„Gott“ in den Kammerspielen der Josefstadt: Der Tod als letzte Freiheit
Julian Pölsler inszeniert Ferdinand von Schirachs „Gott“ in den Kammerspielen der Josefstadt: ein nachdenklicher Theaterabend über Sterbehilfe und den freien Willen.
Wien – Assistierter Suizid, ja oder nein? In der Pause darf das Publikum entscheiden – mittels einer Goldmünze, die, wahrscheinlich ungewollt, aber recht makaber an den Charonspfennig erinnert, der bis ins frühe Mittelalter Toten als Fährgeld in die Ewigkeit auf die Zunge gelegt wurde.
Die BesucherInnen der donnerstäglichen Premiere von Ferdinand von Schirachs „Gott“ votierten zustimmend: Richard Gärtner, dem kerngesunden 78-Jährigen, der nach dem qualvollen Krankenhaus-Krebstod seiner Frau keinen Sinn mehr in seiner Existenz sieht und, auch als inneren Auftrag der Verstorbenen, selbstbestimmt und freiwillig aus dem Leben scheiden will, soll dies rechtlich wie ethisch erlaubt sein.
Eine brisante Fragestellung, auch in Österreich, wo mit Jahresbeginn 2022 die Beihilfe zum Suizid laut Urteil des VfGH nicht mehr strafbar ist. Autor und Jurist Ferdinand von Schirach, der in seinen Büchern und im Theaterstück „Terror“ strittige ethische Themen bestsellertauglich zur Diskussion stellt, sieht „vier Damen, vier Herren“ vor sowie „sieben der acht Rollen können von Frauen oder Männern gespielt werden“. In den Kammerspielen der Josefstadt interpretiert man das anders und kreiert ein wahrhaft Schnitzler’sches Kollegium gestrenger Herren in mehr oder minder gepflegten Anzügen. Einzige stilistische Frivolität sind da wohl die Fastenzeit-violetten Socken des Bischofs, den Robert Meyer überzeugend als unumstößlichen Vertreter der Institution (katholische) Kirche gibt.
In dem auf die Bühne transferierten Ethikrat, in dem jeder Standesvertreter – neben Kirche auch Justiz und Ärzteschaft – Richard Gärtners Anliegen beleuchtet, brilliert vor allem Raphael von Bargen als dessen Anwalt. Ihm gelingt es, in diesem von Julian Pölslers bedachter Regie geleiteten, rechtschaffen trockenen Thesenstück immer wieder, im Zwiegespräch mit den jeweiligen Sachverständigen die Aufmerksamkeit zu fokussieren.
Damit geraten die Plädoyers nachvollziehbar, die Paul Matić als Jurist, Alexander Strömer als Ärztefunktionär sowie André Pohl und Michael König als Vertreter des Ethikrates halten. Martin Niedermair als Gärtners Augenarzt und Vertrauter hat eine etwas blasse Rolle, Hausherr Herbert Föttinger bewältigt sein äußerst kurzfristiges Einspringen als „Richard Gärtner“ für den verletzten Johannes Seilern würdig.
Schön anzusehen und stimmig sind die immer wieder den Bühnenhintergrund zierenden, Vergänglichkeit und Tod umkreisenden Porträtbilder des Südtiroler Künstlers Gotthard Bonell. Viel Applaus und beim Verlassen des Theaters vernehmbarer Nachbesprechungsbedarf beschließen die Aufführung.