kunstfernen Zugang. Was ich von der Debatte als Künstlerhaus-Leiter schon mitnehme: Umweltfragen dürfen in der Kunst nicht nur Diskursthema bleiben. Wir werden uns ab Juni hier im Künstlerhaus in einer Ausstellung mit Nachhaltigkeit im künstlerischen Arbeiten beschäftigen. Wir müssen Nachhaltigkeit in unserem Betrieb zugleich aber auch leben. Das Künstlerhaus hat hier eine moralische Verpflichtung.

Genauso wie eine Verpflichtung gegenüber den KünstlerInnen.

Oberhollenzer: Richtig. Die Rolle der KünstlerInnenvereinigung ist es, KünstlerInnen zu repräsentieren. Das heißt, in Sachen Fair Pay etwa müssen wir eine Vorbildfunktion einnehmen – das ist in der Theorie leichter als in der Praxis, denn auch unsere Mittel sind beschränkt. Es ist gut, dass sich hier bei den Fördergebern einiges tut.

Seit März 2020 teilt sich das Künstlerhaus seine Heimat mit der Albertina modern. Wie man hört, keine einfache Nachbarschaft. Ein Vorteil, dass Sie die Sammlung Essl, die einen Stock tiefer gezeigt wird, gut kennen?

Oberhollenzer: Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder und ich sind begeisterte Freunde des Ehepaars Essl und der Sammlung. Da finden wir also schon zusammen. Ich sehe hier am Karlsplatz zwei unterschiedliche Institutionen vereint – etwas, was man als Chance für das Publikum wahrnehmen muss. Von Künstlerhaus-Seite gibt es jedenfalls absolute Offenheit für Zusammenarbeit.

Könnten Sie sich eine Rückkehr in die Heimat vorstellen? Der Direktorenposten der Tiroler Landesmuseen wäre aktuell frei.

Oberhollenzer: Nicht das erste Mal, dass ich diese Frage gestellt bekomme. Ich bin Tirol, Südtirol sehr verbunden, ich konnte hier etliche Projekte umsetzen. Das Ausstellen außerhalb der Metropole finde ich zudem spannend. Beworben habe ich mich aber nicht.

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