Kindesmissbrauchs-Ermittler schauen zuerst auf die Opfer
Ermittlungen im Bereich Kindesmissbrauch und dessen Darstellung auf Bildern und in Videos haben vor allem die Betroffenen im Auge. Das sagte der Direktor des Bundeskriminalamtes (BK), Andreas Holzer, im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. "Zuerst kommt immer das Opfer", betonte Holzer. Im Fokus steht die Identifizierung und - im besten Fall - Rettung der missbrauchten Kinder. Die Ermittlungen in dem Bereich stehen auch bei der Reform des Kriminaldienstes im Blickpunkt.
Der BK-Direktor bestätigte, dass es steigende Zahlen in der Deliktsparte gibt. "Für mich die Hauptkomponente, warum wir steigende Zahlen haben, ist, dass es sehr aktive NGOs gibt und dass die Polizei schon vor Jahren erkannt hat, dass sie da nachsitzen muss." Er selbst habe schon 2017 im BK das Gewaltreferat in ein Gewalt- und ein Referat für Kindesmissbrauch online getrennt und da eigene Beamte eingesetzt. "Auf Polizeiebene haben wir in der Organisation viel gemacht", betonte Holzer.
In Teilbereichen waren die Ermittlungsbehörden aber nicht erfolgreich. In dem Zusammenhang übte der BK-Direktor auch Medienkritik: "Wir wollten Awareness-Building machen, das haben wir nicht umfassend geschafft. Und verschiedene Medien haben dann gesagt: 'Geh, gebt mir eine andere Geschichte, das ist so grauslich, das kann man niemandem zumuten.' Ich glaube schon, dass man das (den Lesern, Anm.) zumuten muss."
Gleichzeitig habe das US-amerikanische NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children, Anm.) eine ähnliche Tendenz registriert. Das NCMEC hat es dem BK-Chef zufolge geschafft, eine Systematik aufzubauen, damit es die Meldungen von Providern und den großen Social Media-Betreibern bekommt und diese weltweit verschicken kann. "Auch diese Zahlen steigen", so Holzer. 90 Prozent der internationalen Hinweise, die das BK erreichen, stammen mittlerweile vom NCMEC.
Man habe auch in der Zentralstelle sehr viel investiert und tue dies weiterhin. "Gott sei Dank unterstützt uns hier der Innenminister sehr", sagte Holzer. Der BK-Direktor wies darauf hin, dass in dem Bereich im Zuge der Kriminaldienstreform einiges geplant sei. "Wir wollen den Bereich hier noch einmal herauslösen und weiter spezialisieren. Weil man braucht schon eine ganz schön dicke Haut, um in diesem Bereich zu arbeiten." Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte Ende Jänner dazu angekündigt: "In Zukunft wird in jedem Landeskriminalamt sowohl ein Sonderbereich für Online-Kindesmissbrauchsdelikte eingerichtet werden, als auch eine entsprechende Software zum Einsatz kommen, die den digitalen Bildabgleich ermöglicht."
Unabhängig davon ist die angesprochene Kriminaldienstreform einer der größten Brocken derzeit im Portfolio des BK-Chefs. "Die letzte große Reform im Kriminaldienst ist vor zehn Jahren umgesetzt worden, seither ist wenig reformiert worden", erläuterte Holzer. Angesichts einer Aufklärungsquote von rund 55 Prozent "quer über alle Delikte" könnte man meinen, "alles ist gut". Holzer: "Ist es auch. Und auf die Leistungen unserer Kriminalistinnen und Kriminalisten bin ich sehr stolz. Aber es gibt gewisse Deliktbereiche, die extrem steigen, und wo es in der Organisation hier und da Nachbesserungsbedarf gibt."
"Wir haben gesagt, wir müssen von der Polizeiinspektionsebene bis hinauf zur Zentralstelle Bundeskriminalamt in der Abhandlung des Ermittlungsverfahrens im Cybercrime-Bereich eine Systematik haben", erläuterte Holzer. Ein Kernteam von 70 bis 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern "aus allen Bereichen, auch aus dem uniformierten" versuchte herauszufinden, wo die Mankos in der Abhandlung einer solchen Anzeige liegen. "Und da sind wir draufgekommen, dass wir Nachbesserungen im Kriminaldienst auf den PIs (Polizeiinspektionen, Anm.) brauchen, sodass überall flächendeckend Kriminaldienst gemacht wird, bis hin zu den Landeskriminalämtern, die schon ein hohes Spezialistentum benötigen. Deshalb planen wir da einen eigenen Bereich zu schaffen für Cybercrime, nicht nur einen Ermittlungsbereich, sondern auch in der Forensik, weil das immer wichtiger wird." Flankierend benötige es eine gute Ausbildung für Cybercrime-Ermittlungen.
Das Team sah sich auch den Bereich zwischen den Polizeiinspektionen und den Landeskriminalämtern an: "Was braucht die Fläche, etwa wenn ein Handy sichergestellt wird bei einem Suchtgiftdelikt? Was braucht der Beamte, damit er nicht immer ins Landeskriminalamt fahren muss?", umriss Holzer die Fragestellung in diesem Bereich. "Da haben wir gesagt, dass wir die Bezirke oder, wenn man so sagen will, die Regionen stärken müssen und bei der Assistenz nachschärfen." Wenn etwa ein Handy sichergestellt werde, benötige der Beamte einen Spezialisten, an den er sich wenden könne. "Diese Spezialisten hätten wir in Bezirken bzw. Regionen verortet, aber nicht in der Ermittlung, sondern in der Assistenz. Und nicht nur im Cybercrime-Bereich in der Forensik, sondern auch in der Prävention: Weil wenn wir ermitteln müssen, ist es ja schon schlecht - das beste Delikt ist das, welches nicht stattfindet. Und in der Tatortarbeit." Man wolle bei der Kriminaldienstreform wirklich "Rad in Rad greifen lassen".
Auch in der Ausbildung sei nachgeschärft worden, sagte der BK-Direktor. Das Bundeskriminalamt sei zentraler Kriminal-Ausbildungs- und -Fortbildungsverantwortlicher. Es soll eine zweiwöchige Intensivschulung in der Polizeischule zu Cybercrime geben, aber auch weiter bei den Dienstführenden und bei den Top-Ausbildungen - Offizierskurse und auf der Fachhochschule. "Wir müssen hier nach vorn schauen: Es gibt so viele Phänomene, auf die wir flexibel reagieren müssen", erläuterte Holzer. "Zum Beispiel Internetbetrug: Da haben wir jetzt über 60 einzelne Phänomenbereiche. Und die ändern sich alle drei, vier Monate." Man wolle einen Grundstock an Ausbildung in der Polizeischule haben und dann eine Systematik etablieren, um darüber hinaus flexibel mit einem Trainingscenter auf solche Phänomene zu reagieren.
Die Kriminaldienstreform wird eine Personalaufstockung "im mittleren dreistelligen Bereich" für ganz Österreich mit sich bringen. Das Cybercrime-Competence-Center C4 im BK selbst wird auf rund 130 Planstellen aufgestockt, "da sind wir gerade in der Endverhandlung dieser Planstellen, dann sind wir in der Zentralstelle gut aufgestellt, und mit der Umsetzung der Kriminaldienstreform auch (außerhalb des BK, Anm.)".
Dass es bei der Kriminaldienstreform in den Gesprächen mit der Personalvertretung hakt, fand Holzer "gar nicht". Der BK-Direktor: "Ich glaube, dass die Erstgespräche positiv waren, und alles Weitere werden die Verhandlungen ergeben." Dass es weniger Führungspositionen geben könnte, "die Angst kann ich jedem nehmen", betonte Holzer. "Ich weiß nicht, wer was dagegen haben kann, mehr Personal, mehr Kompetenzen, mehr Ausbildung, höherer Spezialisierungsgrad für gewisse Bereiche, aber dann doch wieder bessere Schulungen in der Fläche und bessere Ausbildung. Ich denke einmal, aus meiner Sicht kann da die Personalvertretung auch nichts dagegen haben."
Holzer sprach von großen Herausforderungen für die Ermittler im Cybercrime-Bereich. "Jedes Delikt ist international", sagte Holzer, "Ob das Callcenter in Indien sitzt, der Täter in den Niederlanden und der Server in Afrika oder in Russland oder in Amerika." Dazu komme, dass der hohe Spezialisierungsgrad bei Cyberkriminellen nicht mehr gefordert sei. "Sie kennen sicher 'crime as a service' oder auch 'cybercrime as a service. Man kann sich heute die Ransomware im Darknet herunterladen und braucht eigentlich überhaupt keine vertiefenden Fachkenntnisse mehr."
Schlepperei und illegale Migration ist laut Holzer tatsächlich ein Problem und nicht nur von der Politik dazu gemacht. "Das braucht ja immer eine gewisse Informationslage, die sich aus internationalen und nationalen Erkenntnissen zusammensetzt." Man müsse sich nicht nur die Asyl- oder Aufgriffszahlen ansehen, sondern das sei auch aus Erkenntnissen des Frühwarnsystems zu sehen gewesen, was da auf Österreich zukomme. "Das hat sich dann auch bestätigt."
Das größte Problem sei aus Kriminalistensicht die Organisierte Kriminalität (OK), sagte Holzer. "Da gehört natürlich Schlepperei und Menschenhandel auch dazu, aber vor allem der Drogenhandel und Gewaltdelikte." Der BK-Direktor sprach die Operation "Achilles" an, in deren Zuge man durch die Auswertung von Kryptochats Einblicke in das Vorgehen krimineller Organisationen bekam. "Wir haben einen unverstellten Blick auf die Realität durch diese Ermittlungen, und das ist eigentlich nur die Bestätigung dessen, was wir zumindest im Dunkelfeld vermutet haben." Es sei flächendeckend für die gesamte Welt die größte Ermittlung, und werde die Ermittler hierzulande sicher noch zehn Jahre oder länger beschäftigen.
In Österreich seien im Prinzip alle kriminellen Organisationen aktiv. "Ich will die Bevölkerung nicht in Furcht und Unruhe versetzen, aber es muss schon bewusst sein, dass es das in Österreich alles gibt, wiewohl einige Gruppen Österreich nicht als Operationsgebiet, sondern als Rückzugsort sehen. Nichtsdestotrotz sind sie da."
(Das Gespräch führte Gunther Lichtenhofer/APA.)