Zahl der Beben-Toten in Türkei und Syrien bei über 4.200
Die Zahl der Todesopfer der verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist auf mehr als 4.200 gestiegen. Der Vorsitzende der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad, Yunus Sezer, gab in der Nacht zum Dienstag die Zahl der Toten im eigenen Land mit 2.921 an. Außerdem seien 15.834 "unserer Bürger" verletzt. In Syrien kamen nach Angaben des Gesundheitsministeriums sowie der Rettungsorganisation Weißhelme von Montagabend mindestens 1.300 Menschen ums Leben.
Afad warnte unterdessen vor weiteren Nachbeben. Ein Vertreter der Rettungsorganisation forderte Menschen in den betroffenen Regionen dazu auf, von beschädigten Gebäuden fernzubleiben, wie der Sender CNN Türk berichtete. Mehr als 5.600 Gebäude seien bei dem Beben bereits eingestürzt. Auch in Syrien stürzten mehr als 200 Häuser ein.
Dem türkischen Katastrophendienst zufolge hatte das Hauptbeben am Morgen mit Epizentrum im südtürkischen Kahramanmaras eine Stärke von 7,7. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie in Istanbul die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Afad verzeichnete insgesamt 185 Nachbeben.
Bei den Erschütterungen stürzten allein in der Südosttürkei Tausende Gebäude ein. Auf Videos aus mehreren Städten in dem Gebiet waren teilweise völlig zerstörte Straßenzüge zu sehen. Unter den eingestürzten Gebäuden war neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In der Stadt Gaziantep wurde laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auch die Burg stark beschädigt. Sie ist UNESCO-Weltkulturerbe. Im türkischen Fernsehen waren Bilder von Helfern zu sehen, die teilweise mit bloßen Händen in den Trümmern nach Verschütteten suchten. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939.
Syrien wandte sich an die UN-Mitgliedstaaten, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere Hilfsorganisationen und bat sie darum, "die Bemühungen der syrischen Regierung zur Bewältigung des verheerenden Erdbebens zu unterstützen", wie es in einer Erklärung des syrischen Außenministeriums hieß. Der staatlichen Nachrichtenagentur SANA zufolge stürzten in zahlreichen Städten Gebäude ein. Rettungsteams versuchten in der Nacht und im Morgengrauen, Menschen aus den Trümmern zu ziehen. Präsident Bashar al-Assad rief sein Kabinett zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Videos zeigten Trümmerberge unter anderem aus der Provinz Idlib, teils kollabierten ganze Häuserreihen.
Mehrere Flughäfen in besonders von dem Erdbeben betroffen Regionen der Türkei blieben vorerst für zivile Flüge geschlossen. Dabei gehe es um die Flughäfen in Hatay, Kahramanmaras und Gaziantep, sagte Vizepräsident Oktay. Der Sender CNN Türk zeigte Bilder von einem tiefen Riss in einer Landebahn am Flughafen Hatay.
Um 11.24 Uhr MEZ erschütterte ein schweres Nachbeben der Magnitude 7,5 die Südosttürkei. Das Epizentrum habe in der Provinz Kahramanmaras gelegen, meldete die Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul. Auch in Syrien und im Libanon bebte die Erde dadurch wieder. Das Epizentrum lag etwa 100 km nordöstlich von jenem des Hauptbebens, das um 02.17 Uhr MEZ stattfand, teilte der Österreichische Erdbebendienst von Geosphere Austria (ehemals ZAMG) der APA mit. Die betroffene Region um Ekinözü ist weniger dicht besiedelt. Es sei aber mit weiteren schweren Schäden zu rechnen.
Als Reaktion auf die verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet wird auf EU-Ebene noch enger zusammengearbeitet. Der Krisenreaktionsmechanismus (IPCR) der Staatengemeinschaft sei durch die schwedische EU-Ratspräsidentschaft ausgelöst worden, hieß es in einer Mitteilung vom Montagabend. Dadurch sollen etwa Informationen schneller ausgetauscht werden.
Auch Russland hat beiden Ländern Hilfe zugesagt. In den kommenden Stunden sollen Rettungskräfte vom russischen Zivilschutz nach Syrien geflogen werden, wie der Kreml am Montag mitteilte. Auch US-Präsident Joe Biden sagte Hilfe zu. "Ich bin zutiefst traurig über den Verlust an Menschenleben und die Zerstörung durch das Erdbeben in der Türkei und in Syrien", erklärte Biden am Montag im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Ich habe mein Team angewiesen, die Situation in Koordination mit der Türkei weiterhin genau zu beobachten und jede notwendige Hilfe zu leisten."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bot der Türkei Hilfe seines Landes bei der Bewältigung der Folgen des schweren Erdbebens an. In seiner täglichen Videoansprache sagte Selenskyj am Montagabend, dass die Ukraine bei den Rettungs-und Bergungsarbeiten helfen wolle. Er sprach von "traurigen Nachrichten" aus der Türkei und Syrien. Gleichzeitig sprach Selenskyj dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan angesichts der vielen Todesopfer sein Beileid aus. Dies gelte auch "für die Menschen in der syrischen Gesellschaft".
Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu schicken. Auch Israel will der Türkei und Syrien humanitäre Hilfe leisten. Offiziell befinden sich Israel und Syrien im Krieg. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb auf Twitter, die NATO-Partner der Türkei seien bereit, Unterstützung zu mobilisieren.
"Das Ausmaß des Erdbebens ist verheerend. Österreich wird mit drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für Hilfsorganisationen vor Ort und ab morgen mit mehr als 80 Soldatinnen & Soldaten des Bundesheeres bei Rettungseinsätzen im Erdbebengebiet unterstützen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montagnachmittag. Die Meldungen von dem Erdbeben "machen mich betroffen. Meine Gedanken sind bei den Opfern & Helfer:innen", ergänzte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
Das Bundesheer wird am Dienstag 85 Soldaten des Katastrophenhilfeelements "Austrian Forces Disaster Relief Unit" (AFDRU) in die Türkei entsenden, um den Rette- und Bergeinsatz im Erdbebengebiet zu unterstützen. Die Soldaten sollen gemeinsam mit sechs Hunden bei der Bergung unterstützen. Der Katastrophenhilfeeinsatz des Bundesheeres ist nach derzeitigen Planungen für etwa zehn Tage anberaumt, bestätigten auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) in einer Aussendung des Bundeskanzleramts die Hilfeleistungen Österreichs.
Neben den Bundesheerkräften wird Österreich nach einer Anfrage der Türkei nach entsprechenden Kräfte beim Zivilschutzmechanismus der Europäischen Union ein Team aus Vorarlberg in das Gebiet schicken. Bei den 25 Spezialisten handelt es sich um Feuerwehrleute, vier Hundeführer der Bergrettung mit speziell ausgebildeten Hunden, sowie um drei Notärzte. Derzeit wird der Transport in die Türkei organisiert. "Hier zählt jede Stunde, um Überlebende aus den Trümmern zu retten", wurde Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).
Nach derzeitigen Kenntnisstand sind keine österreichischen Staatsbürger unter den Opfern oder den Vermissten, hieß es auf APA-Anfrage aus dem Außenministerium in Wien. Mittlerweile haben sich einige betroffenen österreichischen Staatsbürger an das Außenministerium gewandt, die jedoch unversehrt waren. Eine verschüttete österreichische Staatsbürgerin konnte mit leichten Verletzungen geborgen werden. Das Außenministerium sowie die österreichischen Vertretungen vor Ort stehen mit allen Betroffenen in Kontakt und unterstützen diese dabei, eine ehestmögliche Rückflugmöglichkeit nach Österreich zu finden.
In der Türkei sind derzeit rund 2.000 Auslandsösterreicher, davon rund 120 in den von den Erdbeben betroffenen Regionen, sowie rund 70 österreichische Reisende registriert, wurde erläutert. Da der genaue Aufenthaltsort bei Reiseregistrierungen sowie bei der Registrierung als Auslandsösterreicher nicht verpflichtend anzuführen ist, könnten die Informationen jedoch abweichen. In Syrien sind rund 65 Auslandsösterreicher registriert, davon knapp 50 in den betroffenen Erdbebenregionen. Die registrierten Personen aus Österreich wurden per E-Mail sowie per SMS kontaktiert und ihnen wurde Hilfe der zuständigen österreichischen Vertretungen vor Ort angeboten, berichtete eine Sprecherin des Außenministeriums.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York hielt am Montag eine Schweigeminute für die Opfer des schweren Erdbebens in Syrien und der Türkei ab. UN-Mitarbeiter seien bereits vor Ort, um den Hilfsbedarf abzuschätzen und Hilfe zu leisten, erklärte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. "Wir zählen auf die internationale Gemeinschaft, um den tausenden von Familien zu helfen, die von dieser Katastrophe betroffen sind, von denen viele in schwer zugänglichen Regionen bereits dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen waren", fügte Guterres hinzu.
Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.