Schmach für McCarthy im Kongress: Chefpostenwahl geht in neue Runde
Kevin McCarthy hat vor der Wahl um den Vorsitz des Repräsentantenhauses gesagt, er werde so oft antreten, wie notwendig. Am Mittwoch dürfte er eine neue Chance bekommen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die Republikaner ihn komplett fallen lassen.
Washington – Nach mehreren erfolglosen Wahlgängen setzt das US-Repräsentantenhaus an diesem Mittwoch die Abstimmung über den mächtigsten Posten im amerikanischen Parlament fort. Zuvor hatte der Republikaner Kevin McCarthy die erforderliche Mehrheit bei der Wahl zum Vorsitzenden der Parlamentskammer drei Mal verfehlt. Für den 57-Jährigen ist das eine historische Schlappe und öffentliche Bloßstellung. Es war nun völlig offen, wie McCarthy in den Stunden bis zur neuerlichen Abstimmung am Mittwochmittag (Ortszeit/18.00 Uhr MEZ) die fehlenden Stimmen sichern will. Gleichzeitig kursierten schon Namen alternativer Kandidaten für den Posten.
Nach den Parlamentswahlen im November kam der Kongress am Dienstag erstmals in neuer Konstellation zusammen. Die Republikaner übernahmen die Kontrolle im Repräsentantenhaus - im Senat haben die Demokraten von Präsident Joe Biden weiter eine knappe Mehrheit. Der erbitterte interne Kampf der Republikaner um die Führung im Repräsentantenhaus wütet seit Wochen. Es ist nun das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei der Wahl mehr als ein Anlauf nötig ist und eine Fraktion ihren Kandidaten nicht im ersten Durchgang ins Amt wählt.
Weniger Stimmen als demokratischer Konkurrent
McCarthy benötigte bei der Abstimmung 218 Stimmen. In den ersten beiden Anläufen fielen 203 auf ihn – bei der dritten sogar nur noch 202. Damit holte er weniger Stimmen als sein demokratischer Konkurrent Hakeem Jeffries. Der Fraktionschef der Demokraten wurde von seiner Partei für den Posten nominiert. Es gilt aber als ausgeschlossen, dass er das Rennen macht. Dafür würde er Stimmen der Republikaner benötigen, denn die Demokraten sind in der Kammer die kleinere Fraktion. Republikanische Abgeordnete sprachen nach den Wahlgängen von „Chaos”.
Es war nun offen, ob die Abgeordneten, die bisher loyal hinter McCarthy stehen, dies auch weiterhin tun werden. McCarthy hatte sich kurz vor der Sitzung kämpferisch gegeben und gesagt: „Ich halte den Rekord für die längste Rede im Plenum.” Er habe kein Problem damit, einen Rekord aufzustellen für die meisten Wahlgänge bei einer Abstimmung zum Vorsitz im Repräsentantenhaus. Bis der Vorsitz geklärt ist, geht gar nichts: Die Kongresskammer kann nicht ihre Arbeit aufnehmen, nicht mal die neuen Abgeordneten können vereidigt werden.
Hinter den Kulissen dürfte es nun intensive Verhandlungen geben. Möglich ist auch, dass ein neuer Kandidat auserkoren und aufgestellt wird, auf den sich möglicherweise eine Mehrheit der Republikaner verständigen kann. Ein Name, der dabei immer wieder genannt wird, ist Steve Scalise. Der Republikaner gehört bereits zur Führungsriege der Partei. Er hatte sich am Dienstag hinter McCarthy gestellt. Genannt wird ebenfalls Elise Stefanik. Sie wurde 2014 als damals jüngste Frau in das US-Repräsentantenhaus gewählt und galt als moderat. Mittlerweile zählt sie zu den eisernen Unterstützerinnen von Ex-Präsident Donald Trump.
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Bis der Vorsitz geklärt ist, geht gar nichts
Die rechten Trump-Anhänger in der Fraktion der Republikaner bevorzugen allerdings den Abgeordneten Jim Jordan. Er stand bereits am Dienstag zur Wahl und luchste McCarthy Stimmen ab. Jordan betonte nach dem Debakel bei der Abstimmung, er selbst wolle gar nicht Vorsitzender des Repräsentantenhauses werden. Der Rechtsaußen dürfte auch für viele in der Partei kein tragbarer Kompromisskandidat sein.
Üblicherweise ist die Wahl zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses eine Formalie. Doch mehrere Parteikollegen lehnten sich gegen McCarthy auf und hatten bereits vor der Wahl deutlich gemacht, nicht für McCarthy stimmen zu wollen. Dieser machte etliche Zugeständnisse an seine Gegner, denn angesichts einer knappen Mehrheit der Republikaner in der Kammer ist er auf fast jede Stimme angewiesen. (dpa)
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Pressestimmen zu erfolglosen Wahl
Zur Wahl des neuen Sprechers des US-Repräsentantenhauses schreiben Zeitungen am Mittwoch:
Le Monde (Paris):
"Es ist ein Drama, das tiefe interne Spaltungen aufzeigt. (...) Das liegt nicht nur an der knappen Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus nach den enttäuschenden Zwischenwahlen und dem überproportionalen Gewicht ihres radikalsten Flügels. Die Republikanische Partei leidet vor allem unter einer schweren ideologischen Krise, die an diejenige erinnert, mit der auch die britischen Tories nach der jahrzehntelangen Vorherrschaft des Neoliberalismus konfrontiert sind.
Diese Krise ist nicht neu. Die Partei, deren letztes offizielles Programm aus dem Jahr 2016 stammt, hat ihre alten Überzeugungen in Bezug auf Immigration oder Freihandel aufgegeben, ohne aber eine Vision zu schaffen, in die die Wähler sich hineinversetzen könnten. Sie hat sich zu einem Populismus bewegt, der von identitärer Angst genährt wird. Das reduziert das Programm der Partei heute darauf, präventiv alle Vorschläge aus dem demokratischen Lager zu kritisieren und einen durch die Bank weg als 'Wokismus' gelabelten Progressivismus öffentlich anzuprangern. Dabei leugnen sie das Fortbestehen sozialer Ungleichheiten begonnen beim systematischen Rassismus."
De Standaard (Brüssel):
"Obwohl die rechtsextremen 'America first'-Anhänger innerhalb der republikanischen Fraktion eine relativ kleine Gruppe sind, werden sie gebraucht, um Abstimmungen gewinnen zu können. Das ermöglicht es ihnen, ihren Einfluss exponentiell zu vergrößern. Das zeigt sich unter anderem daran, wie Kevin McCarthy in den letzten Wochen als Kandidat für den Vorsitz des Repräsentantenhauses auf Knien Kompromisse eingehen musste, um den Extremisten zu willen zu sein.
De facto bot McCarthy den Vertretern des MAGA-Lagers (Make America Great Again) ein Vetorecht an, mit dem sie sein Handeln lenken könnten. Künftige republikanische Präsidentschaftskandidaten wie Ron DeSantis werden ebenfalls auf die Extremisten zugehen müssen, wenn sie Donald Trump in den Vorwahlen des nächsten Jahres schlagen wollen. Auf diese Weise bekommen Leute mit undemokratischen und rassistischen Ansichten eine weitere Chance, der amerikanischen Demokratie zu schaden - und zwar diesmal nicht, indem sie die Tore zum Repräsentantenhaus stürmen, sondern einfach von innen heraus."
Los Angeles Times:
"In einer dramatischen Ablehnung seitens der Kollegen ist der Abgeordnete Kevin McCarthy am Dienstag in drei Abstimmungen damit gescheitert, sich die Wahl zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses zu sichern. Der Republikaner aus Bakersfield könnte sich bei der Wiederaufnahme der Wahl immer noch durchsetzen. Aber egal, ob er gewinnt oder verliert, er und seine Partei sind in große Verlegenheit geraten angesichts des Chaos des ersten Tages, an dem die Republikaner wieder die Kontrolle über die Kammer übernommen haben.
Die Republikanische Partei war lange Zeit ein Zufluchtsort für Ideologen und Extremisten, die kein Interesse an einer kompetenten Regierung zu haben schienen - eine nihilistische Haltung, die der ehemalige Präsident Trump verkörperte. Das Spektakel vom Dienstag mit wiederholten ergebnislosen Abstimmungen über den Vorsitz und der darauffolgenden Vertagung war ein weiterer Beweis für die Dysfunktion der Partei und wirft echte Fragen über ihre Fähigkeit zum Regieren auf."