Politiker mit Nudeln auf Ohren bei Putin-Rede, Warten auf China-Friedensplan
Ein einzelner kommunistischer Abgeordneter kritisierte in einem ironischen Video Kreml-Chef Wladimir Putin. Ihm drohen nun Konsequenzen. Indes weist China US-Vorwürfe zurück. Ein angekündigter Friedensplan Pekings lässt noch auf sich warten.
Kiew, Moskau – Für eine Protestaktion während der Rede an die Nation von Kremlchef Wladimir Putin drohen einem russischen Regionalpolitiker Konsequenzen. Der kommunistische Abgeordnete Michail Abdalkin aus der Region Samara veröffentlichte nach der Rede vom Dienstag ein Video, das zeigt, wie er vor seinem Computer sitzt und Putin zuhört – an seinen Ohren hängen dabei Spaghetti. Im Russischen gibt es den Ausdruck "Nudeln an die Ohren hängen", was so viel bedeutet wie: belogen werden.
Abdalkin veröffentlichte den 30 Sekunden langen Clip auf Youtube und auf der russischen Social-Media-Plattform Vkontakte. Dort schrieb er, offensichtlich mit einer gewissen Ironie, dazu: "Volle Unterstützung, ich bin voll und ganz einverstanden, großartiger Auftritt." Ein Sprecher der kommunistischen Partei nannte Abdalkins Aktion in einem Interview nun eine "Dummheit" und kündigte eine parteiinterne Aufarbeitung des Vorfalls an.
📽️ Video | Michail Abdalkins Video
Die kommunistische Partei Russlands gilt eigentlich als kremltreu. Parteichef Gennadi Sjuganow etwa lobte die "Entschlossenheit" von Putins Rede. Gerade in den Regionen des flächenmäßig größten Landes der Erde fallen Politiker, die nicht der Kremlpartei Geeintes Russland angehören, aber hin und wieder mit kritischen Bemerkungen auf. Samara liegt rund 1000 Kilometer südöstlich von Moskau.
Putin hatte seine Rede zur Lage der Nation kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gehalten. Während des fast zweistündigen Auftritts verteidigte der 70 Jahre alte Kremlchef die von ihm angeordnete Invasion und behauptete, der Westen habe "den Krieg losgetreten". International – aber auch von der russischen Opposition – wurden große Teile der Rede als reine Propaganda kritisiert.
China: US-Vorwürfe zu Waffenlieferungen sind "Spekulation"
China weist US-Geheimdienstinformationen über potenzielle Waffenlieferungen der Volksrepublik an Russland als Spekulation zurück. Das seien Verleumdungen, sagte der Sprecher des Außenministeriums in Peking, Wang Wenbin, vor der Presse. Das Wall Street Journal hatte berichtet, die US-Regierung erwäge, entsprechende Informationen zu veröffentlichen. Diesen zufolge prüfe China, möglicherweise Waffen an Russland zu liefern, um es im Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen.
"Was die sogenannten Geheimdienstinformationen angeht, so ist das nur Spekulation und gegen China gerichtete Verleumdung", sagte Wang.
Die Annäherung der beiden Großmächte Russland und China wird im Westen ebenso mit Skepsis beobachtet wie ein kürzlich von China in Aussicht gestellter Friedensplan für die Ukraine. Die USA haben China vor einer militärischen Unterstützung Russlands in der Ukraine gewarnt.
Pressestimmen zur Rolle Chinas im Ukraine-Krieg
La Stampa (Turin):
"Kam Wang Yi gestern nach Moskau als Vermittler oder als Verbündeter? Die beiden Eigenschaften schließen einander nicht aus, vielmehr kommt wohl das eine zum anderen. Der Unterschied ist dennoch entscheidend. China schickt sich an, einen Friedensplan für die Ukraine zu präsentieren, während es von den Vereinigten Staaten beschuldigt wird, Militärhilfe für Russland vorzubereiten, die eine Vermittlerrolle unwahrscheinlich machen würde. Setzen wir darauf, dass die Amerikaner sich irren (...). Aber auch, wenn er (Wang) sich in Moskau ohne Waffen in den Händen präsentiert, muss er die Friedensmission mit der russisch-chinesischen Freundschaft in Einklang bringen (...). Um Selenskyj an Bord zu holen, muss der Friedensplan auch Konzessionen von Putin verlangen. Das heißt, er muss für beide Seiten unangenehm sein. Anders wäre die chinesische Vermittlung nicht glaubhaft."
Neue Zürcher Zeitung:
"Meint es Peking ernst mit seiner Initiative? Die Zweifel sind leider groß. Noch ist kaum etwas über den chinesischen Friedensplan bekannt, der möglicherweise in den nächsten Tagen publik gemacht wird. Die Äußerungen Wangs in München klingen auf den ersten Blick vielversprechend. Die Grundlage für den Weltfrieden seien die territoriale Integrität und die Souveränität aller Staaten, erklärte er.
Nichts anderes wünschen sich die Ukraine und ihre westlichen Alliierten: Die Worte Wangs bedeuteten aus ihrer Sicht zwingend, dass Russland nicht nur seine Truppen vollständig aus der Ukraine abzieht, sondern dass es auch die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete im Osten freigibt.
Oder versteht Peking unter territorialer Integrität jene Grenzen, die Moskau unilateral und unter Missachtung internationalen Rechts gezogen hat, als es die Krim sowie später auch die ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja zu Teilen der Russischen Föderation erklärte? Zur ersten Interpretation wird Russland niemals freiwillig seine Zustimmung geben, gegen Letztere stemmen sich die Ukraine und der Westen."
Allgemeine Zeitung (Mainz):
"Ja, jede echte Vermittlung Chinas wäre ein bewundernswerter diplomatischer Balanceakt, der gewiss den Beifall der ganzen Welt finden würde. Aber jede einseitige Parteinahme für den Kriegsherrn im Kreml, jedes falsche Wort zum Krieg und den Sanktionen, schlicht alles, was eine Solidarität mit Russland unterstreicht, wird schnell einem Affront gegen den Westen gleichkommen, der die bestehenden Konflikte nur noch verschärft."
Melnyk kritisiert Zickzackkurs Deutschlands
Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk der deutschen Regierung einen "Zickzackkurs" bei der Umsetzung der sogenannten Zeitenwende in der Sicherheitspolitik vorgeworfen. Mit seiner Ankündigung militärischer Hilfe für die Ukraine zwei Tage nach der Invasion habe Kanzler Olaf Scholz (SPD) zwar "einen epochalen Tabubruch" vollzogen, sagte Melnyk der dpa. Aber die Umsetzung der Zeitenwende hinke erheblich.
"Sie erinnert eher an einen Zickzackkurs mit vielen Rückschlägen als an einen strategischen Vorstoß", so Melnyk. Es gebe immer noch "zu viele Bremsklötze, vor allem in der SPD", sagte der ukrainische Topdiplomat, der in den ersten Kriegsmonaten Botschafter in Deutschland war. "Wir Ukrainer rufen daher den Kanzler auf, alle selbst gezeichneten roten Linien zu überschreiten und ukrainische Streitkräfte mit allen verfügbaren Waffensystemen zu versorgen."
Die bisherigen Waffenlieferungen aus Deutschland seien zwar ein "Quantensprung". Sie reichten allerdings zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete inklusive der Krim nicht aus. "Wir erwarten weitere mutige Entscheidungen der Ampel, vor allem eine zügige Freigabe von deutschen Kampfjets im Rahmen einer transatlantischen Flugzeug-Allianz, um die Befreiung der Ukrainer in den okkupierten Gebieten zu beschleunigen." Die ukrainische Flotte könne auch deutsche Fregatten, Korvetten sowie U-Boote gut gebrauchen, um die militärische Vorherrschaft Russlands im Schwarzen Meer zu brechen.
Scholz hatte am 26. Februar – zwei Tage nach der russischen Invasion – die Unterstützung der Ukraine mit Waffen für den Abwehrkampf gegen Russland angekündigt. Inzwischen sind Waffen für fast 2,6 Milliarden Euro geliefert oder fest zugesagt worden. Darunter sind schwere Artilleriegeschütze, Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrsysteme. Auch deutsche Kampfpanzer sollen bis Ende März in die Ukraine geschickt werden. (TT.com, APA, dpa, AFP)
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