Schusswaffen in US-Städten: Größeres Risiko als Afghanistan-Einsatz
Eine Studie verglich die Gefährdung junger Männer im zivilen Leben in den USA durch Mord und Schussverletzung mit der Gefährdung im Kriegseinsatz in der US-Armee. Das alltägliche Leben ist demnach gefährlicher.
Washington – Man sollte meinen, dass der Kriegseinsatz von jungen Soldaten das höchste Risiko für Tod oder Verletzung durch Schusswaffen in sich birgt. Das ist aber bei erwachsenen jungen Männern aus den US-Großstadtbezirken mit den höchsten Kriminalitätsraten nicht mehr der Fall. Sowohl in Teilen Chicagos als auch in Philadelphia ist die Gefahr, tödlich durch Schusswaffen verletzt zu werden, um ein Mehrfaches größer als unter GIs im Krieg.
Den epidemiologischen Vergleich stellten jetzt Brandon del Pozo (Rhode Island Hospital, Providence) und seine Co-Autoren im JAMA Network Open der amerikanischen Ärztegesellschaft an. Seit vielen Jahren tobt in den USA eine heftige Diskussion über die Waffengesetze und über sonstige Maßnahmen zur Reduktion von Schusswaffenkriminalität inklusive der häufig verheerenden Amokläufe in den Vereinigten Staaten.
Die Ausgangssituation, so die Wissenschafter: "Im Jahr 2020 stieg die Mordrate in den US-Städten um 30 Prozent. Schusswaffen wurden erstmals zur führenden Todesursache für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.“ Brandon del Pozo und seine Co-Autoren verfielen deshalb darauf, die Mortalitätsstatistiken der GIs im Kampfeinsatz im Irakkrieg und in Afghanistan als Maßstab für die am meisten gefährdeten jungen Männer im Alter zwischen 18 und 29 Jahren heranzuziehen.
Studie konzentrierte sich auf Städte mit höchster Kriminalität
Für die Studie wurde eine Personengruppe von 129.826 jungen Männern mit Wohnsitz in den zehn Prozent der von Gewaltkriminalität am ärgsten betroffenen US-Städte Chicago, Philadelphia, Los Angeles und New York identifiziert. Unter ihnen kam es 2020/2021 zu 470 Morden und 1.684 Schussverletzungen. Die Konsequenz, so die Wissenschafter: "Erwachsene junge Männer, die in dem von Gewalt am meisten betroffenen Bezirk (Postleitzahl; Anm.) in Chicago wohnten, hatten ein um das 3,23-Fache höheres Risiko, tödliches Opfer durch einen Angriff mit einer Feuerwaffe zu werden als bei einem Einsatz in Afghanistan (...).“
In Philadelphias am meisten von Gewalt heimgesuchten Adressen war das Risiko mit dem Faktor 1,91 noch immer fast doppelt so hoch als am Hindukusch. Die Vergleichszahlen aus Afghanistan stammten aus den Jahren 2001 bis 2014, vom Irakkrieg aus den Jahren 2003 bis 2014.
Bessere Zahlen für New York und Los Angeles
Verglich man das Sterberisiko durch Schusswaffen in den zehn Prozent der Stadtbezirke von Chicago und Philadelphia mit den höchsten Raten an Gewaltkriminalität, war sie in Chicago noch immer mehr als doppelt so hoch (Faktor 2,1) als für junge GIs im Kriegseinsatz. In Philadelphia war das Sterberisiko durch Schusswaffengebrauch etwas erhöht (Faktor 1,15). Die Häufigkeit von nicht tödlich verlaufenen Verletzungen durch Feuerwaffen war in Chicago und Philadelphia geringer als bei einem Militäreinsatz in Afghanistan, aber etwa gleich hoch wie für US-Soldaten im Irak. New York und Los Angeles schnitten wesentlich besser ab.
Insgesamt haben junge Männer in den Kriminalitätsbrennpunkten von Chicago ein jährliches Risiko, Opfer eines Mordes unter Verwendung einer Schusswaffe zu werden, von 1,3 Prozent. Zusammen mit nicht tödlich verlaufenden Verletzungen erhöht sich diese Gefährdung auf jährlich 5,8 Prozent. In Philadelphia lag dieses Gesamtrisiko bei 3,2 Prozent, in New York bei 0,7 Prozent und in Los Angeles bei 0,6 Prozent. (APA)