Putin setzt Angriffskrieg fort

Russland räumt Dutzende Tote nach ukrainischem Angriff ein

Passanten vor einem Bombenkrater in der Nähe eines Bildungsgebäudes in Kiew.
© APA/AFP/Savilov

Normalerweise schweigt Russland über die eigenen Opfer in seinem Krieg gegen die Ukraine. Doch ausnahmsweise macht Moskau dazu Angaben – und nennt eine verheerend hohe Zahl getöter russischer Soldaten.

Kiew – Die Ukraine hat mit einem Luftangriff Dutzende russische Soldaten in einer Unterkunft im von Russland besetzten Donbass getötet. Das bestätigte das russische Verteidigungsministerium am Montag und sprach von 63 Toten. Das ukrainische Militär meldete sogar 400 Tote und 300 Verletzte. Russland nahm seinerseits erneut die Ukraine mit Drohnen unter Feuer. Russland will nach Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Drohnen-Angriffen die Ukraine „auslaugen".

Die Ukraine habe Informationen, wonach Russland die Attacken mit iranischen Drohnen plane, sagte Selenskyj in seiner nächtlichen Videobotschaft am Montagabend. Russland setze darauf, die ukrainische Bevölkerung, die Luftabwehr und die Energie-Infrastruktur zu erschöpfen. Die Ukraine müsse alles dafür tun, dass Russland sein Ziel nicht erreiche.

Dass Moskau die vielen getöteten Soldaten nach dem ukrainischen Angriff auf den Ort Makijiwka (russisch: Makejewka) im Donbass bestätigte, war sehr ungewöhnlich. Es handelte sich um die höchste von Russland selbst genannte Zahl von Toten an einem Ort in dem seit Februar währenden Angriffskrieg. Die Zahl wird dennoch von vielen für zu niedrig gehalten.

📽️ Video | Drohnenangriffe auf Kiew:

Die Ukraine hatte in der Neujahrsnacht mit Raketen angegriffen. Bei den Getöteten soll es sich Medienberichten zufolge um Reservisten handeln, die im Zuge der von Kremlchef Wladimir Putin angeordneten Teilmobilmachung einberufen wurden. Sie sollen sich zu einer Neujahrsfeier in dem Gebäude versammelt haben. Zu sehen waren in den sozialen Netzwerken Bilder und ein Video von den Überresten eines völlig eingestürzten Gebäudes. Unter den Trümmern wurden weitere Tote und Verletzte vermutet.

Das ukrainische Militär soll wegen der hohen Aktivität von Datenverkehr mit Mobiltelefonen auf den Standort aufmerksam geworden sein. Unbestätigten Berichten zufolge soll sich das Gebäude neben einem Munitionsdepot befunden haben, weshalb es zur verheerenden Explosionen gekommen sei.

Ukrainische Polizei entdeckt 25 Folterlager im befreiten Charkiw

Seit der Befreiung der Umgebung der ostukrainischen Stadt Charkiw aus russischer Besatzung hat die Polizei dort nach eigenen Angaben 25 Folterlager entdeckt. In den Lagern hätten russische Truppen unter anderem Zivilisten unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und gefoltert, teilte der regionale Polizeichef Wolodymyr Tymoschko am Montag auf Facebook mit. Die Gefangenen seien teils mit Elektroschocks misshandelt worden, anderen seien die Finger gebrochen worden.

Die Umgebung von Charkiw war monatelang von russischen Truppen besetzt worden. Sie zogen sich erst Anfang September nach einer ukrainischen Gegenoffensive zurück. Seitdem seien in der befreiten Region 920 Leichen von Zivilisten, unter ihnen 25 Kinder, entdeckt worden, teilte Tymoschko weiter mit. Sie seien von russischen Soldaten getötet worden.

Massive Angriffe seit Donnerstag

Russische Militärblogger reagierten wütend auf die Nachricht. Verbunden damit war der Vorwurf, dass vor Ort in unmittelbarer Nähe der Unterkünfte auch große Mengen Munition gelagert worden seien. Igor Girkin, ein prominenter ehemaliger Befehlshaber von pro-russischen Truppen in der Ukraine, schrieb zudem von Militärausrüstung, die dort ohne Tarnung gelagert worden sei. „Wer kam auf die Idee, viel Personal in einem Gebäude unterzubringen, wenn selbst einem Idioten klar ist, dass es bei einem Artillerietreffer viele Tote oder Verwundete geben würde?", schrieb der Blogger Archangel Spetznaz Z, der mehr als 700.000 Follower auf Telegram hat. „Jeder Fehler hat einen Namen."

Russland setzte unterdessen die dritte Nacht in Folge seine Luftangriffe auf ukrainische Städte fort. Die Regierung in Kiew erklärte, dabei seien alle 39 Drohnen aus iranischer Herstellung abgeschossen worden, die auf die Hauptstadt sowie weitere Städte abgefeuert worden sein. Ukrainische Behörden werteten die von ihnen aufgeführten Erfolge als Zeichen dafür, dass die russische Strategie der Angriffe auf die Energie-Infrastruktur wegen der verbesserten Luftabwehr zunehmend versage. Die Angriffsserie über drei Nächte hinweg deutete auf eine neue russische Taktik hin: Bisher waren größere Angriffe im Abstand von etwa einer Woche ausgeführt worden.

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Am Montag berichtete der Gouverneur der russischen Region Brjansk seinerseits von einem ukrainischen Drohnenangriff. Danach sei der Strom ausgefallen, erklärte Alexander Bogomas auf Telegram. Zwölf Stunden später ergänzte er, der Schaden sei vollständig behoben. Auch diese Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.

Die russischen Streitkräfte hatten in der Ukraine in der zweiten Jahreshälfte 2022 mehrere Niederlagen erlitten. Sie verloren dabei mehr als die Hälfte des Gebietes, das sie seit dem Beginn der Invasion im Februar eingenommen hatte. In den vergangenen Wochen haben sich die Frontlinien den vorliegenden Informationen zufolge dagegen nur vergleichsweise wenig verändert. Tausende Soldaten sollen bei schweren Kämpfen gestorben sein.

Ukrainischem Banksy-Dieb drohen zu zwölf Jahre Haft

Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew hat ein Verfahren gegen den Dieb eines Banksy-Wandbildes eingeleitet. Der Mann hatte Anfang Dezember mit mehreren Komplizen ein Bild des britischen Streetart-Künstlers aus einer Wand im Kiewer Vorort Hostomel geschnitten. Das Verfahren richte sich ausschließlich gegen den Mann wegen Diebstahls unter Kriegsrecht, hieß es aus der Behörde. Ihm drohen nun bis zu zwölf Jahre Haft.

„Er war sich des Wertes der Arbeit bewusst und plante, das Graffiti zu verkaufen und über die erhaltenen Gelder nach eigenem Ermessen zu verfügen", teilte die Generalstaatsanwaltschaft am Montag mit. „Dazu zog er Männer hinzu, die nichts von seinen Absichten wussten, denen er versicherte, dass er über alle erforderlichen Genehmigungen verfügte, das Wandbild zu demontieren."

Anrainer hatten damals beobachtet, wie das Bild einer Frau im Morgenmantel mit Lockenwicklern, Gasmaske und Feuerlöscher aus der Wand geschnitten wurde und die Polizei gerufen. Das Bild wurde beschlagnahmt, das Kulturministerium will über das weitere Schicksal des Werks entscheiden.

Im November war bekannt geworden, dass der Künstler mehrere Werke in den vom russischen Angriffskrieg betroffenen Vororten von Kiew und in der ukrainischen Hauptstadt selbst hinterlassen hat.
© GENYA SAVILOV

Stoltenberg: Brauchen mehr Waffenproduktion

NATO-Generalsekretär Stoltenberg sagte unterdessen der BBC, die NATO müsse sich darauf einstellen, die Ukraine langfristig zu unterstützen. Russland habe neue Kräfte mobilisiert. „Das weist darauf hin, dass sie bereit sind, den Krieg fortzusetzen und möglicherweise versuchen, eine neue Offensive zu starten", sagte Stoltenberg. Die Instandhaltung der an die Ukraine gelieferten Waffensysteme sei mindestens so wichtig wie die Debatte über weitere Waffen. „Wir brauchen eine enorme Menge an Munition. Wir brauchen Ersatzteile."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigte die langfristige Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine. In einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe sie „dem ukrainischen Volk meine uneingeschränkte Unterstützung und meine besten Wünsche für 2023 übermittelt", schrieb die deutsche Politikerin auf Twitter. Die Auszahlung der für 2023 vorgesehenen 18 Mrd. Euro werde bald beginnen. (TT.com, APA, dpa, Reuters)

EU-Ukraine-Gipfel am 3. Februar in Kiew

Der von der EU angekündigte Gipfel mit der Ukraine wird entgegen ersten Informationen nicht in Brüssel, sondern in Kiew stattfinden. Das teilte das Präsidialamt in Kiew am Montagabend nach einem Telefonat von Staatschef Wolodymyr Selenskyj mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit. An dem für den 3. Februar geplanten Treffen werden für die EU aber nicht die Staats- und Regierungschefs, sondern nur von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel teilnehmen.

Das hatte ein Sprecher Michels bereits im Dezember mitgeteilt. Da der Gipfel nun in Kiew stattfinden soll, wurden damit auch Spekulationen über einen möglichen weiteren Auslandsbesuch Selenskyjs nach seiner überraschenden Reise nach Washington im Dezember beendet.

In dem Telefonat erörterten Selenskyj und von der Leyen nach Angaben des Präsidialamtes in Kiew unter anderem die Lage an den Fronten im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch Fortschritte der Ukraine auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft und die finanzielle Unterstützung der EU für das Land seien Themen gewesen.