„Serge“ am Akademietheater in Wien: K(r)ampfzone Familie
Drei Geschwister auf Identitätssuche in Auschwitz: Uraufführung von Yasmina Rezas Roman „Serge“ am Akademietheater in Wien.
Wien – Serge, Nana und Jean, in Paris lebende Mitt- bis Endfünfziger aus jüdischem Elternhaus, haben sich auf der gemeinsamen Reise nach Auschwitz ziemlich überworfen, das monatelange Beziehungsmoratorium beendet ein Treffen im Krankenhaus: Serge hat eine eingehende Untersuchung und das Drohszenario einer schweren Erkrankung steht im Raum. „Wir könnten uns wirklich mal was Lustigeres vornehmen“, lautet der bitter-ironische Kommentar von Nana, der Jüngsten im Geschwisterverband.
Bitter-ironisch und im Vergleich zu anderen Werken der französischen Erfolgsautorin Yasmina Reza („Kunst“, „Der Gott des Gemetzels“) beinahe dunkel geriet ihr im vergangenen Jahr bei Hanser erschienener Roman „Serge“, dessen von Regisseurin Lily Sykes und dem Dramaturgen Andreas Karlaganis gefertigte Bühnenfassung am Donnerstag im Akademietheater zur eher durchmischten Uraufführung gelangte.
Wie anlässlich der vergangenen Reza-Hochämter am Burgtheater (zuletzt 2016 „Bella Figura“) setzt man auch bei „Serge“ auf ein erstklassiges Ensemble. Michael Maertens ist Jean Popper, im Roman der Erzähler, auf der Bühne nun eine Art Moderator der „Kuddelmuddelkiste“, wie Serges Tochter Joséphine die Familie bezeichnet. In Wollpullover und Cordhose (Kostüme: Jelena Miletić) gibt Maertens sehr glaubhaft diesen Zaungast des eigenen Lebens, der dem Sohn seiner Freundin Marion (Lilith Häßle, die auch in der Rolle der jungen Joséphine beeindruckt) emotional mehr zugewandt ist als dieser und den Auschwitz-Besuch gleichsam als Verpflichtung mitmacht.
Roland Koch ist „Serge“, der an seiner ramponierten Jugendlichkeit festhaltende Älteste, er kann als wehleidiges Ekel verzweifelt komisch agieren. Alexandra Henkels „Nana“ arbeitet sich temperamentvoll an ihm und den bösartigen Kommentaren der Brüder zu ihrer eigenen Familie ab, Martin Schwab als senil-aufgeweckter Onkel Maurice und Inge Maux als seine Vertraute Paulette sowie als kluge alte Zita, die am Ende noch ein kleines pikantes Familiengeheimnis aufdeckt, haben einige feine Momente.
Was schon im Roman störte und Lily Sykes’ Inszenierung nicht beheben kann, ist die schwache Figurenzeichnung und das Fehlen einer wirklichen Aussage in dieser Familienaufstellung. Die Suche dieser Nachgeborenen der Shoa nach Wurzeln, Identität und dem Umgang mit Familien-Vergangenheit bleibt nebulös und macht die – blendend gespielte – Uraufführung zu einem langatmigen Unternehmen.