Putin: Russland zu Verhandlungen mit allen Parteien bereit
Russland ist nach den Worten seines Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen mit allen im Ukraine-Konflikt beteiligten Parteien bereit. Allerdings hätten die Führung in Kiew und ihre westlichen Unterstützer Gespräche verweigert, sagte Putin in einem Interview. Dem widersprach die Ukraine umgehend.
Kiew, Cherson – Russland ist nach den Worten seines Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen mit allen im Ukraine-Konflikt beteiligten Parteien bereit. Allerdings hätten die Führung in Kiew und ihre westlichen Unterstützer Gespräche verweigert, sagte Putin in einem Interview, das am Sonntag im Staatsfernsehen Rossija 1 ausgestrahlt wurde. Dem widersprach die Ukraine umgehend. Dort gaben die Behörden nach einem in der Früh ausgelösten Luftalarm für alle Regionen unterdessen Entwarnung.
Putin erklärte demnach: „Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen – nicht wir sind diejenigen, die sich weigern zu verhandeln, sondern sie." Die ukrainische Regierung widersprach der Darstellung Putins in dem Interview. „Russland hat die Ukraine im Alleingang angegriffen und tötet Bürger", schrieb Mychailo Podoljak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf Twitter. „Russland will keine Verhandlungen, sondern versucht, sich der Verantwortung zu entziehen." Putin müsse zur Realität zurückkehren.
📽️ Video | Putin: "Kiew will nicht über 'akzeptable Lösungen' verhandeln"
Auch der Direktor des US-Geheimdienstes CIA, William Burns, hatte sich unlängst in einem Interview skeptisch über die russische Gesprächsbereitschaft geäußert. Obwohl die meisten Konflikte durch Verhandlungen beendet würden, sei man in der CIA überzeugt, dass Russland wirkliche Gespräche zur Beendigung des Krieges noch nicht ernst meine. Die USA sowie andere westliche Staaten und vor allem die Ukraine werfen Russland vor, nicht ernsthaft verhandeln zu wollen.
Ein Ende des Krieges in der Ukraine, den die russische Führung als militärischen Sondereinsatz bezeichnet, ist nicht in Sicht. Die russische Führung hatte bisher erklärt, sie werde kämpfen, bis all ihre Ziele erreicht seien – darunter die Demilitarisierung der Ukraine. Deren Regierung hat angekündigt, nicht zu ruhen, bis der letzte russische Soldat das Territorium verlassen hat – einschließlich der 2014 von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.
Ziel „das russische Volk zu vereinen"
Russlands Präsident zeigte sich jedoch von seinem Kurs überzeugt. „Ich glaube, dass wir in die richtige Richtung handeln. Wir verteidigen unsere nationalen Interessen, die Interessen unserer Bürger, unseres Volkes. Und wir haben keine andere Wahl, als unsere Bürger zu schützen." Er sei überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der russischen Bevölkerung – 99,9 Prozent – bereit sei, ihr Land zu verteidigen und alles für das Vaterland zu geben.
Putin rechtfertigte die seit zehn Monaten andauernde Offensive auch mit dem Konzept des „historischen Russlands", wonach Ukrainer und Russen ein Volk seien, und beschuldigte den Westen, Russland „auseinanderreißen" zu wollen. „Der Kern des Ganzen ist die Politik unserer geopolitischen Gegner, die darauf abzielt, Russland, das historische Russland, zu zerreißen." Sie hätten „immer versucht, 'zu teilen und zu erobern'". Sein Ziel sei „etwas anderes - das russische Volk zu vereinen".
Putin reagierte in dem Interview auch auf die Frage, ob nicht inzwischen eine gefährliche Linie in dem Konflikt mit dem Westen erreicht sei. Das wies er zurück. Es gebe keine andere Wahl, Russland habe bereits seit 2014 versucht, den Konflikt friedlich zu lösen. Moskau sieht die westlichen Staaten – allen voran die USA – wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegspartei. Putin warf dem Westen zudem erneut vor, 2014 den Sturz des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch herbeigeführt zu haben.
Putin bekräftigte zudem, das der Ukraine von den USA versprochene moderne Luftabwehrsystem vom Typ Patriot zu vernichten. „Natürlich werden wir es zerstören, 100 Prozent!", sagte Putin in Bezug auf das System, dessen Lieferung dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch Mitte der Woche in Washington von US-Präsident Joe Biden zugesagt worden war.
Entwarnung nach Luftalarm
In der Ukraine gaben die Behörden gegen Mittag Entwarnung. Es gebe keine Berichte über neue russische Angriffe. Nach unbestätigten Berichten in den sozialen Medien in der Ukraine wurde der Alarm möglicherweise ausgelöst, nachdem russische Kampfflugzeuge in Belarus gestartet waren. Als diese zu ihren Stützpunkten zurückgekehrt seien, sei Entwarnung gegeben worden. Ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe sagte im Fernsehen, russische Militärflugzeuge seien praktisch rund um die Uhr am Himmel. „Aber wir haben die Bereitschaft erhöht – alles, was abhebt, muss unter unserer Kontrolle sein."
In der Hauptstadt Kiew und im ganzen Land hatten in der Früh die Sirenen geheult. In der südukrainischen Stadt Cherson stieg unterdessen die Zahl der Toten durch Artilleriebeschuss und Explosionen nach Behördenangaben auf 16. Zudem seien 64 Menschen durch russische Angriffe verletzt worden, teilte der ukrainische Militärgouverneur Jaroslaw Januschewitsch am Sonntag in seinem Kanal im Nachrichtendienst Telegram mit. Unter den Toten seien auch drei Männer, die bei Minenräumarbeiten ums Leben gekommen seien.
Selenskyj spricht von Terror
Die ukrainischen Behörden hatten Moskau massiven Artilleriebeschuss des Zentrums der einst von russischen Truppen besetzten Stadt Cherson vorgeworfen. Am Samstag hatte Januschewitsch von zehn Toten und 55 Verletzten gesprochen. Der ukrainische Präsident Selenskyj veröffentlichte dazu bei Telegram Fotos von leblosen Menschen im Zentrum der unlängst von der russischen Besatzung befreiten Stadt. Selenskyj verurteilte den Angriff als weiteres Verbrechen des "Terrorstaates" Russland direkt vor Weihnachten. Es gebe dort keine militärischen Ziele, betonte Selenskyj. Das sei kein Krieg. „Das ist Terror, das ist Töten um der Einschüchterung und des Vergnügens willen", sagte er.
Russland hatte die Region Cherson im Herbst völkerrechtswidrig annektiert. Ukrainische Truppen nahmen die Stadt Cherson dann nach einem Abzug der russischen Streitkräfte ein. Die russischen Besatzer zogen sich auf die andere Seite des Flusses Dnipro zurück. Nach ukrainischen Angaben beschießen russische Truppen die Stadt weiter aus anderen Teilen des besetzten Gebiets Cherson. Der Großteil des Gebiets wird weiterhin von russischen Truppen kontrolliert. Der Kreml betont, dass Russland die gesamte Region Cherson als sein Staatsgebiet ansehe und nicht aufgebe.
Schwere Kämpfe in Bachmut dauern an
Die russischen Invasionstruppen setzten am Sonntag ihre Angriffe gegen die Frontstadt Bachmut im Osten der Ukraine fort. Dabei seien den Angreifern „systematische schwere Verluste“ zugefügt worden, sagte Serhij Tscherwatko, Sprecher der ukrainischen Heeresgruppe Ost. Allein seit Samstag seien mindestens 50 russische Soldaten getötet und weitere 80 verwundet worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die Stadt Bachmut gilt als sogenannter Eckpfeiler der Front im Osten der Ukraine. Ein Durchbruch an dieser Stelle würde den russischen Truppen ein Vordringen tief ins Hinterland der ukrainischen Linien ermöglichen. Die Stadt ist inzwischen von den Verteidigern zur Festung ausgebaut worden.
Die am 24. Februar von Russland begonnene Invasion der Ukraine ist der schwerste Konflikt in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Es ist auch die größte Konfrontation zwischen Russland und dem Westen seit der Kuba-Krise im Jahr 1962, in der es um die Stationierung von Mittelstreckenraketen der USA in der Türkei und der Sowjetunion auf Kuba ging. (APA, Reuters, dpa, AFP)
Angriff auf Cherson
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Statt „militärische Spezialoperation"