15-Jähriger in Salzburg von Polizeiauto überrollt: Polizist vor Gericht
Der Mopedfahrer war auf der Flucht vor dem Beamten gestürzt. Der Lenker des Streifenwagens ist wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Er bekannte sich nicht schuldig.
Tamsweg – Am Bezirksgericht Tamsweg hat sich am Mittwoch ein Polizist wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten müssen. Der Beamte saß am 18. November 2021 am Steuer eines Streifenwagens, der in Göriach einen 15-jährigen Mopedfahrer überrollt hatte. Der Teenager, der ums Leben kam, war zuvor der Polizei davongefahren und auf einem Feldweg gestürzt. Der Angeklagte bekannte sich nicht schuldig. Er drückte aber sein tiefstes Bedauern gegenüber der Familie des Burschen aus.
Bevor es zu dem tragischen Unfall kurz nach 18.30 Uhr bei Dunkelheit gekommen ist, war der Teenager mit seinem unbeleuchteten Moped offenbar zu schnell unterwegs gewesen. Deshalb fuhr ihm eine Polizeistreife mit Blaulicht und Folgetonhorn nach. In Göriach verließ der Jugendliche die Straße und bog in einen Feldweg ein, wo er zu Sturz kam. Der VW-Bus kollidierte mit dem 15-jährigen Lungauer. Der Lenker des Streifenwagens habe trotz Vollbremsung und Ausweichmanövers nicht mehr anhalten können, informierte damals die Polizei.
Abstand war zu gering
Die Bezirksanwältin warf dem Beschuldigten heute vor, er habe die im Straßenverkehr gebotene Sorgfalt außer acht gelassen. Der Abstand des Polizeifahrzeuges zum Mopedlenker sei zu gering gewesen. Verteidiger Kurt Jelinek konnte diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. Sein Mandant sei im gleichbleibenden und ausreichenden Abstand hinter dem „auffrisierten" Moped hergefahren.
„Aufgrund der Besonderheiten dieses Sturzes ist es zu dem Unfall gekommen. Der Sorgfaltsmaßstab wird hier überstrapaziert", meinte der Verteidiger. Sein Mandant habe Erste Hilfe geleistet und mit der Reanimation des Verunfallten begonnen, die zunächst auch erfolgreich verlaufen sei, dann sei der Bursch leider verstorben. „Aus strafrechtlicher Sicht ist mein Mandant freizusprechen", sagte der Rechtsanwalt. Der Angeklagte selbst wollte keine weiteren Fragen vor Gericht mehr beantworten.
In dem Streifenwagen saßen neben dem Lenker noch ein weiterer Polizist auf dem Beifahrersitz und eine Polizistin auf der Rückbank. Die beiden wurden als Zeugen von Bezirksrichterin Elvira Gonschorowski-Zehetner einvernommen. Der damalige Beifahrer erklärte, der Lenker des VW-Busses sei im gleichbleibenden Abstand nachgefahren, ohne den Mopedfahrer zu bedrängen. „Das Ziel der Nachfahrt war, ihn irgendwann sicher anhalten zu können."
Die Polizistin schätzte den Abstand zum Moped auf mindestens drei VW-Bus-Längen ein. Sie könne sich nicht erinnern, ob der Name des Mopedfahrers per Funk erwähnt worden sei und sie habe auch das Kennzeichen des Mopeds nicht gesehen.
Opfer-Anwalt ortete „Jagdtrieb“ bei den Beamten
Die Mutter des Verstorbenen hatte der Polizei vorgeworfen, sie hätte damals anders reagieren können. Weil den Beamten der Name des Lenkers ihrer Meinung nach bekannt gewesen sei, hätte man die Verfolgung abbrechen können. „Er hätte seine Strafe bekommen, das Mofa wär abgenommen worden und die Sache wäre erledigt gewesen", sagte sie etwa gegenüber der Kronen Zeitung. Und Opfer-Anwalt Stefan Rieder meinte, „hätte die Polizei ihn nicht derart verfolgt, wäre der Bursch nicht so schnell gefahren und auch nicht gestürzt". Er beantragte für vier Angehörige des Verstorbenen jeweils 40.000 Euro Teilschmerzengeld.
Rieder ortete Sorgfaltsverstöße bei der Polizeiarbeit und sogar einen gewissen „Jagdtrieb" bei den Beamten, wie er im Vorfeld des Prozesses erklärte. Auf die Frage zur generellen Notwendigkeit von Fahrzeugverfolgungen durch die Polizei hatte ein Polizeisprecher folgende Stellungnahme nach dem Unfall gegenüber Medien abgegeben: „Eine Nachfahrt liegt immer im Ermessen der beziehungsweise des jeweiligen Beamten. Dieser muss in sehr kurzer Zeit eine Vielzahl an Abwägungen treffen – sowohl in verkehrs- als auch in kriminalpolizeilicher Sicht."
Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen den Lenker des Streifenwagens ein. Die Behörde stellte das Verfahren aber im Februar 2022 mit der Begründung ein, es gebe keine Anhaltspunkte für ein der Straßenverkehrsordnung oder sonst den Regeln des Straßenverkehrs widersprechendes Verhalten und somit (grob) fahrlässiges Handeln des Genannten.
Ausweichmanöver laut Gutachter nicht möglich
Anfang Februar 2022 war das Gutachten des Verkehrsunfallsachverständigen eingelangt. Gutachter Gerhard Kronreif kam in seiner Expertise zu folgendem Ergebnis: Das Moped hatte am Ende einer Linkskurve auf der erdigen, teils grasbewachsenen, belaubten und unebenen Fahrbahn wenig Grip. Der Lenker kam infolge zu hoher Geschwindigkeit - rund 30 bis 35 km/h - zu Sturz. Der Abstand zwischen Moped und dem Polizeibus soll sieben bis elf Meter oder 0,85 bis 1,1 Sekunden betragen haben. Da sich die linksseitige Fußraste des Mopeds im Boden verhakt habe, hätte es eine deutlich „höhere Rutschverzögerung" gegeben. Daraus ergebe sich, dass das Zweirad durch diese Verhakung im Erdreich sehr abrupt zum Stillstand kam.
Laut Kronreif handelte es sich um einen „seltenen Umstand". Denn selbst bei einer Vollbremsung des Mopedlenkers hätte der Abstand vom nachfolgenden Polizeiauto ausgereicht, um ohne Kollision anzuhalten. Nur wenn der Polizist den Sturz und die Verhakung miteinkalkuliert und einen größeren Abstand gehalten hätte, wäre ein Unfallgeschehen zu vermeiden gewesen. Ein Ausweichmanöver sei nicht möglich gewesen, weil der zwei bis zweieinhalb Meter breite Feldweg dafür zu schmal gewesen sei.
Nachdem das Gutachten vorgelegen war, sagte der Verteidiger, der Expertise zufolge habe der Abstand des Polizei-Busses ausgereicht, um „bei unverzüglicher Reaktion" hinter dem Mopedfahrer „kollisionsfrei anhalten" zu können – auch dann, wenn der Lenker sofort abgebremst hätte.
Fortführungsantrag eingebracht
Die Familie des 15-Jährigen wollte sich mit der Einstellung des Strafverfahrens nicht abfinden. Opferanwalt Stefan Rieder brachte einen Fortführungsantrag beim Landesgericht Salzburg ein. Ein Drei-Richter-Senat ordnete daraufhin im April die Fortführung des Verfahrens an. Die Richter waren zu dem Ergebnis gekommen, dass der Lenker des Streifenwagens einen zu geringen Abstand zum Mopedfahrer eingehalten und deshalb sorgfaltswidrig gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelte erneut und brachte am 19. Mai beim Bezirksgericht Tamsweg Strafantrag gegen den Beamten wegen fahrlässiger Tötung ein.
Anfang Juli erklärte sich allerdings die Bezirksrichterin für nicht zuständig, weil der Verdacht bestehe, dass der Polizist „grob fahrlässig" gehandelt habe. Dieses Delikt sieht einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Haft vor, weshalb das Bezirksgericht nicht zuständig sei, hieß es im Beschluss des Bezirksgerichts. Dagegen ergriff der beschuldigte Polizist Rechtsmittel und bekam Recht. Eine grobe Fahrlässigkeit sei nicht zu erkennen, daher sei sehr wohl das Bezirksgericht zuständig, stellte ein Drei-Richter-Senat des Landesgerichts Salzburg fest.
Vermutlich wird heute ein Urteil am Bezirksgericht Tamsweg gesprochen. (APA)