"Verrückt": Felix Kammerer zwischen Burg und Hollywood
Eine dichte Folge von Proben und Vorstellungen ist für jeden Burgschauspieler Alltag. Dazwischen einen Kurz-Trip nach Los Angeles einzuschieben, in einem 17-stündigen Aufenthalt über den Red Carpet bei der Golden Globe Verleihung zu schreiten und als Hauptdarsteller mit dem Team von "Im Westen nichts Neues" um einen Preis für den besten nicht englischsprachigen Film zu zittern - das könnte auch einen Routinierteren als Felix Kammerer aus der Bahn werfen.
"Es war wirklich verrückt. Man steht da zwischen all den Größen der Branche und lernt Menschen kennen, die man sonst nur von der Leinwand kennt. Das war ein unglaubliches Erlebnis", schildert er der APA seinen Eindruck vom Trubel unter den Hollywood-Promis bei der Gala im Beverly Hilton Hotel, nachdem er unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wien bereits wieder auf der "Zauberberg"-Probe stand. "Ich bin so dankbar, dass ich bei dieser Veranstaltung dabei sein durfte. Es ist wirklich ein riesiges Privileg als junger europäischer Schauspieler, dort teilnehmen zu dürfen." Aus dem Preis wurde zwar nichts, doch leere Flugkilometer waren es keineswegs. In vielen Gesprächen war seine Performance in dem beeindruckenden Anti-Kriegs-Film Thema: "Es war überwältigend, wie viele Menschen auf einen zukommen und ihr Lob aussprechen. Ricardo Darín, Percy Hynes White und Ruben Östlund haben wirklich ganz wunderbare Worte gefunden. Dafür kann ich mich gar nicht genug bedanken." Internationale Produzenten haben ein Auge auf ihn geworfen. Dabei hat die Filmpreis-Saison gerade erst begonnen.
Am 19. Jänner werden die Nominierungen für die britischen BAFTA-Filmpreise bekanntgegeben. Kammerer hat es in der Kategorie Bester Hauptdarsteller auf die zehn Namen umfassende Longlist geschafft. "Auf dieser Liste in einer Reihe neben Tom Cruise und Colin Farrell zu stehen - das hat mich wirklich umgehauen", gibt er zu. Am 24. Jänner werden die Oscar-Nominierungen verlautbart. "All Quiet on the Western Front", wie die Netflix-Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque durch Edward Berger auf Englisch heißt, gilt dort als Fixstarter in der Auslandskategorie - und Kammerer wird von der Branchen-Bibel "Variety" als Außenseiter-Kandidat bei den Hauptdarstellern gehandelt.
Der 27-jährige Wiener erlebt gerade frühe Sternstunden, ohne zu wissen, in welche Umlaufbahn ihn seine Trägerrakete katapultieren wird. "Dabei bin ich mit dem Burgtheater ja eh schon in der Top-Liga der Theater", wirkt er in seinem Pulli im modischen Schlabber-Look in der Akademietheater-Garderobe beinahe schüchtern. In eineinhalb Stunden steht er hier als Fähnrich Otto in Barbara Freys viel gepriesener Inszenierung von Schnitzlers "Das weite Land" auf der Bühne. Das Spielen im Kreise des hochkarätigen Burgtheater-Ensembles, dem er seit 2019 angehört, mache ihm viel Spaß, sagt er.
Überhaupt sei er hier mit sehr vielen schönen Aufgaben konfrontiert worden, spiele geschliffenes psychologisches Theater wie "Moskitos" von Lucy Kirkwood (für seine Darstellung des nerdigen Sohnes einer CERN-Forscherin wurde er kürzlich mit dem Nachwuchs-Nestroy ausgezeichnet) ebenso gerne wie konzeptuelle Zugriffe à la Robert Borgmann (in dessen Bilderorgie zu Rainald Goetz' "Reich des Todes" er mitwirkt). Die "Zauberberg"-Version, die am 28. Jänner im Burgtheater Premiere haben wird, zählt sicher zu den Zweiteren. "Regisseur Bastian Kraft hat ein strenges Konzept vorgegeben. Darin lässt er uns aber auch viel Raum. Ich mag das."
Kraft hat den Mammut-Roman von Thomas Mann radikal auf rund zwei Stunden Spieldauer eingestrichen und lässt vier Darsteller (neben Kammerer Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer) eine große weiße Berg-Skulptur bespielen. Alle Vier sind Teile der Hauptfigur Hans Castorp. "Die anderen 14 Figuren sind auf Video voraufgenommen und sprechen mit uns auf der Bühne. Es entsteht eine Ahnung, dass das Ganze vielleicht nur Castorps Erinnerungen sind." Im Vorfeld wird auch TikTok mit eingebunden, um auch junges Publikum an Bord zu holen. "Ich frag mich schon manchmal: Kann das alles funktionieren? Ich weiß es nicht. Davon werden wir wohl erst eine Ahnung bekommen, wenn wir jetzt beim Proben auf die Bühne übersiedeln. Aber ich finde es besser, viel zu wagen, als von vornherein Angst zu haben, womöglich zu viel zu wollen."
Das Motto kann auch für den Sohn der Sängerin Angelika Kirchschlager und des Sängers Hans Peter Kammerer gelten, der nur kurz mit einem Physik-Studium liebäugelte, dann durch das "Junge Ensemble Hörbiger" doch am Theater Blut leckte und die renommierte Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch absolvierte. "Von dort hat mich Martin Kušej ans Burgtheater geholt. Ich empfinde eine große Loyalität ihm gegenüber und bin ihm auch zu Dank verpflichtet. Ich kann wirklich sagen: Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt."
Vom Theater will er auch keineswegs lassen. Künftig gilt es aber, Dreharbeiten und Bühnenspiel möglichst gut miteinander zu koordinieren. Die Rolle des Paul Bäumer, der direkt von der Schule in die Knochenmühle der Westfront geschickt wird, hat ihn in die internationale Auslage gestellt. Der zierlich wirkende junge Mann ist, um die Strapazen des Drehs in den Schlammlöchern des Film-Schlachtfelds zu überstehen, in der Vorbereitung auf die Rolle vier Monate mit Bleiwesten laufen gegangen. Auch so etwas liebt man in der Traumfabrik jenseits des großen Teiches. "Hollywood ist im Bereich des Möglichen", gibt er einen kleinen Einblick in laufende Verhandlungen. "Aber eigentlich bin ich noch immer überwältigt von dem, was gerade passiert. Ich lass mich also überraschen."
Bereits abgedreht hat er die im Zweiten Weltkrieg spielende vierteilige Netflix-Miniserie "All the Light We Cannot See", die Verfilmung von Anthony Doerrs mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman durch Shawn Levy, wo er an der Seite von Mark Ruffalo und Hugh Laurie spielt. "Ich möchte natürlich bald wieder drehen. Aber vorläufig gibt es einen einzigen Termin, den ich gesperrt habe - den 12. März", lächelt Felix Kammerer schelmisch. Es ist der Termin der Oscar-Verleihung.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)