Wiener Philharmoniker: Neujahrskäfig voller Zeisserln
Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker begrüßten 2023 mit charmantem Raritätenprogramm.
Wien – Im walzer- und polkaseligen Wien trifft man schon ein paar Vögel: „Im Krapfenwald’l“ von Johann Strauß Sohn grüßt der Kuckuck, in seinen „Geschichten aus dem Wienerwald“ wird ebenfalls heftig tiriliert, so wie die „Dorfschwalben“ von seinem Bruder Josef fröhlich vor sich hin schwätzen, wenn sie im Dreivierteltakt ihre Runden drehen! Doch sie alle mussten diesmal am Boden bleiben. Denn 2023 wurde das Käfigtürl für den einst so beliebten Zeisig geöffnet. Josef Strauß hat diesen Zwitscheranten aus der Gattung der Finken ein bezauberndes Denkmal gesetzt, den „Zeisserln“-Walzer. Eines der überzeugenderen der vierzehn von insgesamt fünfzehn „offiziellen“ Stücken aus dem Schaffen der Strauß-Brüder Johann, Josef und Eduard sowie ihrer Kollegen Franz von Suppè, Carl Michael Ziehrer und Josef Hellmesberger, die diesmal ihre Premiere bei einem Neujahrskonzert der Raritäten feiern konnten. Viel altes Neues also für die Zuhörer im Goldenen Saal mit seiner in Flamingo-Rosa gehaltenen Blumenschmuck-Pracht.
Nur der Walzer „Aquarellen“ von Josef Strauß, den das Orchester als letztes Stück vor den Zugaben ganz zauberhaft pinselte, war bereits zu Neujahrskonzert-Ehren gekommen, so wie auch die Polka française „Heiterer Muth“, die diesmal jedoch in einer Fassung für „Oberstimmen-Chor“ erstmals im Neujahrsrahmen zu hören war. Die Oberstimmen spendeten die soeben 525 Jahre alt gewordenen Wiener Sängerknaben dazu, erstmals verstärkt durch ihre singenden Kolleginnen, die Wiener Chormädchen. Beide machten ihre Sache ausgezeichnet und versetzten das Publikum in Entzücken.
So wie es einem temperamentsmäßig geradezu entfesselten Franz Welser-Möst gelang, trotz fehlender Schlager für viele herrliche Momente zu sorgen. Als besonders stimmige Entdeckung erwies sich etwa Ziehrers in süß-wohltuender Melodienseligkeit dahinziehender Walzer „In lauschiger Nacht“.
Zum echten Durchstarter nach der Pause wurde die Ouvertüre zu Franz von Suppès völlig unbekannter Operette „Isabella“. Flott und rasant, stimmig und gewohnt klangschön vom Meisterorchester interpretiert. Danach hatte dann vor allem Josef Strauß, der zwei Jahre nach Johann geborene Strauß-Bub, seinen Auftritt. Denn sieben der zehn Stücke nach der Pause stammten von ihm. Er war der Sensible, der Fragile, sein weit populärerer Bruder Johann bezeichnete ihn als den „Begabteren von uns beiden“.
Das bewies besonders eindrucksvoll seine in toller Instrumentation den Tanzmusikrahmen weit in Richtung Tondichtung öffnende Orchesterfantasie „Allegro fantastique“, die wohl schönste und erstaunlichste Überraschung des Vormittags. Wogegen sich seine „Perlen der Liebe“, ein komponiertes Hochzeitsgeschenk an seine Braut, dann schon ein wenig abgeklärt in der Liebesglut zeigten. Umso freudiger durfte man sich bei den Zugaben endlich an Bekanntem, wie dem rasanten „Banditengalopp“ und dem herrlich sensibel zum Schwingen gebrachten „Donauwalzer“ erwärmen. So sehr, dass das höchstmotivierte Publikum beim Radetzkymarsch-Mitklatschen Orchester und Dirigent fast überholte.