Theater praesent im Innsbrucker Brux: Im Räderwerk der Leistungsgesellschaft
Konsequent und nie unterkomplex: Das Theater praesent brachte „Körper am Ende der Welt“ im Innsbrucker Brux zur Uraufführung.
Innsbruck – Für die Uraufführung „Körper am Ende der Welt“ ist das Theater praesent ins Innsbrucker Brux umgezogen. Wohl auch, weil sich in der traditionellen, ziemlich schmalen praesent-Spielstätte unweit des Zeughauses auch bei bestem Willen kein Zirkeltraining ins Szene setzen ließe. Jedenfalls nicht so schön, so anschaulich und angemessen ermüdend, wie es Regisseurin Elke Hartmann nun im Brux gelungen ist: Schweißtreibendes Springen, Dehnen, Beugen, Radschlagen und Abrollen braucht Platz. Überhaupt ist „Körper am Ende der Welt“ ein Stoff, der nach Raum ruft. Das, was verhandelt, was erforscht und vermittelt wird, lässt sich nicht in eine mittelgroße Schuhschachtel stopfen. Dementsprechend leer ist die Bühne (Ausstattung: Katharina Ganner): Eine Turnmatte steckt die Dimensionen der Welt ab, im Hintergrund eine Leinwand für effektiven und effektvollen Videoeinsatz, zwei Mikrophone, Bälle, Bänder, Reifen und Sportklamotten in gedeckten Tönen.
In „Körper am Ende der Welt“ geht es um rhythmische Sportgymnastik. Die hat der frühere Olympia-Oberbonze und umtriebige Faschismusverharmloser Juan Antonio Samaranch einst in grindigster Altväterlichkeit als „charmanteste Sportart der Welt“ beschrieben. Schon dieses Zitat – es wird dem Stück im Programmblatt vorausgeschickt – führt direkt ins Zentrum von „Körper am Ende der Welt“. Sportgymnastik ist vordergründig schön: lächelnde Mädchen, die Halsbrecherisches leicht ausschauen lassen. Das wird in „Körper am Ende der Welt“ auch gezeigt. Aktive Sportlerinnen führen ihr Können vor. Diese Schönheit allerdings war lange und ist mancherorts bis heute Produkt eines grausamen Systems.
In der Schweiz wurden zuletzt Vorfälle an Sportschulen öffentlich: Die Spanne der Vorwürfe reicht von fragwürdigen Phrasen („Qualität kommt von Qual“) über Erniedrigung bis zu Missbrauch. Diese „Magglingen-Protokolle“ sind eine der Quellen des von Regina Dürig und Marion Rothhaar entwickelten Stücks. Eine andere sind Rothaars eigene Erfahrungen als erfolgreiche Gymnastin. In „Körper am Ende der Welt“ steht sie auch als Expertin auf der Bühne. Sie erzählt, stellt in Frage und erinnert sich. Sie spielt gefühlskalte Trainerinnen oder verbissene Athletinnen-Mütter, die, wenn nichts mehr hilft, auch Schläge fordern. Ihre Mit- und manchmal Gegenspielerin ist die Schauspielerin Rahel Jankowski: eine Heranwachsende, die es schaffen will. Sie feiert Gelungenes. Sie quält sich, wird gequält – und droht ins Räderwerk einer überdrehten Leistungs-, Bewertungs- und Vermarktungsgesellschaft zu geraten.
„Körper am Ende der Welt“ ist keine polternde, aber eine konsequente Anklage. Weder das Stück noch die Inszenierung läuft dabei Gefahr, im unterkomplexen Gestus des Anprangerns zu verharren. Der Text spielt mit sprachlichen Mehrdeutigkeiten – ohne sich in kalauernden Sarkasmen zu verlieren. Die Inszenierung erlaubt sich mitunter poetisch zarte Zwischentöne, wenn Marion Rothhaar eine Wettkampfaufnahme ihres jüngeren Ichs verfolgt und die Bewegungen zögernd nachvollzieht zum Beispiel, und bleibt doch durchwegs präzise getaktete und in dieser Präzision schmerzhaft anschauliche Analyse systematischer Abscheulichkeiten. (jole)
Info
Körper am Ende der Welt. Bis 3. Februar. Nächste Vorstellung: Dienstag, 31. Jänner, im Brux Innsbruck. Beginn: 20 Uhr.