📺 Filmkritik

„Unruh“ von Cyril Schäublin: Anarchistisches Schweizer Uhrwerk

Auch die Produktivität von Josephine Gräbli wird in der Schweizer Uhrenfabrik von Saint-Imier genau gemessen.
© Filmgarten

Der Film „Unruh“ erzählt vom echten Besuch des Anarchisten Kropotkin im Schweizer Uhrmacherort.

Innsbruck – Film ist versiegelte Zeit und Rhythmus, zumindest wenn man Regielegende Andrei Tarkowski glaubt. Doch was, wenn die Zeit als Essenz des Kinos und der Umgang der Menschen damit zum Thema werden? Der Film „Unruh. Ein Schweizer Sommer der Anarchie“ von Cyril Schäublin versucht genau das. Er erzählt vom Moment der Vereinheitlichung der Zeit, die zugleich auch die Geburtsstunde des Kapitalismus ist: Im Jahr 1877 versucht der Direktor der Uhrenfabrik im Schweizer Saint-Imier, die Produktion immer weiter zu optimieren. Wegzeiten und die Produktivität der Arbeiterinnen werden auf die Sekunde genau gemessen. Auch jene von Josephine Gräbli (Clara Gostynski). Sie ist für die Unruh zuständig, die dem Film seinen wunderbaren Titel gibt, also das Rhythmus-Schwingsystem im Uhrwerk.

In Saint-Imier formiert sich auch ein stiller Widerstand gegen die Praxis in der Uhrenfabrik, „Eigentum ist Diebstahl“ steht schon auf den Zündholzschachteln. Saint-Imier ist widerständig. Und das weltweit wichtigste Zentrum der anarchistischen Bewegung, mit Kooperativen und publizistischer Tätigkeit, die weit ins Ausland ausstrahlt. Also kommt auch der spätere Vater des Anarchokommunismus Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (Alexei Evstratov) nach Saint-Imier – offiziell um als Geograph eine neue Karte zu erstellen.

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Drehbuchautor und Regisseur Cyril Schäublin, selbst Spross einer Uhrmacherfamilie, baut sich nach und nach eine historisch-filmische Welt aus realen Versatzstücken zusammen. Eine, die durchaus fasziniert, auch wenn die linke Ideologie wie schon in Julian Radlmaiers „Blutsauger“ größtenteils Staffage ist. Er lässt die Dorfbewohner aufeinandertreffen und zelebriert längst überholte Techniken – von der Uhrmacherei über das Telegraphieren bis zur Porträtfotografie. Und letztlich verweist der Film selbst auf seinen fotografischen Ursprung.

So weit wie Peter Watkins in seinem monumentalen filmischen Reenactment „La Commune (Paris, 1871)“ geht Schäublin allerdings nicht, auch wenn das Schauspiel zuweilen theaterhaft wirkt. Eine wirkliche Liebes- oder Filmgeschichte zwischen Josephine, Pjotr und dem Dorf kommt auch nicht zustande. Doch das nostalgische Schweizer Flair im schwyzerdütsch-französischen Original geben dem zwar harmlosen, aber auch utopischen Film einen leichten Ton und einen angenehmen Rhythmus.