ÖVP-Absturz und Triumph für FPÖ: So hat Niederösterreich gewählt
Die ÖVP muss bei der Landtagswahl in Niederösterreich schwere Verluste hinnehmen und verliert die absolute Mehrheit im Landtag und in der Landesregierung. Die FPÖ überholt die SPÖ und landet klar auf Platz zwei.
St. Pölten ‒ Die ÖVP hat bei der Landtagswahl in Niederösterreich am Sonntag die prognostizierten Verluste eingefahren – und das sehr deutlich. Laut dem vorläufigen Endergebnis (inkl. fast aller Wahlkarten) kam die ÖVP auf 39,94 Prozent der Stimmen. Damit büßte sie gegenüber den 49,63 Prozent von 2018 fast zehn Prozentpunkte ein. Die FPÖ legte massiv zu und nahm der SPÖ Platz zwei ab, die Stimmen verlor. Grüne und NEOS schafften den Wiedereinzug problemlos.
Im von der Landeswahlbehörde am Abend bekannt gegebenen vorläufigen Endergebnis sind bereits fast alle Wahlkarten enthalten. Nur wahlkreisfremde Wahlkarten werden spätestens bis Dienstag ausgezählt. Sie werden das Resultat jedoch nur mehr minimal verändern - laut den Hochrechnern von SORA/ORF maximal um 0,1 Prozentpunkte. Der "4er" vor dem Ergebnis für die ÖVP dürfte aber wohl nicht mehr erreichbar sein. Das Resultat bedeutet den historischen Tiefststand für die Volkspartei, bisher schwächstes Ergebnis waren 44,23 Prozent (bei der Landtagswahl 1993).
📽️ Video | NÖ: ÖVP stürzt ab, FPÖ überholt SPÖ
Die ÖVP ist nach einem buchstäblich "schwarzen Sonntag" samt historischem Tiefstand zum erst dritten Mal seit 1945 ohne Mandatsmehrheit in ihrem Kernland. Vor dem 29. Jänner 2023 war das bisher lediglich in den Jahren 1993 und 1998 bzw. von 1993 bis 2003 der Fall. 39,94 Prozent laut dem vorläufigen Ergebnis und der im Vergleich zu 2018 mit minus 9,69 Prozentpunkten größte Verlust aller Zeiten (bisher sieben Prozentpunkte 1988) bedeuten künftig nur 23 der 56 Sitze im Landhaus an der Traisen in St. Pölten. So wenige (zuletzt 29) waren es noch nie. 44,23 Prozent vor 30 Jahren hatten 26 Mandate bedeutet.
Zudem ging auch die Mehrheit in der Regierung verloren. Nur mehr vier der neun Vertreter (bisher sechs) kommen künftig aus den Reihen der Volkspartei.
📽️ Video | Mikl-Leitner zu den ÖVP-Verlusten
Die SPÖ konnte nicht profitieren und verlor ebenfalls. Mit 20,66 Prozent (zuletzt 23,92) stürzte auch die niederösterreichische Sozialdemokratie auf das schlechteste Ergebnis aller Zeiten ab (bisher 21,57 Prozent im Jahr 2013). Ein Sitz im Landtag ging verloren. Künftig stellen die Sozialdemokraten nur mehr zwölf Mandatarinnen und Mandatare. In der Regierung bleibt es bei zwei Mitgliedern.
Die FPÖ feierte einen Triumph in mehrfacher Hinsicht: erstmals Platz zwei in Niederösterreich, 24,19 Prozent (plus 9,43 Prozentpunkte) als mit Abstand bestes Ergebnis (bisher 16,08 Prozent im Jahr 1998 und damit noch in der Ära Jörg Haider), 14 statt acht Mandate (bisheriges Maximum neun ebenfalls 1998) und erstmals der Zweite Landtagspräsident.
Grüne holen Klubstärke zurück
Die Grünen holten sich mit künftig vier Mandaten die Klubstärke zurück, die sie schon von 2003 bis 2018 innehatten. 7,58 Prozent (plus 1,15 Prozentpunkte) sind das zweitbeste Ergebnis im Bundesland nach 8,06 Prozent vor zehn Jahren. Die NEOS schafften beim zweiten Antreten in Niederösterreich 6,67 Prozent (plus 1,52 Prozentpunkte). Damit erreichten sie neuerlich drei Sitze im Landtag.
Für die Landesregierung bedeutet der Wahlausgang, dass die ÖVP künftig nur mehr vier statt sechs der neun Mitglieder stellt. Die FPÖ hat erstmals drei (zuvor ein Landesrat) inklusive Landesvize, die SPÖ weiterhin zwei Landesräte. Im Landtagspräsidium dürften künftig alle drei Regierungsparteien vertreten sein. Der erste Präsident geht wie bisher an die ÖVP, der zweite von der Volkspartei an die FPÖ, der dritte bliebe demnach der SPÖ.
Die Wahlbeteiligung betrug 71,52 Prozent. Sie war damit um 4,96 Prozentpunkte höher als vor fünf Jahren.
📽️ Video | Bürger (ORF) zur neuen Machtverteilung
Mikl-Leitner "schmerzt" historisch schlechtes Ergebnis
Landeshauptfrau und ÖVP-Spitzenkandidatin Johanna Mikl-Leitner sprach angesichts des schlechtesten Resultats seit 1945 von einem "schmerzlichen Ergebnis" und machte sich zur Aufgabe, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Sie ortete eine Protestwelle, die über das Land gerollt sei, ausgelöst durch weltweite Krisen "und vor allem durch Unzufriedenheit mit der Bundespolitik". Auf Ebene der Bundespolitik führte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) den Ausgang der niederösterreichischen Landtagswahl auf die "Gemengelage" verschiedenster Krisen wie Asyl, Pandemie und Teuerung zurück. Es seien "schlechte Zeiten für Regierende".
SPÖ-Spitzenkandidat Franz Schnabl wollte trotz des Abrutschens nichts von Personaldiskussionen wissen. "Warum soll Feuer auf dem Dach sein?", meinte er. In den anderen Landesparteien begann es allerdings bereits zu brodeln. Die burgenländische SPÖ zeigte sich enttäuscht und forderte eine Analyse der Ursachen, auch in der Steiermark wurde eine genaue Aufarbeitung gefordert.
📽️ Video | Reaktionen auf das Ergebnis der NÖ-Wahl
Die Bundes-SPÖ startete umgehend die Absetzbewegung vom Wahlverlust. Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch hielt fest, "dass die heutige Wahl eine Landtagswahl ab, wo es um die Zusammensetzung im niederösterreichischen Landtag gegangen ist". Mit ihrem Themenwahlkampf sei die SPÖ dort nicht durchgedrungen, anders als die FPÖ. Diese habe nämlich durch die Themen Asyl und Migration Schützenhilfe von der ÖVP erhalten. Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner gab es hingegen nichts schönzureden, es sei "kein einfacher Tag für die Sozialdemokratie".
FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer sah das Ansprechen von Themen, die die Menschen bewegten, als Schlüssel zum Erfolg. Die FPÖ schloss eine weitere Zusammenarbeit mit Mikl-Leitner aus, auch zur Landeshauptfrau werde man sie nicht wählen. Für Obmann Herbert Kickl war der Sonntag ein "Tag der Freiheit für die Niederösterreicher".
Wahl in Niederösterreich
FPÖ schließt nach Erfolg Zusammenarbeit mit Mikl-Leitner aus
Grünen-Spitzenkandidatin Helga Krismer sah im Plus für ihre Partei eine "starke, kräftige Stimme für die Zukunft". Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ortete ein "erfreuliches Ergebnis" seiner Partei. Krismer habe "das letzte Hemd gegeben".
Ebenfalls zufrieden war man bei den NEOS. Spitzenkandidatin Indra Collini freute sich über ein "schönes Ergebnis" sowie ein "solides Wachstum" ihrer Partei. Generalsekretär Douglas Hoyos sah ein "sehr solides Ergebnis" eingefahren. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger freute sich über ein Viertel mehr Wähler.
Die Niederösterreich-Wahl hatte nicht nur landespolitisch Brisanz, sie wird auch als Stimmungstest für den Bund gewertet. Mit Kärnten und Salzburg bestimmen am 5. März bzw. 23. April zwei weitere Länder die Neuzusammensetzung ihrer Landesparlamente.
Tiroler ÖVP will "Vertrauen zurückgewinnen", FPÖ jubelt
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) interpretierte das niederösterreichische Wahlergebnis in einer ersten Reaktion gegenüber ORF Tirol als "Auftrag über die niederösterreichischen Landesgrenzen hinaus, Vertrauen zurückzuerarbeiten". Es gebe einen Vertrauensverlust in die gesamte Politik, so der Landeshauptmann. Die aktuellen Herausforderungen seien aber auch "keine einfachen Voraussetzungen für die niederösterreichische ÖVP" gewesen.
"Nach unserer Landtagswahl in Tirol sind wir Freiheitliche wieder auf dem Erfolgsweg, und dieser Erfolgsweg wird anhalten", sagte Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger. Das Wahlergebnis beurteilte Abwerzger auch als Schritt, "dass Österreich wieder echte Heimat wird, und das geht nur mit einem Bundeskanzler Herbert Kickl". Er bedankte sich auch ausdrücklich bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Dieser habe mit seiner "demokratiefeindlichen Ausgrenzungspolitik" den Wahlturbomotor für die FPÖ gezündet.
SPÖ freut sich über gebrochene Absolute der ÖVP
Seitens der SPÖ wurde festgestellt, dass die "'Absolute' der ÖVP in jeder Hinsicht gebrochen wurde – auch in der Landesregierung". Die massiven Stimmenverschiebungen zur FPÖ müssten ein Alarmsignal für alle vernünftigen Kräfte im österreichischen politischen System sein. "Wir müssen alles daran setzen, unser Land gemeinsam sicher durch die anhaltende und besonders komplexe Teuerungskrise zu manövrieren", so Georg Dornauer, Landeshauptmann-Stellvertreter in Tirol.
Die Tiroler Grünen freuten sich über den neu erreichten Klubstatus in Niederösterreich. Das sei "ein wichtiger Schritt für die Demokratie in Niederösterreich, weil damit endlich auch eigenständige Anträge im Landtag möglich werden", sagte Tirols Klubchef Gebi Mair. Das werde Niederösterreich - gemeinsam mit dem Mehrheitsverlust der ÖVP in der Landesregierung - "durchlüften". Die Zugewinne der Freiheitlichen seien für die Grünen hingegen "naturgemäß erschreckend" und benötigten klare politische Haltung statt Imitation, wie es die Volkspartei zunehmend versuche.
"ÖVP und SPÖ erzielen ihre historisch schlechtesten Ergebnisse in Niederösterreich und werden trotzdem an der Macht festkleben", sagte NEOS-Landessprecher Dominik Oberhofer. Der schwarz-rote Stillstand der 1990er-Jahre feiere wie in Tirol ein schwaches Comeback. Über die Zugewinne der NEOS freute sich Oberhofer. Indra Collini werde die starke Stimme der Opposition in Niederösterreich sein. (TT.com, APA)