Gecko wird aufgelöst

Kanzler vergraulte Experten: „Die 'Experten-Hörigkeit' hat uns allen weh getan“

Kanzler-Aussagen vergraulten Experten: Karl Nehammer und Gecko-Vorsitzender Rudolf Striedinger am Nationalfeiertag 2022.
© imago/Sepa/Ouvrad

Der Corona-Krisenstab ist Geschichte. Die Experten im Gremium sahen auch wegen Aussagen des Kanzlers keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit.

Wien – Formal hatte Rudolf Striedinger als Vorsitzender des Corona-Krisenstabs Gecko Recht: In einer Sitzung des Gremiums am Montagnachmittag gab es keine offiziellen Austrittsgesuche. Nicht dazugesagt hat der General, dass es zu diesen Gesuchen nicht mehr kam, weil sich die Gruppe zuvor selbst aufgelöst hat. Die Expertinnen und Experten hatten sich die Sinnfrage gestellt – wegen umstrittener Aussagen des Bundeskanzlers, wegen einzelner Punkte des schwarz-blauen Koalitionspaktes in Niederösterreich, aber auch wegen der positiven Entwicklungen der Pandemie.

„Die Expertenhörigkeit war schon etwas, das uns allen weh getan hat“, sagte der Impf-Experte Herwig Kollaritsch gestern im Ö1-Mittagsjournal. Er war ein Corona-Experte und -Berater der ersten Stunde. Seine Kritik bezieht sich auf eine Aussage von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Februar: „Wir waren expertenhörig. Nun sollen Experten erklären, warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind“, meinte dieser damals.

Zwar meinte Nehammer später, er sei falsch verstanden und verkürzt zitiert worden. Er habe nur betonen wollen, dass die Politik während der Pandemie nicht einfach ins Blaue hinein entschieden habe. Das stellte er auch in einem Brief an die Experten klar, sagt sein Sprecher. Dennoch ist der Sager vielen Wissenschaftern sauer aufgestoßen.

Auf Unverständnis stößt auch der Regierungspakt in Niederösterreich. ÖVP und FPÖ im Bundesland haben angekündigt, die Corona-Impfung nicht mehr bewerben zu wollen. „Das konterkariert unsere Tätigkeit“, meint Kollaritsch.

Dazu kommt, dass Gecko als Komitee für eine Krise gegründet wurde. Die akute Krise sei aber vorbei, meinen auch die Experten.

Bereits Montagvormittag verständigten sich deshalb einige Mitglieder darauf, Gecko zu verlassen. Noch vor der Sitzung am Nachmittag sickerten dann drei Namen durch. Tatsächlich war der Kreis der Verärgerten aber größer. In der Sitzung brachten diese Personen ihre Beweggründe vor. „Die gestrige Diskussion war offen, kritisch und wertschätzend“, schrieb der Infektiologe Andreas Bergthaler tags darauf auf Twitter.

Die Austritte waren dann aber gar kein Thema mehr. Die Diskussion bewegte sich in Richtung vorzeitiger Auflösung, ist im Kanzleramt zu hören. Der Vorschlag dafür sei von Striedinger gekommen, berichtete ein Mitglied der TT. Ohnehin war geplant, die Arbeit von Gecko Ende Juni einzustellen. Nun findet schon die nächste Sitzung Anfang April nicht mehr statt. Zwei Empfehlungen wurden noch ausgesprochen: Erstens soll die Überwachung des Abwassers fortgeführt werden, um neue Corona-Varianten rasch zu entdecken. Und zweitens soll es weiter Impf-Empfehlungen für Risikogruppen geben.

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Zugeordnet war die Gecko-Kommission dem Bundeskanzleramt. Nehammer meldete sich noch am Montagabend mit Dank für den „ehrenamtlichen Einsatz der Expertinnen und Experten, die die Bundesregierung in dieser schweren Zeit begleitet, mit ihrer Expertise unterstützt und beraten haben“.

Auch der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch bedankte sich. Er verband diesen Dank mit einem Bekenntnis zur Wissenschaft und zur Corona-Impfung.

Für die FPÖ kommt das Ende von Gecko zu spät. Parteichef Herbert Kickl und Generalsekretär Christian Hafenecker bekräftigten die Forderung nach einem parlamentarischen U-Ausschuss zur Corona-Politik.

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