„Die Freiheit einer Frau“: Ein Leben ohne Aussicht wird ausgestellt
Die stärksten Szenen sieht man nicht – und spürt trotzdem alles: „Die Freiheit einer Frau“ im Innsbrucker Theater praesent.
Innsbruck – Zunächst etwas Allgemeines: Ein Theater wie das Innbrucker Theater praesent stünde auch der einen oder anderen tatsächlichen Weltstadt ziemlich gut zu Gesicht. Die Programmatik der kleinen Bühne ist klar. Hier werden Uraufführungen erarbeitet oder gleich eigene Stücke entwickelt. Die Ästhetik ist unverbraucht, unkonventionell, risikofreudig modern – ohne dabei zwänglerisch modisch sein zu wollen.
Nun das Spezielle: Nach einem erfolgreichen und ziemlich schweißtreibenden Gastspiel im Brux („Körper am Ende der Welt“) ist das praesent nun mit „Die Freiheit einer Frau“ wieder an seine traditionelle Spielstätte in der Jahnstraße zurückgekehrt. Die aber hat sich für die neue Produktion – am Freitagabend war Premiere – augenscheinlich verändert: Der schwarz getünchte Schlurf strahlt jetzt in reinstem Weiß (Ausstattung und Kostüme: Mirjam Falkensteiner). Auf eigentümliche Art passt das zur dunklen Geschichte, die sich hier entfaltet.
„Die Freiheit einer Frau“ basiert auf der gleichnamigen, autofiktionalen Erzählung des französischen Autors Édouard Louis – praesent-Co-Leiterin Michaela Senn und der Regisseur Joachim Gottfried Goller haben die Vorlage dramatisiert. Es geht um die Beziehung des Autors zu seiner Mutter. Vor allem aber geht es um Rolle und Habitus, in die die Gesellschaft die Mutter gezwängt hat. Und, recht weit am Rande geht es auch um die Rolle des Sohns, dem es als einem von wenigen gelang, die Ausweglosigkeit des Prekariats und die sicht- und spürbaren Grenzen der Klassenzugehörigkeit zu überwinden, um sie nun mit soziologischer Schärfe und dem Zorn des Davongekommenen anzuprangern.
In einer der schönsten und in ihrer fast schon biederen Schönheit verstörendsten Szenen seiner Inszenierung rückt Goller diesen Randaspekt selbstbewusst ins Zentrum: Der Schriftsteller (Lukas Gander) und seine Mutter (Elke Hartmann) sitzen an einem Tisch. Sie hat nach Jahren der Demütigung ihr Auskommen mit der Welt gefunden, das man glücklich nennen könnte. Der Schriftsteller doziert: Erneut mache sie dieses Glück von einem Mann abhängig. Auf die Idee, dass auch er Mann ist – ein lange durchs Leben und die homophobe Provinz geprügelter Außenseiter zwar, aber trotzdem –, auf diese Idee kommt er nicht.
Ans Herz geht der Moment trotzdem, weil er eine zarte, eine zärtlich zögernde Annäherung von Mutter und Sohn nachzeichnet, an die man bis dahin kaum geglaubt hätte. „Die Freiheit einer Frau“ beginnt mit einer wütenden Anklage. Da sind Bühne und Zuschauerraum noch voll ausgeleuchtet. Unangenehm untheatralisch schimpft Édouard (Hartmann und Gander spielen ihn mit Brille und strengem Scheitel zunächst alternierend), in dialektal gefärbter Umgangssprache und nach Worten und Sprachbildern suchend, auf seine Mutter, er beklagt die Scham, die er für sie und alles, was sie tut, empfindet.
Später droht der Konflikt sogar körperlich zu werden. Die Mutter raucht, der Sohn hat Asthma. Es wird laut, Türen knallen, Geschirr klimpert. Das alles hört man nur. Dieser Streit spielt abseits der Bühne. Was die Vorgänge oder eben die eigene Vorstellung der Vorgänge nur noch direkter macht.
„Die Freiheit einer Frau“ ist bisweilen harte Kost. Aber eben nicht nur: Es gibt auch leise ironische, federleicht gespielte, melancholische Momente. Wenn Jakob Köhle, der das Stück mit Eskalationsgetrommel und Ambientrauschen musikalisch mitgestaltet, zur Ukulele greift zum Beispiel – und die Verzweifelten mit Chanson-Schmalz nach Erleichterung suchen. Oder wenn die Mutter sich stolz Haushaltshilfe nennt, um der aussichtsarmen Putzfrauenexistenz ein Schnippchen zu schlagen.