Der Weg zur Selbsterfindung und seine Volten: Neuer Roman von Ana Marwan
Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan legt mit „Verpuppt“ ihren zweiten Roman vor. Nächste Woche präsentiert sie ihn in Innsbruck.
Innsbruck – Rita schreibt. Oder sie tut so, als würde sie schreiben – und klopft stattdessen nur langsam auf die Tastatur. Gut zehn Seiten lang folgt, gegen Ende von Ana Marwans Roman „Verpuppt“, ein Buchstabe willkürlich auf den nächsten. Gelegentlich mischen sich Zahlen darunter. „Der Zufall“, erklärt Rita, die Protagonistin und Ich-Erzählerin von „Verpuppt“, dazu, „wollte nicht, dass die Zeichen etwas bedeuten.“ Dieser letzte Schritt in inhaltslose Écriture automatique scheint nur konsequent für Rita und die Geschichte, die sich aus dem, was sie sich erzählt, was sie denkt und aufschreibt, zusammensetzt: Denn im Kern erzählt Marwan mit „Verpuppt“ vom Heranwachsen – und abgeschlossen, diesen Schluss legt das Romanende nahe, ist das Heranwachsen eben, wenn man sich ins gesellschaftliche Gefüge eingepasst hat: Wenn man brav dasitzt und tippt, „Schluss mit den klingenden Wortspielen, von Montag bis Freitag also, neun bis fünf“. So tun als ob ist da ein gern genommener Ausweg.
📖 Roman
Verpuppt: Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Otto Müller Verlag, 220 Seiten, 24 Euro.
Lesung: Ana Marwan und Minu Ghedina („Die Korrekturen des Horizonts“) lesen am Dienstag, 28. Februar, im Literaturhaus am Inn.
Klingende Wortspiele übrigens – Übersetzer Klaus Detlef Olof hat viele davon auch in die deutsche Übersetzung herübergerettet – haben „Verpuppt“ bis zur letzten Volte ausgemacht. Der Text zeichnet Ritas Selbsterfindung nach: Die Kindheit ist vorbei, das Erwachsensein hat noch nicht begonnen. Vielleicht hat Ritas Erzählen auch therapeutische Funktion. Es gibt Indizien, dass sie in einer Anstalt sitzt. Oder arbeitet sie in einer Behörde für Verkehr und Kommunikation, Abteilung Raumfahrt? Beides scheint plausibel. Aber Plausibilität ist auch nur ein Korsett. Ivo Jez jedenfalls arbeitet für diese Behörde. Dem mittelalten, von Ehrgeiz unbelasteten Mann, stellt Rita nach. Und Jez ahnt, dass Ritas „Entfaltung“ noch aussteht. Auch er könnte Patient der Anstalt sein. Oder ist er gar Ritas Erfindung? Das, was Jez und Rita erleben, das, was Rita von Jez und der Welt, die ihm gehörig zu schaffen macht, erzählt, ist jedenfalls sagenhaft gut: Besserwisserische Wichtigtuer werden vorgeführt, floskelhaftes Gerede und großkotziges Getue aufgespießt. Wie schon die Erzählung „Wechselkröte“, für die Ana Marwan 2022 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, ist auch „Verpuppt“ ein wilder Erzählfluss: überbordend, vertrackt und irritierend. „Wechselkröte“ hat Marwan, 1980 in Slowenien geboren und seit nicht ganz 20 Jahren Wahlösterreicherin, auf Deutsch geschrieben. „Verpuppt“ erschien schon 2021 als „Zabubljena“ in Slowenien – und wurde dort 2022 zum Roman des Jahres gekürt.