Christian „Niewo“ Niederwolfsgruber gestorben: Trauer um Archivar der Subkultur
Innsbruck – Die Innsbrucker Kultur- und Alternativszene trauert um Christian Niederwolfsgruber. Als Fotograf und Subkultur-Archivar hatte „Niewo“ seit Jahrzehnten – und bis zuletzt – unermüdlich Veranstaltungen aller Art in Zigtausenden Bildern sowie Videos festgehalten: Konzerte, Lesungen, Feste, aber auch Demos und Kundgebungen. Dabei galt sein wacher Blick stets besonders Randgruppen, Flüchtlingen, Aktivisten, er sah seine Arbeit als Ergänzung zur klassischen Medienöffentlichkeit. 2022 wurde der „inoffizielle Stadtchronist“ mit dem Kulturehrenzeichen der Stadt Innsbruck geehrt. Nun ist „Niewo“ wenige Tage vor seinem 68. Geburtstag verstorben. Wie sehr er fehlen wird, zeigt nicht zuletzt die große Anteilnahme in den sozialen Medien. (TT)
Laudatio für Christian Niederwolfsgruber
Von Elisabeth Mayr anlässlich der Verleihung des Kulturehrenzeichens der Stadt Innsbruck an Christian Niederwolfsgruber im Vorjahr:
"Als Fotograf ist Christian Niederwolfsgruber ein Chronist des Geschehens in unserer Stadt, ein Chronist von Kulturgeschehen, von politischem Geschehen, von Zeitgeschehen.
Dabei ist besonders seine Bedeutung als Zeitzeuge hervorzuheben, als Zeitzeuge, der Kultur, Kunst und zeitgeschichtliche Bewegung durch seine fotografische Dokumentation aus dem flüchtigen Augenblick des Erlebens heraus festhält.
Mit seinen Bildern dokumentiert er, was sich in unserer Stadt bewegt, was uns bewegt, er erzählt die Geschichte seiner und unserer Zeit und: er erzählt die Geschichte unserer Stadt Innsbruck.
Mit seiner Kamera hat er über viele Jahre diese unzähligen – und dieses „unzählig“ ist keine Übertreibung, sondern wortwörtlich zu nehmen – Augenblicke eingefangen: auf zahlreichen Veranstaltungen, Vernissagen von Galerien, Kulturveranstaltungen, Konzerten, Lesungen, Buchpräsentationen, Gedenkfeiern, etwa die Gedenken an die Pogromnacht am jüdischen Friedhof und am Landhausplatz, Preisverleihungen, ob von Stadt, Land, Uni, Volkskunstmuseum – oder auch Straßenmusik wie die des Street Noise Orchestra, das Leben und Treiben im Treibhaus … Dabei kennt er sehr gut das Problem der Überschneidungen von Terminen, wie wir es auch aus der Politik kennen, er kennt es vielleicht noch besser!
Aber auch bei unzähligen politischen Veranstaltungen, Kundgebungen, Demos, zivilgesellschaftlichen Initiativen im Einsatz für Menschenrechte, für Geflüchtete, Fridays for Future, Black Lives Matters, vielen Kundgebungen und Aktionen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen war und ist Christian Niederwolfsgruber präsent, um diese Bewegung für den Moment und für die Zukunft festzuhalten.
Allein das Archiv der politischen Veranstaltungen umfasst 100.000 digitale Bilder, die Anzahl der Bilder von kulturellen Veranstaltungen umfasst etwa noch einmal so viele. Besonders wertvoll dabei für die Stadt und unsere Gesellschaft: seinen Foto-Dokumentationen ermöglicht er ein Weiterleben in öffentlichen Archiven, wo sie für die Allgemeinheit auch in Zukunft zugänglich und greifbar sind.
Initialzündung für Christian, so hat er mir einmal erzählt, war, als er Anfang der 70er den Film Z – Anatomie eines politischen Mordes von Costa-Gavros gesehen hat. Die Bedeutung der Kamera in diesem Film, besonders die Szenen, in denen zwei junge Journalisten Demonstrationen fotografieren, bei denen Gewalt stattfindet. Die Fotos zeigen schließlich, dass das, was geschehen ist, kein Unfall war, sondern ein politischer Mord, der als Unglück ausgegeben wurde und ermöglichen somit eine Perspektive, die eine Grundlage für eine gerechte Bewertung und richtige Einordnung von Augenblicken ist und „geschichtsentscheidend“ sein kann.
Bei dieser Perspektive steht im Mittelpunkt: Die Macht der Bilder werden als Dokument betrachtet, und wesentlich auch als Korrektiv; die Macht der Bilder kann dazu genutzt werden, Gerechtigkeit und Bewegungen für Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte zu begleiten und auch zu unterstützen.
Diese Sichtweise auf das Fotografieren und die damit verbundene Aufgabe erfordern Mut, überaus viel Mut. Das darf nicht unterschätzt werden. Denn man setzt sich auch einer Gefahr aus, denn derjenige, der hinter einer Linse steht, bezieht durch seine Bilder auch Position. Niewo kennt aus eigener Erfahrung Situationen, etwa auf Demos, wo er im Nachhinein mit Anzeigen konfrontiert war, zum Beispiel, wenn eine Demo – „Grenzen töten“ – eingekesselt und aufgelöst wird, durch die Einkesselung ein Auflösen in der beabsichtigten Form aber nicht möglich ist. Nicht immer wurde, wie in diesem Fall, das Verfahren eingestellt und die Anzeige fallen gelassen.
So sehr die Kamera auch ein „Objektiv“ bietet und damit einen gewissen Schutz, ein Korrektiv nach allen Seiten hin sein kann, so sehr setzt es auch Risiken aus, wenn Situationen kritisch werden.
Auch hier braucht das Fotografieren, das Dokumentieren, das Festhalten von Geschehen, damit daraus Zeitgeschichte werden kann, Mut – Mut und Haltung.
Mut und Haltung, ein unermüdlicher Einsatz im Dokumentieren – das alles beschreibt Christians außergewöhnlichen Einsatz, mit dem er auch einen wichtigen Teil der Geschichte unserer Stadt schreibt und für den wir ihn heute mit dem Ehrenzeichen für Kunst und Kultur auszeichnen dürfen."