Van der Bellen auf Solidaritätsbesuch in Kiew: Treffen mit Selenskyj
Im Ringen um die weitere Unterstützung der Ukraine soll es am Freitag in Kiew einen EU-Ukraine-Gipfel geben, bei dem die Regierung des Landes auf neue Zusagen hofft. Österreichs Bundespräsident traf bereits am Mittwoch zu einem Treffen mit Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew ein.
Kiew (Kyjiw)/Moskau/Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat der von Russland angegriffenen Ukraine am Mittwoch weitere Unterstützung und Solidarität zugesagt. Österreich sei zwar militärisch neutral, aber nicht wertneutral, betonte Van der Bellen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymr Selenskyj in Kiew. Dieser bedankte sich für die humanitäre Hilfe Österreichs, übte aber auch Kritik.
So sei es inakzeptabel, dass Raiffeisen International (RBI) Soldaten in Russland Kreditstundungen gewähre, erklärte der ukrainische Präsident. Es sei wichtig gewesen, dass der Bundespräsident bei seinen Besuchen in Butscha und Borodjanka mit eigenen Augen gesehen habe, welche Zerstörungen und welches Leid die russischen Aggressoren in der Ukraine verursacht haben: "Man kann nicht neutral bleiben, wenn Menschen ums Leben kommen." Es müsse stärkere Sanktionen gegen Russland als Aggressor geben, forderte Selenskyj.
📽️ Video | Van der Bellen sichert der Ukraine weitere Unterstützung zu
Selenskyj dankte für die humanitäre Hilfe Österreichs. Dennoch könnte sein Land auch andere Produkte, etwa zur Drohnenabwehr, benötigen. Außerdem könnte Österreich Hilfe bei der Entminung leisten. Immer noch würden in seinem Land Menschen bei der Explosion von Minen ums Leben kommen, die von den Russen gelegt worden seien, sagte Selenskyj. Van der Bellen erklärte infolge gegenüber österreichischen Journalisten, er denke nicht, dass eine Beteiligung des Bundesheers an der Entminung in einem Kriegsgebiet mit der Neutralität vereinbar sei.
Van der Bellen erklärte, das ukrainische Volk verteidige nicht nur sich selbst, sondern auch die europäischen Werte. Daher stehe Österreich an seiner Seite: "Das sind gemeinsame europäische Werte, das geht uns alle an." Der Bundespräsident erinnerte auch daran, dass er Selenskyj im Jahr 2020 in Wien empfange habe. Seither sei die Welt eine andere, "der schreckliche Angriffskrieg hat alles verändert." Perspektiven auf ein rasches Ende Konflikts sah Van der Bellen nach dem Gespräch mit Selenskyj nicht. Er sehe keine Friedenstauben am Horizont, so der Bundespräsident.
Van der Bellen war Mittwoch früh in Begleitung von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) in Kiew eingetroffen. Vor seinem Treffen mit Selenskyj besuchte Van der Bellen in der Umgebung von Kiew gemeinsam mit Vertretern der Caritas, des Roten Kreuzes, des Gemeindebunds und der Volkshilfe Hilfsprojekte, die von diesen Organisationen unterstützt werden. So gab es einen Lokalaugenschein in einer Schule in Butscha und einer Geburtsklinik in Kiew, die mit österreichischer Hilfe saniert wurden bzw. in Betrieb gehalten werden. Die österreichische Delegation reise auch mit konkreten Hilfen im Gepäck an, wurde zudem betont. Darunter seien "etwa dringend benötigte Generatoren oder Materialien für den Bau von 200 Häusern", die vom Wienerberger-Konzern zur Verfügung gestellt wurden.
📽️ Video | Van der Bellen in Butscha
Von Energie- und Klimaschutzministerin Gewessler werden zudem weitere fünf Mio. Euro für den "Ukraine Energy Support Fund" zum Wiederaufbau beschädigter Energieinfrastruktur bereitgestellt. Insgesamt habe Österreich damit bereits zehn Millionen Euro für den Fund beigesteuert, betonte Gewessler und nannte die Beweggründe: "Millionen Menschen sind bei eisigen Temperaturen ohne Strom und oftmals ohne Heizung und Wasserversorgung. Es ist mir wichtig, dass Österreich hier einen Beitrag zur Unterstützung der ukrainischen Zivilbevölkerung leistet."
Schließlich dürfe nicht zugesehen werden, wie Russlands Präsident Putin "den Winter als Waffe benutzt und bei seinen brutalen Angriffen auf die Ukraine ganz gezielt versucht, die kritische Infrastruktur zu treffen", so die Grünen-Ministerin. "Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine führt uns drastisch vor Augen, dass wir den Import von fossiler Energie vor allem aus Russland rasch beenden müssen." Die Ukraine verfüge über ein erhebliches Potenzial für die Entwicklung von erneuerbaren Energien."
Zudem müsse bereits jetzt am Wiederaufbau sensibler Ökosysteme gearbeitet werden, die durch den Krieg zerstört würden. "Der brutale Krieg in der Ukraine entzieht den Menschen vor Ort die Lebensgrundlage – sauberes Wasser, fruchtbare Böden, gesunde Wälder, als das wird ganz gezielt von Putins Truppen vernichtet", ließ Gewessler wissen.
Wirtschaftsminister Kocher habe im September 2022 gemeinsam mit seiner ukrainischen Amtskollegin und Vize-Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, die die Basis für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine und speziell für die Beteiligung am Wiederaufbau bilde, wurde bereits im Vorfeld der Reise erinnert.
📽️ Video | ORF-Analyse: Österreichs Hilfe in der Ukraine
Diese solle folglich auch dazu genutzt werden, um über weitere Möglichkeiten der Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft zu sprechen, betonte Kocher: "Angesichts der kriegsbedingt dramatischen Lage vor Ort ist es uns ein Anliegen, die bilateralen Kontakte mit der Ukraine weiter intensiv aufrechtzuerhalten und sowohl humanitäre Unterstützung zu leisten als auch wirtschaftliche Beziehungen zu fördern. Auf Basis der Rahmenvereinbarung schaffen wir die notwendigen Voraussetzungen, damit Österreichs Wirtschaft schon jetzt und beim Wiederaufbau einen entscheidenden Beitrag leisten kann", so Kocher.
Österreich sei vor Kriegsbeginn der sechstgrößte Investor in der Ukraine und mit über 200 Unternehmen vertreten gewesen, erinnerte der Wirtschaftsminister. "Ein Großteil ist nach wie vor am ukrainischen Markt tätig, kriegsbedingt aber mit großen Herausforderungen konfrontiert."
Ukraine-Gipfel der EU in Kiew
Im Ringen um die weitere Unterstützung der Ukraine soll es am Freitag in Kiew einen EU-Ukraine-Gipfel geben, bei dem die Regierung des Landes auf neue Zusagen hofft. "Wir erwarten Neuigkeiten für die Ukraine", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj Dienstagabend in seiner Videobotschaft. Der anstehende Gipfel beweise das "hohe Niveau der Kooperation und Fortschritte" bei der Zusammenarbeit beider Seiten. US-Präsident Joe Biden kündigte indes neue Gespräche mit Selenskyj an.
Der EU-Ukraine-Gipfel werde "am 3. Februar in Kiew stattfinden", sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal auf einer Kabinettssitzung. Der Gipfel sei "extrem wichtig" für den angestrebten EU-Beitritt der Ukraine, die seit 2022 offiziell Beitrittskandidat zur Union ist. Wer von EU-Seite an dem Treffen teilnehmen soll, blieb zunächst offen.
Ukraine hofft auf weitere Waffenlieferungen
"Die Tatsache, dass dieses Gipfeltreffen in Kiew stattfinden wird, ist ein starkes Signal sowohl an die Partner als auch an die Feinde", sagte Schmyhal. Es zeige Russland, dass dessen Bemühungen, Zwietracht unter Kiews westlichen Verbündeten zu säen und die Ukraine am EU-Beitritt zu hindern, vergeblich seien. Der Ministerpräsident verkündete zudem, dass am Donnerstag "erstmals in unserer Geschichte" Beratungen zwischen der ukrainischen Regierung und der EU-Kommission stattfinden sollen.
Die Ukraine drängt den Westen zu weiteren Waffenlieferungen, nach der Zusage von Kampfpanzern fordert sie nun vor allem westliche Kampfjets. Vor diesem Hintergrund sagte Biden mit Blick auf Selenskyj: "Wir werden sprechen." Am Montag hatte der US-Präsident noch die Bereitschaft zu Kampfjet-Lieferungen verneint. Auch aus dem polnischen Verteidigungsministerium hieß es, die Lieferung von F-16-Jets an Kiew sei derzeit "kein Thema". Die Bundesregierung lehnt ihrerseits die Abgabe von Kampfjets ebenfalls ab.
Bei den in der vergangenen Woche verkündeten Panzerlieferungen des Westens an Kiew nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erstmals Zahlen. In einem ersten Schritt würden die Streitkräfte seines Landes "zwischen 120 und 140 moderne Panzer westlicher Modelle erhalten". Dabei handle es sich um Leopard-2-Panzer aus deutscher Produktion, um britische Challenger-2-Panzer sowie um Abrams-Panzer aus den USA, sagte er in einem im Onlinedienst Facebook veröffentlichten Video.
Frankreich sagt weitere Hilfen zu
Frankreich, das bislang keine Kampfpanzer liefert, sagte Kiew zwölf zusätzliche Artilleriegeschütze vom Typ Caesar zu. Zudem sollen 150 französische Soldaten zur Ausbildung ukrainischer Soldaten nach Polen entsandt werden. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat Paris eine Lieferung von Kampfjets nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Russland war am 24. Februar vergangenen Jahres im Nachbarland einmarschiert. Die ukrainische Regierung befürchtet, dass Russland seine Angriffe im Vorfeld des Jahrestages nochmals verstärken wird. Zuletzt hatte Kiew bereits von immer stärkeren Druck der russischen Truppen im Osten des Landes berichtet. Am Dienstag vermeldete das Verteidigungsministerium in Moskau die Einnahme der Ortschaft Blahodatne nördlich der derzeit besonders umkämpften Stadt Bachmut durch "Freiwillige" – die Bezeichnung Russlands für die Söldner der Wagner-Gruppe.
Briten glauben nicht an Vormarsch
Ukraine erhält 120 bis 140 Kampfpanzer, Kampfjet-Lieferung strittig
Staatsbesuch in Bratislava
Van der Bellen in Bratislava: Moskau führt Kolonialkrieg gegen Kiew
EU will weitere 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden
Der Umfang der aktuellen EU-Ausbildungsmission für die ukrainischen Streitkräfte soll verdoppelt werden. Als neues Ziel sei vorgesehen, 30.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in EU-Staaten auszubilden, teilten mehrere EU-Beamte am Mittwoch in Brüssel mit. Bisher war das Ziel, rund 15 000 Soldaten zu trainieren.
Der Start der Ausbildungsmission der EU war im November von den Außenministern der Mitgliedstaaten beschlossen worden. Damals hatte es geheißen, es sollten erst einmal bis zu 15.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland, Polen und anderen EU-Ländern ausgebildet werden. Die EU will mit dem Einsatz dazu beitragen, dass sich die ukrainischen Truppen künftig noch besser als bisher gegen die Angreifer aus Russland verteidigen können.
Deutschland will bis zu 5000 ukrainische Soldaten trainieren
Die Deutsche Bundeswehr bietet im Rahmen der EU-Mission unter anderem eine Gefechtsausbildung für Kompanien sowie Taktikübungen für einen Brigadestab und die untergeordneten Bataillonsstäbe an. Außerdem beinhaltet das deutsche Angebot ein Training für Trainer, Sanitätsausbildungen und Waffensystemschulungen in enger Kooperation mit der Industrie.
Insgesamt wollte Deutschland nach ursprünglichen Planungen in den ersten Monaten eine Brigade mit bis zu 5000 ukrainischen Soldatinnen und Soldaten trainieren. Die Zahl sollte auch davon abhängig sein, wie viele Soldaten das ukrainische Verteidigungsministerium angesichts des anhaltenden Krieges zur Ausbildung schicken kann.
Bei den Einsatzplanungen hatte die deutsche Bundesregierung nach Angaben aus EU-Kreisen zugesagt, die Besetzung von 80 Dienstposten für die Mission sicherzustellen. Die Bundeswehr stellt außerdem das multinationale Kommando für die spezialisierte Ausbildung. Zum Kommandant wurde von der EU bereits der Drei-Sterne-General Andreas Marlow ernannt.
Österreich beteiligt sich nicht militärisch an der Mission, wohl aber finanziell, und hat - im Gegensatz zum NATO-Land Ungarn – auch dafür gestimmt. (APA, dpa, AFP, Reuters)