Von „verdächtigen Rüben“ und der neuen Gleichheit
Das Gemeindemuseum Absam entführt zu Silvester in die – oft kuriose – lokale Kriminal- und Gerichtsberichterstattung vor rund 100 Jahren.
Absam, Hall – Eine besonders reizvolle Alternative, den Jahreswechsel abseits von Feuerwerk und Böllern zu verbringen, wartet morgen in Absam: Um exakt 19.31 Uhr beginnt im Gemeindemuseum eine Silvesterlesung, bei der man sich auf Zeitreise durch die lokale Kriminal- und Gerichtsberichterstattung vor gut 100 Jahren begeben kann.
„Die große Rauferei in der Salvatorgasse“, „Der Fluch des Alkohols“, „Die unleidlichen Mietverhältnisse“, „Die verdächtigen Runkelrüben“ (über einen Rübendiebstahl auf den Thaurer Feldern), „Die ewige Milchpantscherei“ oder „Die mitgegangene Branntweinflasche“: So und so ähnlich hat der Haller Lokalanzeiger in der Zwischenkriegszeit seine Hunderten Kurzberichte über die Kleinkriminalität und das gerichtsanhängige Leben im Großraum Hall-Absam betitelt. Oft genug geschah das wertend im Tonfall und meist mit voller Namensnennung der Tatverdächtigen.
Die Gerichtsfälle in Kombination mit den Statistiken der Haller Exekutive spiegeln aber auch den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel in den 1920er-Jahren – in der ganz jungen Republik – wider, wie Museumsleiter Matthias Breit betont.
Es geschieht bis vor Kurzem Undenkbares: Mieter beginnen ihre Vermieter zu klagen, Lehrbuben zerren ihre Lehrherren vor Gericht, selbst der Absamer Pfarrer wird wegen Ehrenbeleidigung verklagt. „Und Gruppen, die bislang fast stereotyp als Schuldige bezeichnet wurden, etwa die Jenischen in Hall, erreichen Richtigstellungen in der Presseberichterstattung.“
Generell hätten damals „ein neuer Ton und ein neuer Anspruch an Gerechtigkeit“ Einzug gehalten, sagt Breit. Nach Jahrhunderten „Untertanenstaat“ sei in der Kriminal- und Gerichtsberichterstattung auch die Lust an der „ganz neuen Gleichheit“ zum Ausdruck gekommen: Schließlich können in einem demokratischen Rechtsstaat theoretisch alle – auch Angehörige höherer Gesellschaftsschichten – vor Gericht landen.
Zugleich zeigt die historische Presseschau große Unterschiede zu heute auf: „Viele Menschen hatten damals kein richtiges Eigenheim – viel von der Freizeit und damit auch an Konflikten spielte sich daher im Gasthaus ab.“ Auch die Haller Altstadt war noch nicht das hochpreisige Wohnviertel von heute, die Menschen lebten unter teils prekären Bedingungen dicht an dicht, ohne die heutige Kanalisation. „Noch um 1950 wird von Rattenplagen in Hall berichtet.“
Wer mehr erfahren will – etwa auch darüber, wie die Haller „Sicherheitswache“ noch vor 99 Jahren fast 200 Obdachlose „wegen Mittellosigkeit“ in Schutzhaft nahm oder betrunkene Absamer per Schubkarre in den Gemeindekotter überstellte –, ist am Silvesterabend richtig. Es lesen der Schauspieler Rainer Egger, der Absamer Kulturreferent Gerd Jenewein und Matthias Breit. Dazu gibt es Livemusik von Max Dornauer vulgo Waxamilion (E-Gitarre plus Loops). Eintritt frei!