🎄 Angebote zu Weihnachten in Tirol

Stille Nacht, einsame Nacht: Was tun gegen das unfreiwillige Alleinsein

Wenn der andere Stuhl leer bleibt: Gerade zu Weihnachten ist das Alleinsein besonders bitter. Doch das muss nicht so sein.
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Zu Weihnachten sind viele Menschen in Tirol unfreiwillig allein, und gerade am Heiligen Abend ist das bedrückend. Was tun, wenn alles zu ist? Doch auch in einer der dunkelsten Nächte des Jahres gibt es Lichtblicke.

Innsbruck, Imst, Breitenwang, Fügen, Lienz – Heute ist Josef alleine. Für den 81-Jährigen eigentlich nichts Besonderes – wäre heute nicht Heiliger Abend. Es ist ein halbes Jahr her, dass Josefs Frau gestorben ist, und vor dem ersten Weihnachten ohne sie graut ihm geradezu. Die Tochter lebt mit ihrer Familie in Norddeutschland, zu weit für einen Besuch. Ein kurzes Telefonat untermalt von aufgeregten Kinderstimmen geht sich vielleicht aus.

Es wird finster, der rüstige Pensionist zieht sich warm an und macht eine Runde durch das kleine Städtchen irgendwo in Tirol, in dem er lebt. Alles dunkel, alles still, alles zu. Nicht einmal ein Kaffee an der Tankstelle ist drinnen, denn auch die ist seit Nachmittag geschlossen. Also doch zurück nach Hause, den Fernseher eingeschaltet und den Festtags-Aufschnitt geholt, der heute im Sonderangebot war. So verloren hat sich Josef schon lange nicht mehr gefühlt.

Wenn wir auch nur einem einzigen Menschen helfen können, dann hat es sich schon gelohnt.
Familie Haid lädt zu einem Weihnachtsfest am Heiligen Abend in Imst ein.

In Tirol gibt es viele Josefs. Viel mehr, als man glaubt. Das wissen jene, die sich freiwillig sozial engagieren oder in Sozialberufen arbeiten – so wie Julia Haid. Sie und ihr Mann Philipp haben in Imst schon 2019 ein Fest am 24. Dezember organisiert, um alleinstehenden Menschen ein bisschen Gemeinschaft zu geben. Julia arbeitet im Sozialsprengel, erzählt Philipp, und sie hat es immer bedauert, dass so viele Menschen am Heiligen Abend allein sind. So sei die Idee zum Fest entstanden. Heute ist es wieder so weit. Ab 15 Uhr wird das Café Rosengartl im Imster Pflegezentrum zum Treffpunkt. „Wir haben so lange offen, bis der letzte Gast gegangen ist“, sagt Philipp Haid. „Es gibt Würstelsuppe, Kekse und Gespräche, Musiker kommen vorbei.“ Das Wichtigste: Jeder ist willkommen. 2019 war der Zuspruch groß, wenn auch nicht sehr viele aus der „Zielgruppe“ dabei waren. Völlig egal, sagt Philipp. „Wenn wir auch nur einem einzigen Menschen helfen können, dann hat es sich schon gelohnt.“

Bar im Fügener Ortszentrum hat geöffnet

Nicht so still wie in Josefs Heimatstadt ist es überall dort, wo Touristen die Weihnachtszeit verbringen, etwa im Zillertal. Als Beispiel kann das „Kosis“ in Fügen dienen, eine beliebte Bar im Ortszentrum. „Wir haben am Heiligen Abend geöffnet, bis Mitternacht. Man kann auch essen“, erzählt Claudia von der Rezeption. Auf Live-Musik wird heute verzichtet. Gäste und Einheimische sind gleichermaßen vertreten, sagt Claudia. Ob darunter auch einsame Herzen sind, könne man nicht sagen.

Ein Abend in einer Bar, das ist für manche, aber sicher nicht für alle, ideal am Heiligen Abend. Viele Menschen in Tirol suchen die Tradition und wünschen sich ein Fest im Familienkreis. Das ist selbstverständlich – oder nicht? Sind die Ansprüche an Weihnachten heutzutage vielleicht zu hoch?

📞 Hilfe per Telefon

Einfach anrufen. Auch am 24. Dezember stehen Ansprechpartner bereit, wenn Menschen sich einsam fühlen, in einer Krise stecken oder jemanden zum Reden suchen. Manche sind sowohl telefonisch als auch online erreichbar.

Telefonseelsorge: 142 (ohne Vorwahl), www.onlineberatung-telefonseelsorge.at oder www.ts142.at

Der Psychosoziale Krisendienst ist unter 800 400120 erreichbar, täglich von 8 bis 20 Uhr. Für Kinder und Jugendliche gibt es Rat auf Draht: 147 (ohne Vorwahl), www.rataufdraht.at

„Man hat den Eindruck, dass zu Weihnachten eine heile Welt ersehnt wird, zumindest für ein paar Stunden“, sagt Franz Neuner, Dekan in Breitenwang. „Dabei braucht man über das ganze Jahr Kontakte, um nicht einsam zu sein. Nicht nur am Heiligen Abend.“ Als der Dekan noch Pfarrer in Neu-Rum war, hat er am 24. Dezember zu sich ins Pfarrhaus geladen. Es konnte kommen, wer wollte. „Zum Essen, Plaudern und zu ein wenig Besinnlichkeit“, erinnert sich Franz Neuner. Es war ihm ein Anliegen, das auch in Breitenwang/Reutte fortzusetzen. „Anfangs sind einige wenige gekommen, doch es hat sich nicht wirklich etabliert. Vielleicht ist ein Pfarrhaus auch nicht für jeden so naheliegend, und die Leute hatten Schwellenangst und das Gefühl ‚Da passe ich nicht hin‘. Oder der Leidensdruck ist hier nicht so groß. Vielleicht braucht es aber auch einen neuen Versuch, auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen und dazu einzuladen.“

Weihnachtsmahl in Innsbrucker Spitalskirche

Man kann das Thema auch von einer ganz anderen Seite betrachten. Das zeigt das „Weihnachtsmahl mit den Armen“ in der Innsbrucker Spitalskirche, meint Vera Merkel. Sie gehört zur Gemeinschaft Sant’ Egidio und freut sich, dass das Mahl nach den Corona-Jahren wieder wie gehabt stattfindet. „Die Kirche wird beheizt, eine Festtafel wird aufgestellt und es gibt ein dreigängiges Menü“, sagt sie.

Das Weihnachtsmahl findet am 25. Dezember statt, Freiwillige für die Vorbereitung werden immer gesucht. Bedürftigen zu helfen, statt unter der eigenen Einsamkeit zu leiden, das kann ein Mittel sein, um Trauer und Zorn abzuschütteln. Vielleicht schon am Heiligen Abend.

💬 Psychiater Haring: „Scham spielt mit hinein“

Warum bin ich am Heiligen Abend allein? Warum halten die anderen Abstand? Bin ich vielleicht selbst schuld? Solche Fragen quälen viele Menschen, die Weihnachten unfreiwillig allein verbringen. Das weiß Christian Haring, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. „Da gibt es ein ganzes Konvolut von Gefühlen. Scham spielt mit hinein.“

Mit dem Weihnachtsfest sind laut Haring hohe Erwartungen verknüpft. Viele einsame Menschen hoffen, dass sich am Heiligen Abend alles verbessert. „Wenn das dann nicht passiert, ist die Enttäuschung umso größer“, erklärt der Psychiater. Trauer, Frust, Wut und Angst vermischen sich, Scham- und Schuldgefühle werden hinter Aggression, Teilnahmslosigkeit oder Tränen versteckt.

Was helfen kann: sich mit anderen Alleinstehenden zusammentun und versuchen, überfrachtete Erwartungen loszulassen, sagt Haring. „Man muss sich nicht noch selbst Stress auferlegen.“

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