„Schnellster Weg zum Frieden"

NATO-Generalsekretär fordert mehr Waffenlieferungen an Kiew

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
© imago

Ukrainische Angriffe auf Ziele in Russland bezeichnete Stoltenberg als legitim. Donnerstagabend wurden russische Stützpunkte in der Umgebung der Stadt Berdjansk angegriffen. Erneut gab es russische Drohnenangriffe auf Kiew und die Ost-Ukraine.

Kiew, Moskau – NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aufgerufen. "Es mag paradox klingen, aber militärische Unterstützung für die Ukraine ist der schnellste Weg zum Frieden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Kreml-Chef Wladimir Putin müsse nämlich davon überzeugt werden, dass er sein Ziel, die Kontrolle über die Ukraine zu übernehmen, nicht erreichen werde. Ukrainische Angriffe auf Ziele in Russland bezeichnete Stoltenberg als legitim.

"Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen. Auch die Ukraine", sagte er. Bei den ukrainischen Angriffen müsse auch der Kontext gesehen werde. Dies seien massive russische Angriffe auf zivile Infrastruktur, die darauf abzielen, ukrainischen Zivilisten im Winter Wasser, Heizung und Strom zu nehmen.

Berdjansk angegriffen, Drohnen in Kiew

Die ukrainische Armee hatte erst am Donnerstagabend bekanntgegeben, russische Stützpunkte in der Umgebung der Industrie- und Hafenstadt Berdjansk angegriffen zu haben. Dabei seien rund 50 russische Soldaten "liquidiert" worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. Die Militärs in Kiew machten keine Angaben dazu, mit welchen Waffensystemen Berdjansk angegriffen wurde. Die Stadt am Asowschen Meer liegt knapp 100 Kilometer hinter den aktuellen Frontlinien. Am Donnerstag war die Ukraine in mehreren Region bis weit in den Westen des Landes von Russland mit Raketen attackiert worden.

Russland hat auch am Freitag Luftangriffe auf die Ukraine gestartet. Eine nächtliche Welle an Drohnenangriffen sei aber abgewehrt worden, teilte das ukrainische Militär am Freitag mit. Alle 16 russischen "Kamikaze"-Drohnen iranischer Bauart seien abgeschossen worden. Ziel war demnach vor allem die Hauptstadt Kiew. Hier wurden laut Bürgermeister Vitali Klitschko sieben Drohnen abgeschossen. Ein Verwaltungsgebäude sei teilweise zerstört worden.

In Kiew wurde am frühen Freitag wieder Luftalarm ausgelöst. Kurz nach 02.00 Uhr in der Nacht heulten die Sirenen, die Stadtverwaltung rief die Einwohner auf, die Schutzräume aufzusuchen. In der umliegenden Region waren Explosionen und Flugabwehrfeuer zu hören. Der ukrainische Generalstab teilte in einer Bilanz in der Früh mit, in den vergangenen 24 Stunden habe es 85 russische Raketenangriffe, 35 Luftangriffe und 63 Angriffe mit Mehrfachraketenwerfern gegeben. Laut dem Verteidigungsministerium wurden mehr als 18 Wohngebäude und zehn Einrichtungen der kritischen Infrastruktur zerstört.

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Auch an der Front im Osten und Süden hielten die schweren Kämpfe an. Hier hätten die russischen Streitkräfte 20 Siedlungen rund um die hart umkämpfte und zerbombte Stadt Bachmut in der Ostukraine sowie mehr als 25 Siedlungen in den Regionen Cherson und Saporischschja im Süden des Landes beschossen, so der Generalstab.

Erst am Donnerstag hatte Russland mit dem größten Luftangriff seit Beginn des Krieges Ende Februar erneut vor allem Energieinfrastruktur in der Ukraine ins Visier genommen. Dadurch kam es laut Präsident Wolodymyr Selenskyj in vielen Regionen wieder zu Stromausfällen.

Meiste Regionen mit Stromausfällen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj räumte indes ein, dass die meisten Regionen des Landes nach den massiven russischen Raketenangriffen unter Stromausfällen leiden. "Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was hätte passieren können, wenn unsere heldenhaften Flugabwehrtruppen und die Luftabwehr nicht gewesen wären", sagte Selenskyj in einer Videoansprache am Donnerstagabend. Die Luftkommandos in der Zentral-, Süd-, Ost- und Westukraine hätten 54 russische Raketen und elf Drohnen während eines der größten russischen Luftangriffe seit Beginn des Krieges im Februar abgewehrt.

"Dieses Jahr hat noch zwei Tage, vielleicht wird der Feind erneut versuchen, uns dazu zu bringen, das Neue Jahr im Dunkeln zu feiern", warnte Selenskyj vor weiteren Angriffen. "Aber egal, was sie vorhaben, eines wissen wir über uns selbst: Wir werden durchhalten."

Britische Hilfe gegen Minen und Blindgänger

Großbritannien unterstützt die Ukraine bei der Räumung von Minen und nicht explodierten Geschossen. Es seien mehr als 1000 Metalldetektoren und 100 Ausrüstungspakete zur Bombenentschärfung geliefert worden, teilte das Verteidigungsministerium in London am Freitag mit.

"Russlands Einsatz von Landminen sowie Angriffe auf zivile Infrastruktur unterstreichen die schockierende Grausamkeit der Invasion (des russischen Präsidenten Wladimir) Putins", sagte Ressortchef Ben Wallace. "Dieses neue britische Unterstützungspaket wird der Ukraine helfen, Land und Gebäude sicher zu räumen, während sie ihr rechtmäßiges Territorium zurückerobert."

London ist einer der größten Lieferanten der Ukraine für Waffen, aber auch anderer Unterstützung. Bisher wurden mehr als 11.000 ukrainische Soldaten in Großbritannien ausgebildet.

In seinen Unterredungen mit ausländischen Staats- und Regierungschefs versucht der ukrainische Staatschef, deren Unterstützung für einen Internationalen Strafgerichtshof nach dem Vorbild des Nürnberger Tribunals nach dem Zweiten Weltkrieg zu gewinnen, vor dem sich Politiker und Militärs aus Moskau für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verantworten sollen.

15.000 Menschen vermisst

Die ukrainische Präsidentenberaterin Alona Werbytska berichtete indes, dass in der Ukraine derzeit 15.000 Menschen vermisst werden, "darunter viele Zivilisten". Das Schicksal dieser Menschen sei völlig ungewiss, sagte die Ombudsfrau. "Wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist", sagte sie. "Befinden sie sich auch in russischer Kriegsgefangenschaft, sind sie aus russisch besetzten Gebieten verschleppt oder womöglich längst umgebracht worden?

Nach dem Fund einer ukrainischen Rakete auf dem Staatsgebiet von Belarus bot das Verteidigungsministerium in Kiew seine Mitarbeit an den Untersuchungen des Vorfalls an. In einer Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung des Ministeriums hieß es, dass die Behörde zu einer "objektiven Untersuchung des Vorfalls" bereit sei. Staatsmedien in der belarussischen Hauptstadt Minsk hatten berichtet, dass eine vom Flugabwehrsystem S-300 abgeschossene Rakete Donnerstagvormittag auf belarussisches Staatsgebiet gefallen sei.

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete am Donnerstagabend das billionenschwere Budget, das unter anderem 45 Milliarden Dollar a (42,26 Mio. Euro) an Unterstützung für die Ukraine vorsieht. Auch Großbritannien will weiter Milliardengelder an Kiew schicken. Verteidigungsminister Ben Wallace sagte, dass kommendes Jahr 2,3 Milliarden Pfund (2,60 Mrd. Euro) an Militärhilfe fließen werde. Das entspreche dem heuer überwiesenen Betrag. (APA/dpa/Reuters)