Tod vor 50 Jahren

Ingeborg Bachmanns Leben auf der Rasierklinge

Ingeborg Bachmann Anfang der 1960er-Jahre in Rom.
© Heinz Bachmann/Familienarchiv Bachmann

Ingeborg Bachmanns Tod jährt sich heuer zum fünfzigsten Mal. Das Wiener Literaturmuseum verneigt sich vor der großen Dichterin, deren Briefwechsel mit Max Frisch inzwischen – gegen ihren Willen – als Buch veröffentlicht wurde.

Innsbruck – Die Veröffentlichung dieses Briefwechsels wurde Ende 2022 von großem Getöse begleitet. Lange war die Korrespondenz von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die von 1958 bis 1962 ein Paar waren, gesperrt. Nun liegt sie umfangreich kommentiert vor. Frühe Leserinnen und Leser haben „Wir haben es nicht gut gemacht“ gefeiert – als literatur-, ja zeitgeschichtliches Dokument. So viel Sensation schürt Misstrauen: Auch kritische Gegenlektüren liegen inzwischen vor, die der „Jahrhundertliebe“ das allzu Außerordentliche austreiben.

Tatsächlich ist dieses gut tausendseitige Brief-Buch einer unglücklichen und letztlich glücklosen Liebe aufschlussreich – bisweilen sogar aufregend. „Wir haben es nicht gut gemacht“ ist fesselnd. Und fies: Bachmann wollte ihre Briefe nie veröffentlicht wissen. Der Reiz verbotener Früchte macht auch geschmacklose Früchte interessant.

Relevant ist das Buch mit Blick auf die bisher bekannten Geschichten über die Beziehung. Die wurde zumeist in schönstem Schwarz-Weiß erzählt: hier Frisch, der – laut Elfriede Jelinek – „unheilbar Gesunde“, der die Liaison emotional und literarisch ausbeutet; da Bachmann, in sich gekehrt, genial. Die Eindeutigkeit dieser Konstellation fächert das Briefe-Buch auf. Auch für das Mit-, Gegen- und Durcheinander zweier Schriftsteller gilt, was von allen anderen Beziehungen bekannt ist: Es war komplizierter. Den alten Geschichten fügt „Wir haben es nicht gut gemacht“ neue Geschichten hinzu. Ob die nun wahrer sind, besser formuliert sind sie allemal.

Literaturmuseum. Grillparzerhaus, Johannesgasse 6, Wien; bis 5. November, Di–So 10-18 Uhr.

Katalog Michael Hansel/Kerstin Putz: Ingeborg Bachmann. Eine Hommage. Zsolnay. 300 Seiten, 27,80 Euro.

Briefwechsel Ingeborg Bachmann/Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht“. Piper/Suhrkamp. 1040 Seiten, 41,20 Euro.

Ingeborg Bachmanns Tod am 17. Oktober 1973 jährt sich heuer zum fünfzigsten Mal. Als Regentin dieses für die heimische Literatur durchaus außerordentlichen Jahres (siehe Kasten) bietet sie sich fraglos an. Im Wiener Literaturmuseum ist bis November eine umfang- und aufschlussreiche Ausstellung über Bachmann zu sehen. Dass sie vornehmlich Würdigung sein will, unterstreicht schon der Untertitel: „Eine Hommage“. Neben großformatigen Bildern, Briefen (auch einer von Max Frisch), Manuskripten und Büchern sind auch Alltagsgegenstände der Autorin ausgestellt – „Nil“-Zigaretten etwa oder Olivetti-Schreibmaschinen. Geordnet ist die von Kerstin Putz und Michael Hansel kuratierte Schau entlang der Lebensstationen und Todesthemen Bachmanns. Ihr sagenhafter Aufstieg wird erzählt – von der Gruppe 47 über die „Gestundete Zeit“ bis zur Spiegel-Titelstory –, aber auch das Faszinosum Bachmann, ihre Liebes- und Leidensabenteuer. Dass Bachmann, die auch Werbetexte schrieb, um die Kraft guter Inszenierung wusste, wird erwähnt. Die Arbeit am Mythos allerdings ist behutsam. Der hochinformative und schön gestaltete Katalog zur Schau hat trotzdem das Zeug zum Standardwerk. Der Titel der Ausstellung übrigens bezieht sich auf einen kleinen Bachmann-Text: „Hommage à Maria Callas“. Darin beschreibt sie die Sängerin als „diva assoluta“ – sie habe ihre Rollen nicht gesungen, „sondern auf der Rasierklinge gelebt“. Gleiches lässt sich auch von Ingeborg Bachmann, den Rollen, die sie sich und denen, die ihr andere auf den Leib schrieben, sagen.

Das Literaturfrühjahr beginnt im Jänner

Österreich ist heuer mit zahlreichen Neuerscheinungen Gastland der Leipziger Buchmesse.

Wien, Innsbruck – Von 27. bis 30. April präsentiert sich Österreich als Gastland bei der Leipziger Buchmesse. Das Großereignis für die heimischen Literaturbetriebe hat – wie bereits berichtet – ein Budget von zwei Millionen Euro. Bereits seit vergangenem Frühjahr finden unter dem Motto „meaoiswiamia“, also „mehr als wir“, Veranstaltungen mit österreichischen Autorinnen und Autoren in Deutschland und der Schweiz statt, die auf den Messeauftritt einstimmen sollen. Auch mit Podcasts und der Porträt-Reihe „Archive des Schreibens“ im ORF wird der rot-weiß-rote Schwerpunkt beworben. Künstlerische Leiterin des Programms ist die Literaturjournalistin Katja Gasser. Österreich war zuletzt 1995 in Frankfurt Gastland bei einer der großen Buchmessen. Zum Rahmenprogramm des Messe-Auftritts gehören auch Konzerte und Ausstellungen. So wird etwa die zuletzt im Innsbrucker Ferdinandeum gezeigte Maria-Lassnig-Schau in Leipzig zu sehen sein.

Der österreichische Gastlandauftritt spiegelt sich auch in den Frühjahrsprogrammen der deutschsprachigen Verlage wider. Die Dichte an Novitäten heimischer Autorinnen und Autoren ist hoch. Schon in den kommenden Wochen erscheinen die ersten Frühjahrstitel – am 10. Jänner etwa „Das glückliche Geheimnis“, das neue Buch von Arno Geiger. Auch Neues von Franzobel („Einsteins Hirn“) und Raphaela Edelbauer („Die Inkommensurablen“)kommt noch im Jänner in den Buchhandel. Im Februar folgt „Verschwinden in Lawinen“, der neue Roman des Tirolers Robert Prosser, Karin Peschkas „Schomba“ und „Monde vor der Landung“ von Clemens J. Setz. Raoul Schrott denkt in seinem neuen Buch „Inventur des Sommers“, es erscheint ebenfalls im März, „über das Abwesende“ nach. Nach drei Romanen in vier Jahren legt Norbert Gstrein im April den Essayband „Mehr als nur ein Fremder“ vor. Für Mai ist „[in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis] angekündigt, der neue Gedichtband von Barbara Hundegger. (jole)