Der Nahe Osten pfeift auf den Westen und orientiert sich neu
China gewinnt in Nahost immer mehr an Einfluss. Die sinkende Abhängigkeit von den USA erspart Machthabern dort Demokratie-Debatte.
Peking – Als die Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran am Freitag überraschend die Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen bekannt gaben, fielen die weltweiten Reaktionen auffallend unterschiedlich aus. In den USA und Europa wurde der Schritt knapp und zurückhaltend kommentiert. In der Nahost-Region gab es breite Zustimmung, vom Oman über die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bis zu der libanesischen Hisbollah-Miliz. Und in China, wo in den Tagen zuvor Verhandlungen stattfanden, jubelte man geradezu: „Dies ist ein Sieg für den Dialog, ein Sieg für den Frieden und eine wichtige gute Nachricht in einer Zeit großer Turbulenzen in der Welt“, sagte Chinas Top-Diplomat Wang Yi. Und als Spitze gegen den Westen fügte er hinzu: „Die Welt ist nicht nur auf das Ukraine-Problem beschränkt.“
Tatsächlich sind die chinesische Rolle und die Abwesenheit der USA als bisheriger Ordnungsmacht in der Region nach Ansicht von Experten die wichtigsten Aspekte bei der Vereinbarung zwischen Riad und Teheran, weil sie eine tektonische Machtverschiebung zeigen. Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, meint: „Der Nahe Osten sortiert sich neu“, sagt er zu Reuters. „Die Machthaber der Region arrangieren sich miteinander, wobei Kriterien wie Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte keine wesentliche Rolle spielen.“ Autoritäre Staaten wie Russland und China schauten sich das Ganze wohlgefällig an. „Die USA sind nicht mehr die dominierende Ordnungsmacht, der europäische Einfluss bleibt gering“, meint Heusgen.
Dabei deutet sich der Umschwung seit Langem an, nicht nur weil China zur Supermacht heranwächst. Vor allem die Tatsache, dass die USA wegen ihrer eigenen Gas- und Ölproduktion nicht mehr abhängig vom Nahen Osten sind, hat die Aufmerksamkeit Washingtons für die Region deutlich erlahmen lassen. Dazu kommt seit Präsident Barack Obama der Trend, sich aus Konfliktherden weltweit weitgehend zurückzuziehen. Dies hat etwa Russland und der Türkei in Syrien und Libyen viel Freiraum gegeben.
Klassische Verbündete der Vereinigten Staaten wie Saudi-Arabien, die auf den militärischen US-Schutz bisher angewiesen waren, müssen neu nachdenken, wie sehr sie diesem noch vertrauen. Denn mit der sinkenden Abhängigkeit stieg gerade unter Präsident Joe Biden die Bereitschaft, mit den Herrschern am Golf auch Menschenrechtsfragen deutlich anzusprechen. Deshalb fiel etwa der saudische Kronprinz und jetzige Premierminister Mohammed bin Salman nach dem Mord an dem regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi vorübergehend in Ungnade in den USA und Europa.
China ist für bin Salman, der gleichzeitig seine Modernisierung und Öffnung der saudischen Gesellschaft preist, auch deshalb attraktiv, weil er von dort keine Kritik an fehlender Demokratie oder Unterdrückung einer Opposition befürchten muss. Zudem braucht Peking für das nötige Wachsen zur dominierenden Supermacht vor allem stabile Wirtschaftsbeziehungen in der Welt. Für den ehemaligen US-Topdiplomaten Daniel Russel ist die Frage, ob China nun auch bei anderen Konflikten wie etwa dem Ukraine-Krieg eine aktivere Vermittlerrolle einnehmen wird. Als möglicher Friedensstifter in der Ukraine hat sich Peking bereits ins Spiel gebracht. (TT, APA, Reuters)