Meistgesuchter Mafioso Italiens: Boss der Cosa Nostra nach langer Jagd verhaftet
Dem heute 60-jährigen Matteo Messina Denaro werden zumindest 50 Morde zur Last gelegt, den ersten soll er im Alter von 18 Jahren begangen haben. Er gilt als der mächtigste Mann in der italienischen Verbrecherorganisation.
Rom – Die italienische Polizei hat den Chef der sizilianischen Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro, verhaftet. Wie die Carabinieri am Montag mitteilten, wurde der Mafioso und meistgesuchte Verbrecher Italiens in einer Privatklinik in Palermo festgenommen, wo er behandelt wurde. Dem seit 30 Jahren gesuchten Mafiaboss werden mindestens 50 Morde zur Last gelegt. Den ersten soll der heute 60-Jährige im Alter von 18 Jahren begangen haben.
Laut den Ermittlern war Messina Denaro bereits seit einem Jahr in der Klinik wegen eines Tumors im Unterleib in Palermo in Behandlung. Er war unter dem falschen Namen „Andre Bonafede" operiert und mit Chemotherapie behandelt worden. „Wir hatten keine Ahnung, dass wir Messina Denaro in Behandlung hatten", sagte ein Arzt der Klinik. Als der Boss die Polizisten im Krankenhaus bemerkte, versuchte er zu flüchten, wurde jedoch festgenommen und in eine Carabinieri-Kaserne auf Sizilien gebracht, berichteten die Ermittler. Er gab seine Identität zu. Nach dem Verhör wurde er zum Flughafen geführt. Erwartet wird, dass der Boss in einer Hochsicherheitsanstalt für Mafiosi auf dem italienischen Festland inhaftiert wird, wo genau, war vorerst nicht bekannt.
Mehr als 100 Sicherheitskräfte waren für die Festnahme des Paten im Einsatz. Ein Vertrauensmann des Bosses wurde ebenfalls festgenommen. Er hatte Messina Denaro zur Therapie ins Krankenhaus begleitet. Der Staatsanwalt von Palermo, Paolo Guido, der die Ermittlungen koordinierte, erklärte, dass die Festnahme das Ergebnis einer „komplexen Untersuchung" sei.
📽️ Video | Kopf der „Cosa Nostra" geschnappt:
Seit Jahrzehnten nur Phantombilder von Gesuchtem
Messina Denaro gilt als mächtigster Mann der sizilianischen Mafia und als Nachfolger des 2017 im Alter von 87 Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis gestorbenen Mafia-Paten Salvatore „Toto" Riina. Jahrelang gab es von Messina Denaro lediglich ein Phantombild aus den frühen 1990er-Jahren. Das Bild wurde dann mit einem neuen Computer-Programm aktualisiert, das den Alterungsprozess bis ins kleinste Detail berücksichtigte. Im jüngsten Bild erscheint der „Diabolik" genannte Mafia-Boss sichtlich gealtert und mit schütterem Haar
In den vergangenen Jahren war Messina Denaro bei Razzien auf Sizilien der Festnahme knapp entgangen. Der Boss hatte die Cosa Nostra nach der Festnahme des Paten Bernardo Provenzano im Jahr 2006 übernommen. Laut Polizei hatte er zuletzt öfters Auslandsreisen unternommen. Seine Geschäftstätigkeit habe der Mafia-Boss auf Venezuela ausgedehnt.
Für die Morde an den Richtern und Mafia-Jägern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die im Jahr 1992 bei zwei Bombenanschlägen mit mehreren Leibwächtern ums Leben kamen, sowie weiterer Attentate wurde er in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Denaro war seit 1993 auf der Flucht.
Regierungschefin Meloni feiert „großen Sieg für den Staat"
Die Festnahme Messina Denaros bezeichnete die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni als großen Sieg für den Staat. Sie dankte den Ermittlern für „die Festnahme des wichtigsten Vertreters der Mafia". „Die Regierung sorgt dafür, dass der Kampf gegen die Mafia-Kriminalität unvermindert fortgesetzt wird", kommentierte Meloni. Sie kündigte eine Initiative an, damit der 16. Jänner künftig als Tag zu Ehren der Anti-Mafia-Ermittler und -Staatsanwälte gefeiert wird. Der aus Palermo stammende italienische Staatschef Sergio Mattarella, dessen Bruder Piersanti in den 1980er-Jahren von der Mafia ermordet wurde, gratulierte den Ermittlern zur Festnahme.
Auch Palermos Bürgermeister Roberto Lagalla kommentierte die Verhaftung: „Die Festnahme des Bosses Messina Denaro ist ein großer Sieg für den Staat und ein Wendepunkt im Kampf der Institutionen und der Strafverfolgungsbehörden gegen die Mafia. Mein herzlicher Dank gilt allen Ermittlern", sagte Lagalla. „Wie alle Mafia-Bosse war er genau dort, wo jeder wusste, dass er war, in Palermo", schrieb der Schriftsteller und Anti-Mafia-Experte Roberto Saviano, Autor des Bestsellers „Gomorrah".
Inzwischen ist die Suche nach Komplizen des Bosses im Gange, die seine langjährige Flucht begünstigt haben sollen. Geprüft wird auch, ob in der Klinik jemand über die wahre Identität Messina Denaros informiert sei, teilten die Ermittler bei einer Pressekonferenz am Montag mit. Seine Verhaftung fällt fast auf den Tag genau auf den 30. Jahrestag der Festnahme von Toto Riina, der seit den 1970er-Jahren über die sizilianische Mafia geherrscht hatte. (TT.com, dpa, APA)
▶️ Kurz erklärt: Was die Cosa Nostra ist
Die Cosa Nostra ist historisch die älteste der italienischen Verbrecherorganisationen. Sie entstand auf Sizilien und hat eine weitgehend hierarchische Struktur mit einem sogenannten "militärischen" Flügel und einem wirtschaftlichen. Ihr Zusammenhalt stützt sich wesentlich auf einen internen Kodex mit strengen Verhaltensregeln. Allen "Ehrenmännern" gemeinsam ist die ablehnende Haltung gegenüber dem Staat.
Diese Haltung ist in der Cosa Nostra so stark verwurzelt, dass ein Mitglied, falls er selbst Opfer eines Verbrechens wird, niemals Anzeige erstattet. Die Hauptsitze der Cosa Nostra befinden sich auf Sizilien. Die Organisation zählt rund 5.500 Clan-Mitglieder und 180 Cosa Nostra-Familien. Das Einflussgebiet der Cosa Nostra erstreckt sich in Italien auf Sizilien, Apulien sowie Mittel- und Norditalien.