🥇 Ski-WM 2023 | Interview

Neureuther mahnt: „Der Skisport ist massiv angreifbar“

Der 38-jährige deutsche Ex-Team-Weltmeister Felix Neureuther gewann 13 Weltcup-Rennen und ist Vater dreier Kinder.
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Mit scharfer Kritik verfolgt Deutschlands Ex-Ski-Star Felix Neureuther die Entwicklung im Skisport. Im TT-Interview spricht er über den Weltverband FIS, Olympia, Klima-Verantwortung und Kinder im Sport.

Herr Neureuther, mit dem jetzt veröffentlichten offenen Brief an den Ski-Weltverband FIS setzen die Wintersportler ein Zeichen für den Klimaschutz. Sie sind Verfechter des Themas. Was muss passieren?

Felix Neureuther: Wir müssen die Dinge jetzt so ändern, dass die Glaubwürdigkeit des Sports erhalten bleibt. Da läuft viel falsch, wenn man sieht, in welche Richtung man vonseiten der FIS denkt. Wenn man sagt, man will in eine Skihalle nach Dubai zum Rennfahren gehen oder nach China oder wie diese Saison im Weltcup zweimal nach Amerika. Das ist nicht richtig. Und dann will man auch noch mehr Rennen installieren, plant Anfang November in Zermatt und Cervinia Abfahrten, wo realistisch nicht genug Schnee liegen kann und Gletscherspalten zugeschaufelt werden müssen Das alles schadet dem Skisport immens.

Was wäre dann Ihrer Meinung nach eine Lösung?

Neureuther: Es müsste doch bei der FIS die Erkenntnis reifen: Wir müssen unseren Teil zum Klimaschutz beitragen und uns mit Spezialisten ernsthaft Gedanken machen, wie wir im Renngeschehen so viel wie möglich CO2 einsparen können. Da kommt mir viel zu wenig. Wir müssen als alpine Skifahrer wieder Vorbild sein für die Gesellschaft. Denn momentan lässt sich der Skisport in der Öffentlichkeit nur mehr schwer verkaufen. Wobei die Athleten ja für Veränderung sind, der offene Brief zeigt das sehr positiv. Aber auch die nationalen Verbände müssen sich beim Thema Klimaschutz klar positionieren – und nicht auf die Athleten warten. Da verpasst man gerade eine riesengroße Chance.

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Was sind dabei Ihrerseits die größten Bedenken?

Neureuther: Der Skisport ist in den Zeiten des Klimawandels massiv angreifbar geworden. Etwa mit der Beschneiungs-Thematik. Und da ist es die komplett falsche Herangehensweise, dass man neue Märkte erschließen will. Und gleichzeitig heftige Eingriffe in die Natur vornehmen muss. Man sollte sich lieber Gedanken machen, das Produkt vorbildlich und verantwortungsvoll und zeitgemäß anzupassen.

Gerade neue Märkte und Reisen sind ein schwieriges Thema. Geplante Bewerbe in China und Kasachstan passen wohl Ihrer Meinung nach nicht ins Bild?

Neureuther: Ist es zeitgemäß, heute auf Biegen und Brechen neue Märkte bzw. Skigebiete zu erschließen? Riskiert man damit Geld? Ja. Schadet man damit dem Sport? Auch ja. Der Skisport ist in den Alpen groß geworden. Wenn man Rennen einmalig wohin vergibt, wo den Rennsport keinen interessiert und keiner zuschaut, schadest du dem Ganzen mehr als es nützt.

Einmalig – so wie es im Falle der Olympischen Spiele in Südkorea 2018 und Peking 2022 der Fall war?

Neureuther: Genau. Es kann nicht das Konzept sein, ein einmaliges Highlight dort zu veranstalten, wo danach nichts mehr los ist. Wir haben tolle Projekte in den Alpen, die sollte man noch nachhaltiger nützen.

Argumentiert wurde damit, dass die Bevölkerung in Asien zum Skisport findet ...

Neureuther: Das ist, was das IOC orakelt hat: 300 Millionen Chinesen sollten zum Skisport finden – davon sind nicht einmal Ansätze zu erkennen, nicht einmal ein Bruchteil davon. Fragen Sie mal nach vor Ort. Geheißen hat es, dass dort der Wintersport in neue Sphären schießt. Nichts davon ist erkennbar. Der Skisport kann nur dort seine Strahlkraft entwickeln, wo er herkommt. Nehmen Sie Méribel und Courchevel, wo die Ski-WM stattfindet, das sind grandiose Veränderungen in einem grandiosen Umfeld. Damit kann man Menschen und auch Kinder für den Skisport begeistern.

Was wünschen Sie sich dann für einen Olympia-Schauplatz 2030, der aufgrund der Klima-Lage noch nicht bekannt ist?

Neureuther: Wintersportorte, wo man auf vorhandene Strukturen zurück greifen kann. Muss es sein, dass man eine neue Skisprungschanze baut? So wie in China oder Sotschi (Olympia 2014, Anm.). Da werden gigantische Anlagen nur für so ein Großereignis gebaut, die danach niemand mehr braucht. Dem IOC ging es immer um die Erschließung von Sportentwicklungen in den Ausrichterorten. Das war früher legitim, aber heute braucht es das besonders bei den Winterspielen nicht mehr. Wir müssen uns dem Zeitenwandel stellen. Gigantismus ist da der falsche Ansatz, es sei denn er wäre „Grün“. Unter dem Klima leidet der Sport. Positives Beispiel: Was für wunderschöne Rennen es hier bei der WM sind. So kann der Skisport wirken, aber nicht mit Rennen im November in Zermatt.

Um bei der WM zu bleiben: Teambewerb und Parallel-Rennen – wie stehen Sie zu den oft kritisierten Bewerben?

Neureuther: Ein Parallel-Bewerb hat nichts mit dem echten Skisport zu tun, der die Menschen elektrisiert. Den Skisport macht es aus, dass auf den schwierigsten Hängen von den besten Athleten Höchstleistungen gezeigt werden. Aber im Parallel-Bewerb musst du nicht der beste sein, diese Medaille hat für mich keine Wertigkeit. Man sieht es ja auch bei der WM: Loic Meillard fährt nicht, Marco Odermatt auch nicht. So wie andere auch. Die Wertigkeit ist nicht da. Für einen Städte-Event als Show ist das Format absolut in Ordnung.

Sie meinen damit die City Events wie einst in Moskau oder München ...

Neureuther: Ja, damit konnte man ein neues Klientel erreichen. Aber das darf nichts mit dem Weltcup zu tun haben. Du kannst nicht gleich viele Punkte bekommen für ein Parallel-Rennen wie für den Sieg in Kitzbühel auf der Streif.

Wann ist ein Start in den Weltcup-Saison für Sie gut?

Neureuther: Ich bin für Ende November In den USA. Danach, wenn auf den Gletschern Schnee fällt sollte es zurück nach Europa gehen. Dadurch würdest du auch die Vorbereitungszeit auf die Rennsaison komplett vom Sommer in der kälteren Herbst verschieben können. Wenn du aber Anfang November bereits eine Abfahrt fahren sollst, was passiert? Die Athleten müssen viel früher mit den Vorbereitungen beginnen. Du musst einen massiven Aufwand betreiben, damit du Abfahrts-Trainings-Strecken präparieren kannst. Das ist total kontraproduktiv zum Zeitgeschehen. Der Aufwand für die Pistenpräparierung steht dazu in keiner Relation .

Ein Thema noch, weil es Ihnen als Buchautor („Für die Helden von morgen“) schon immer ein großes Anliegen war: Wie bringt man Kinder jetzt zum Skisport?

Neureuther: Indem man ihnen diesen einzigartigen Sport in alles Facetten vorlebt. Ganz einfach. Bei den ganzen Diskussionen, die es momentan um den Skisport gibt, wird die neue Generation ganz anders über die eigene Verhaltensweisen denken. Da ist es ganz wichtig, dass wir die Kinder wieder dorthin bringen, wo der Sport auch ohne Leistungsgedanken funktioniert. Wo es um Werte und die Freude an der Vielfalt des Sports geht. Der Skisport ist sehr teuer, wir müssen daher die Eltern unterstützen, damit sie die Kinder auf den Schnee bringen können. Und den Kindern den Spaß nahe bringen. Die Norweger leben das schon vor.

Dort gibt es in jungen Jahren ja keine Ranglisten.

Neureuther: Genau, Kinder sollen an erster Stelle Spaß haben, ohne Druck. Der Leistungsgedanke ist bei uns schon von Kindesbeinen an zu groß. Woher soll ich wissen, dass ein Kind mit sechs oder sieben Jahren Skifahrer werden will? Aber so ist das heute. Wir müssen den Kindern den Spaß am Sport und der Bewegung vermitteln. Dadurch, und das sieht man bei den Norwegern, entstehen Erfolge in vielen Sportarten und nicht nur in einer.

Das Gespräch führte Roman Stelzl

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