Retter befreien weitere Überlebende: Noch tausende Vermisste eine Woche nach Beben
Auch wenn die Überlebenschancen mit jeder Stunde sinken, geben die Einsatzkräfte die Hoffnung nicht auf.
Istanbul – Genau eine Woche nach den katastrophalen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Zehntausenden Toten wird das Ausmaß immer deutlicher. Auch wenn noch Verschüttete lebend gefunden werden, rechnen die Retter nun kaum noch mit Überlebenden. Die Soldaten des Bundesheeres packten am Montag in der Türkei zusammen. Sie wurden am Sonntag zu keinem Einsatz mehr angefordert. Ein Rette-und Bergeteam bleibt für etwaige Anforderungen bis heute Mittag einsatzbereit.
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Am frühen Montagmorgen vor einer Woche hatte das erste Beben der Stärke 7,7 um 2.17 Uhr (MEZ) die Region erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei mehr als 35.000, davon in Syrien laut Weltgesundheitsorganisation WHO mindestens 5.900. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnete am Sonntag sogar mit bis zu 50.000 Toten. Tausende werden noch vermisst.
In der Türkei schlägt vielerorts die Trauer in Wut um. Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt werden. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau verantwortlich.
📽️ Video | Major Bernhard Lindenberg über die Bergungsarbeiten
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf Präsident Erdogan, der seit 20 Jahren an der Macht ist, am Sonntag einmal mehr vor, das Land nicht auf solch ein Beben vorbereitet zu haben. Er kritisierte zudem, dass die Regierung im Jahr 2018 eine Bau-Amnestie erlassen habe, mit der illegal errichtete Gebäude gegen Strafzahlung im Nachhinein legalisiert worden seien. "Sie haben die Häuser, in denen die Menschen leben, zum Friedhof gemacht und dafür noch Geld genommen", sagte der Oppositionsführer.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestern in einem Telefonat die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu. Über das sogenannte EU-Katastrophenschutzverfahren wurden der Türkei nach Angaben von gestern schon jetzt 38 Rettungsteams mit 1651 Helfern und 106 Suchhunden angeboten. Zudem hätten zwölf EU-Staaten bereits 50.000 winterfeste Familienzelte, 100.000 Decken und 50. Heizgeräte zur Verfügung gestellt. Hinzu kämen 500 Notunterkünfte, 8000 Betten und 2000 Zelte, die die Kommission mobilisiert habe.
📽️ Video | Erdbeben-Katastrophe: Aufarbeitung beginnt
Eine Woche nach der Tragödie wird das Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, warnte indes vor eskalierender Gewalt. „Es macht mir zunehmend Sorgen, dass die Menschen aufeinander losgehen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). „Viele Ortschaften haben bis heute keine Hilfe erhalten. Deshalb ist die Wut so groß."
Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt werden.
Eine Woche nach dem verheerenden Beben wurde der Flughafen in der südosttürkischen Provinz Hatay wieder in Betrieb genommen. Die Flüge seien wieder aufgenommen worden, teilte die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines am frühen Montagmorgen auf Twitter mit. Einwohner des Erdbebengebietes könnten Plätze in kostenlosen Evakuierungsflügen buchen. Der Flughafen in Hatay war bei dem Erdbeben stark beschädigt worden. So hatte sich etwa der Asphalt der Landebahn durch den Druck des Bebens zusammengeschoben und war aufgeplatzt. Verkehrsminister Ali Karaismailoglu teilte auf Twitter Bilder, die den Zustand der Landebahn vor und nach der Reparatur zeigten.
Besonders schwierig ist die Situation im Bürgerkriegsland Syrien. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Konvois mit Erdbeben-Hilfe für die Rebellengebiete in Nordwest-Syrien bereit, wartet aber noch auf die Ausliefergenehmigung. Die Regierung in Damaskus habe eine umfassende Genehmigung gegeben, Konvois aus Gebieten unter Regierungskontrolle in Rebellengebiete zu bringen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Sonntag in der syrischen Hauptstadt Damaskus. "Wir sind bereit, wir warten darauf, von der anderen Seite zu hören", sagte Tedros. Das Gebiet um Idlib ist unter Kontrolle von Milizen.
Die in Nordwest-Syrien tätige humanitäre Hilfsorganisation Weißhelme hatte sich am Freitag darüber beschwert, dass bis dahin praktisch keine UN-Erdbebenhilfe in der Region angekommen sei. Nach Angaben von Tedros hat der syrische Präsident Baschar al-Assad ihm in Aussicht gestellt, wegen der Notsituation weitere Grenzübergänge zwischen dem Nordwesten und der Türkei zu öffnen.
Retter befreien weitere Überlebende
Auch sieben Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Zehntausenden Toten werden in einem Wettlauf gegen die Zeit noch Überlebende aus eingestürzten Gebäuden gerettet. In der Südosttürkei wurde eine Frau nach 170 Stunden lebend unter Trümmern geborgen. Die Retter holten die 40-Jährige am Montagmorgen in Gaziantep aus der Ruine eines fünfstöckigen Hauses hervor, wie der Staatssender TRT berichtete. Nach 163 Stunden unter Trümmern befreiten die Rettungsteams in der Provinz Hatay am späten Sonntagabend unter anderem einen siebenjährigen Buben und eine 62-Jährige, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi in der Nacht auf Montag berichtete.
Auch wenn die Überlebenschancen mit jeder Stunde sinken, geben die Einsatzkräfte die Hoffnung nicht auf. In der Provinz Kahramanmaras arbeiten Helfer fieberhaft weiter. Dort wird eine Mutter mit ihrer Tochter und einem Säugling noch lebend unter den Trümmern vermutet. Suchhunde hätten angeschlagen, berichtete der Sender CNN Türk.
Unterdessen setzte sich auch der argentinische Fußballstar Lionel Messi für die Opfer ein. Er forderte via Instagram zu Spenden an das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF auf. „Dies sind sehr traurige Tage für die Tausenden von Kindern und ihre Familien, die von den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien betroffen sind. Mein Herz ist bei ihnen", schrieb der 35-Jährige. UNICEF sei von Anfang an in der Region im Einsatz gewesen, um die Kinder zu schützen. Die Hilfe seiner Follower sei „sehr wertvoll". (APA/dpa)
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