Einigkeit gegen Russland

Präsident der Ukraine in Brüssel: Selenskyj beschwört Gemeinschaft mit EU

Wolodymyr Selenskyj (Mitte) verteidigt sein Land gegen die Angreifer aus Russland. Michel (r.) und Von der Leyen wollen helfen.
© APA/AFP/Marin

Die EU inszeniert sich gern als großer Unterstützer der Ukraine. Doch spielt sie wirklich in einer Liga mit Ländern wie Großbritannien?

Von Ansgar Haase und Michel Winde/dpa

Brüssel, Kiew – Wer erwartet hatte, dass Wolodymyr Selenskyj in seiner großen Rede an die knapp 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU offensiv für die Lieferung von Kampfflugzeugen und anderen schlagkräftigen Waffen werben würde, hatte sich getäuscht. Kein Wort verlor der ukrainische Präsident am Donnerstag im Europäischen Parlament darüber, dass seine Militärs moderne westliche Jets für den Sieg im Krieg gegen Russland für unentbehrlich halten.

Auch auf die Forderung nach einer beschleunigten Aufnahme seines Landes in die EU verzichtete der 45-Jährige. Stattdessen sagte Selenskyj immer wieder ein Wort: "Djakuju", danke. Danke für die Unterstützung der vergangenen Monate. Und er erklärte, warum mehr Hilfe auch im Sinne der Europäer sei. "Es wird versucht, den europäischen "Way of life" mit einem totalen Krieg zu zerstören", rief er den Parlamentariern zu. Es gehe darum, sich in einem "historischen Kampf" gegen "die antieuropäischste Kraft der zeitgenössischen Welt" zu verteidigen. "Wir Ukrainer auf dem Schlachtfeld zusammen mit Ihnen", sagte Selenskyj, der in schwarzem Pulli und olivgrüner Hose vor die Abgeordneten trat.

Die Botschaft war deutlich: Wir sind schon jetzt eine Schicksalsgemeinschaft. Bei einer Niederlage gegen Russland ist es nicht nur die Ukraine, die vernichtet würde.

Doch erreicht Selenskyj, der um die Befindlichkeiten seines Publikums für gewöhnlich weiß, mit einer solchen Rede die Mehrheit der Menschen in der EU? Dass er im Parlament nicht offensiv für Kampfjets warb, dürfte bei vielen gut ankommen. Kein Thema war jedoch, dass wegen der EU-Unterstützung für die Ukraine Millionen Menschen unter drastisch gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen ächzen und viele Unternehmen Existenzsorgen haben.

Statt Teuerung hagelt es in Ukraine Bomben

Aus ukrainischer Perspektive ist das nachvollziehbar. In dem Land sterben in Russlands grausamen Krieg tagtäglich Soldatinnen und Soldaten, Raketen regnen vom Himmel, der Strom fällt immer wieder aus und schon bald dürfte Russland eine neue Offensive starten. Auch für die Bürgerinnen und Bürger geht es ums Überleben – und eben nicht darum, ob sie sich statt Butter nur noch Margarine aufs Brot schmieren. Am Nachmittag machte Selenskyj beim EU-Gipfel dann auch deutlich, dass sein Land im Kampf gegen Russland unbedingt Kampfjets braucht. "Ich habe kein Recht, ohne Ergebnisse nach Hause zu kommen", sagte er.

Doch für die Europaabgeordneten und die Staats- und Regierungschefs gilt, dass im kommenden Jahr Europawahlen sind. Spätestens dann werden alle pro-ukrainischen Parteien vermutlich genau erklären müssen, warum und in welchem Umfang die Ukraine weiter unterstützt werden muss.

Im Parlament und beim EU-Gipfel war von dieser Herausforderung am Donnerstag nur am Rande die Rede. Die Abgeordneten zollten Selenskyj für seine Rede langen und begeisterten Applaus. Stolz waren viele im Parlament, dass sich Selenskyj dafür entschied, erst dort zu sprechen und dann erst als Gast beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aufzutauchen.

Jene, die Selenskyjs Reden am Vortag in London gehört hatten, dürften aber auch gespürt haben, dass die EU aus Sicht der Ukraine in Sachen Unterstützung in einer anderen Liga spielt als Großbritannien. In London hatte sich Selenskyj leidenschaftlich gezeigt, es gab Sätze wie diesen: "Großbritannien, Sie haben Ihre Hilfe ausgebaut, als die Welt noch nicht verstanden hat, wie man reagiert." Oder diesen: "London steht seit dem ersten Tag an der Seite von Kiew. Von den ersten Sekunden und Minuten des totalen Krieges." Vergleichbares gab es nun in Brüssel nicht von ihm zu hören.

EU will mehr für Ukraine tun

Ein Affront? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies am Nachmittag in einer Pressekonferenz mit Selenskyj darauf hin, dass die EU bereits Unterstützung in Höhe von 67 Milliarden Euro mobilisiert habe. Zugleich räumte sie ein: "Wir müssen noch mehr tun".

Von der Leyen weiß, dass dies in den kommenden Monaten eher schwerer als leichter werden wird. Entscheidungen in der EU lassen sich nicht so einfach treffen wie in einem Nationalstaat wie Großbritannien. Es gibt Länder wie Ungarn, die nicht auf russisches Öl und russische Atomkraftwerke verzichten wollen oder solche wie Deutschland, die keine Kampfflugzeuge an die Ukraine abgeben wollen.

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Donnerstag beim Gipfel, es gehe darum, ein "Zeichen der Solidarität und der Einigkeit" bei der Unterstützung der Ukraine setzen. Man werde diese Unterstützung fortsetzen, so lange wie das notwendig sei. Dabei ist die EU sich so einig nicht. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni ließ es sich am Rande des Gipfels nicht nehmen, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron für seine Einladung an Selenskyj am Vorabend zu kritisieren. Diese Einladung sei "unangebracht" gewesen.

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