Oper in Frankfurt

Thomas Manns „Die Betrogene“: Dem Tod mit Versöhnlichkeit begegnen

Intensives Seelendrama. Mezzo Bianca Andrew (Bildmitte) als Aurelia in der Oper „Blühen“.
© Barbara Aumüller

Vito Žuraj und Händl Klaus bearbeiten Thomas Manns „Die Betrogene“ für die Oper Frankfurt. Am Sonntag war Uraufführung.

Frankfurt – Gäbe es einen Nobelpreis für Zynismus, Thomas Mann hätte ihn für seine letzte Novelle verdient. Erbarmungsloser, hoffnungsloser, trauriger geht es nicht: Eine ältere Frau verliebt sich in einen jungen Studenten, als die Beziehung körperlich wird, setzen (wieder) Blutungen ein, was die Verliebte als Verjüngung interpretiert, als Zeichen neuer Fruchtbarkeit. In Wirklichkeit ist es ein bösartiger Tumor.

Gäbe es einen Nobelpreis für die gefühlvolle, völlig antizynische Umsetzung dieser Geschichte, der slowenische Komponist Vito Žuraj und der aus Tirol stammende Dramatiker Händl Klaus hätten ihn verdient. Zwar werden auch hier in rund 75 Minuten viele grausame Details erzählt, aber es gibt eine große Zugewandtheit der Autoren zur leidenden, sterbenden Frau.

Das Ensemble Modern unter Michael Wendeberg sowie ein laut Partitur zwölfköpfiges Vokalensemble (der Rezensent zählte allerdings nur elf Anwesende) bringen Žurajs ebenso komplexe wie in jedem Moment sinnliche Musik zum Leben und Leuchten. Es gibt eine riesige Palette an Stimmungen und Farben, die frustrierte, gehbehinderte Tochter der Hauptfigur wird durch versch(r)obene Walzer-Rhythmen charakterisiert (Nika Gorić singt und spielt fabelhaft), für den Studenten Ken (mit nicht nur vokalem Charme: Michael Porter) gibt es schön temperiertes Liebeswerben und Sehnen, fulminant auch die beruhigend schwingenden Kantilenen des Arztes (Alfred Reiter), der wie ein gütiger Gott Aurelia begleitet.

Mann nannte sein Opfer Rosalie, in Frankfurt erleben wir eine am Ende – das lange dauert und mit immer neuen, oft auch tröstlichen Klangfarben ausgemalt ist – ins Offene gleitende Frau mit Aura und Charakter namens Aurelia.

Vielleicht gibt es ein Jenseits, wenn nicht, so hat Aurelia jedenfalls vor ihrem Tod noch oder überhaupt zum ersten Mal wirklich und heftig geliebt. Bianca Andrew lässt ihren tollen Mezzo erstrahlen, wird immer mal wieder von einem Saxofon begleitet. Žuraj lässt öfters Zitate aufblitzen (etwa Bartóks „Blaubart“) und setzt auf interessante Verschleifungen zwischen Orchester und Vokalensemble. Zum Finale gibt es sanfte Klangschalenmusik, die freilich nichts von Kitsch oder Küchenesoterik hat.

Das äußerst klug komponierte Libretto von Händl Klaus – der Text ist der langjährigen, 2021 verstorbenen TT-Kulturredakteurin Ursula Strohal gewidmet – changiert zwischen aufwühlender Dramatik und feinfühligem Ausleuchten der Figuren. Da ist kein Wort zu viel, keine Silbe falsch, die Verzahnung mit der Partitur gelingt stupend.

Gespielt wird diese tolle Novität im Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt. Wo einst Straßenbahnen repariert wurden, zeigt jetzt Regisseurin Brigitte Fassbaender, wie man ein intensives Seelendrama realisiert. Im Bühnenbild von Martina Segna wird vor oder neben großen Streben mit Ausbuchtungen (vielleicht Weidenkätzchen – oder auch Geschwüre) agiert. Der Arzt tritt aus einem felsigen Un-Ort hervor. Ein für die naturverbundene Aurelia so wichtiger Baum wirkt wie aus blauem Samt. Alles fügt sich gut zusammen und verfugt sich aufs Schönste, einziger Einwand: die Herren des Vokalensembles stehen zeitweise etwas krumm in der Landschaft herum.

Wir verraten erst jetzt den Stücktitel. Aus Thomas Manns „Die Betrogene“ wird hier „Blühen“. Und dieses geschieht auf mehreren Ebenen wirklich und überstrahlt die Angstblüte der geplagten Aurelia.