„Rückgratlos": Ringen um Russland-Rückkehr wird zur Zerreißprobe
Die Debatte um das Für und Wider der Rückkehr russischer Sportler auf die Wettkampf-Bühnen wird hitziger. Ein Experte sieht einen „Kotau vor Russland", aus großen Verbänden kommt aber auch Zustimmung.
Wien - Die Kontroverse um die mögliche Wiederzulassung russischer Sportler zu den Olympischen Spielen in Paris wird zur Zerreißprobe für den Weltsport. "Tun Sie das nicht, sonst verraten Sie den olympischen Geist", rief der ukrainische Box-Weltmeister Wladimir Klitschko dem IOC-Chef Thomas Bach in einer Video-Botschaft zu. "Ich sage Ihnen: Die Russen sind heute Olympiasieger im Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung", warnte Klitschko.
🎥 VIDEO I Klitschko mit Botschaft an Bach
Die baltischen Staaten und Polen stellten sich am Dienstag klar gegen eine Wiederzulassung russischer Sportler. "Wir sind uns alle einig, dass ein solcher Schritt nicht unterstützt werden sollte und inakzeptabel ist, solange Russland, unterstützt von Belarus, seine unprovozierte direkte Aggression gegen die Ukraine fortsetzt", sagte der lettische Außenminister Edgars Rinkevics nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen Urmas Reinsalu (Estland), Gabrielius Landsbergis (Litauen) und Zbigniew Rau (Polen) in Riga. "Unsere Haltung bezüglich der Ankündigung des IOC-Managements ist eindeutig und sehr entschieden."
Zuvor hatte schon die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas auf Facebook den IOC-Vorstoß als "heuchlerisch und rückgratlos" bezeichnet. Einen "Raum für Kompromisse" sieht die Regierungschefin des EU- und Nato-Landes nicht.
"Strategie viel zu weich und nachgiebig"
Auch der deutsche Sportphilosoph Gunter Gebauer attackierte das Internationale Olympische Komitee und seinen deutschen Präsidenten für die Russland-Diplomatie. "Es ist wieder mal ein Kotau vor Russland", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Strategie, die Bach und das IOC Exekutivkomitee verfolge, halte er für "viel zu weich und nachgiebig" gegenüber dem Regime von Wladimir Putin.
"Nach den Statuten der Olympischen Spiele kann das Nationale Olympische Komitee einer Krieg führenden Nation, insbesondere wenn es sich um einen Angriffskrieg handelt, nicht zu Olympischen Spielen eingeladen werden", erklärte Gebauer. Die vom IOC angestrebte Lösung sei typisch für IOC-Chef Bach. "Er taktiert und versucht, Russland nicht zu erzürnen", sagte er.
Bei den Winterspielen 2022 in Peking habe sich gezeigt, dass durch das Auftreten der Russen "die Neutralität überhaupt keinen Bestand" habe. Das Argument des IOC, Sportler dürften nicht für ihre Nationalität bestraft werden, trifft laut Gebauer nicht zu: "Die meisten von ihnen werden staatlich gefördert und werden zu staatlicher Solidarität angehalten und zeigen sie auch."
Debatte um Boykott der Paris-Spiele
Schon am Freitag könnte aus dem Streit um eine Russland-Rückkehr eine Debatte um einen Boykott der Paris-Spiele werden. Das Nationale Olympische Komitee der Ukraine will auf einer einberufenen Generalversammlung darüber beraten, ob das Land im Falle einer Zulassung russischer Sportler nicht an den Sommerspielen teilnimmt.
Sportexperte Gebauer hält einen Olympia-Boykott in dieser Frage für den falschen Weg. Bisherige Boykottformen wie 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles seien relativ erfolglos gewesen und hätten eher der Gegenseite freien Lauf gelassen, sagte er. Ein Boykott werde "die Russen überhaupt nicht stören, Hauptsache, sie können die Medaillenspiegel anführen", meinte Gebauer.